Analyse So trifft der Brexit die Autobranche

Düsseldorf · Für deutsche Hersteller ist Großbritannien noch der wichtigste Exportmarkt. Wie geht es weiter?

 David Cameron beim Besuch des Jaguar-Werkes.

David Cameron beim Besuch des Jaguar-Werkes.

Foto: afp

Eigentlich hat es die Aktien der deutschen Autokonzerne am Freitag, nachdem das Ergebnis des Brexit-Referendums bekannt geworden war, auch nicht schlimmer getroffen als die anderen Größen am nationalen Aktienmarkt. BMW verlor siebeneinhalb Prozent, Daimler acht und VW zehn Prozent. Da waren die großen Banken und ThyssenKrupp deutlich schlimmer dran. Trotzdem herrscht Sorge in der Branche: Was bedeutet der Rückzug der Briten aus der Europäischen Union für die deutschen Autobauer?

Zumindest für die deutschen Exporteure könnten auf der Insel unruhige Zeiten anbrechen. Laut Branchenverband VDA ist Großbritannien für die deutsche Automobilindustrie das weltweit größte Exportland. Jedes fünfte Auto, das deutsche Hersteller ins Ausland verkaufen, geht derzeit ins Vereinigte Kölnigreich.

Umso wichtiger ist für Verbandspräsident Matthias Wissmann der ungehinderte Zugang zu den jeweils anderen Märkten: "Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern", sagte Wissmann. Der britische Automobilmarkt sei in hohem Maße auf Importe angewiesen. Etwa 86 Prozent der Pkw-Neuzulassungen seien Autos, die nicht in Großbritannien produziert, sondern eingeführt worden seien.

Solche Zollschranken drohen aber, ebenso wie umfassendere Bürokratie und längere Wartezeiten für Lkw an den britischen Grenzen. Ganz abgesehen davon, dass mit der Abwertung des britischen Pfund die im Ausland produzierten Pkw für die Bürger auf der Insel teurer würden - ein Phänomen, das nicht nur die Autobranche trifft. Der Kursverfall der britischen Währung schwächt die Kaufkraft und dürfte zumindest in nächster Zeit dafür sorgen, dass die Konsumlust in Großbritannien nachlässt.

Entsprechend skeptisch ist die Einschätzung von Stefan Bratzel, dem Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Er erwartet "eine schleichende Abwanderung der Autoproduktion aus Großbritannien". Schon jetzt überdenke jeder Hersteller oder Zulieferer anstehende Investitionen wegen der Unsicherheit und möglicher höherer Komplexitätskosten. Nach seinen Angaben hat BMW im vergangenen Jahr mehr als 200.000 Minis in England gebaut und die Hälfte davon in die EU exportiert. Nissan und die zum indischen Tata-Konzern gehörenden Hersteller Jaguar Land Rover produzierten jeweils rund 500.000 Autos in Großbritannien, der spanische Hersteller Toyota fertigte 190.000 Fahrzeuge, die GM-Tochter Opel-Vauxhall rund 140. 000.

Die Ausgangslage ist klar: Wenn es um hohe Millionen- oder gar Milliardeninvestitionen geht, möchten die Investoren natürlich Planungssicherheit für mehrere Jahre haben - auf jeden Fall nicht nur für die nächsten beiden, in denen die Austrittsverhandlungen mit den Briten laufen. Mittel- und langfristig sei auch mit Standortverlagerungen von der Insel in die Europäische Union zu rechnen, glaubt Experte Bratzel.

Eine Entwicklung, die Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen so nicht nachvollziehen kann. Er sieht zwar in Sachen Autoverkauf in Großbritannien in diesem und vor allem im nächsten Jahr deutliche Rückgänge - von 2,63 Millionen im vergangenen auf 1,9 Millionen Autos im kommenden Jahr. Aber ab 2018 werde sich der britische Markt stabilisieren, zwei Jahre später schon sein früheres Niveau wieder erreichen. Auch der Produktionsstandort England werde mittel- und langfristig profitieren, und zwar von der Abwertung des Pfund. Die Hersteller BMW und Nissan beispielsweise, die in Großbritannien produzierten, könnten durch die Abwertung kostengünstiger produzieren und deshalb deutlich preiswerter auf dem Weltmarkt anbieten.

Aus Sicht von Autopräsident Wissmann ist die EU aber gefragt. Es müsse alles getan werden, "um den bislang ungehinderten Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen Großbritannien und den anderen EU-Ländern auch künftig zu ermöglichen", so Wissmann. "Wir sollten alles daran setzen, dass diese Erfolgsstory fortgeschrieben werden kann. Nun ist Brüssel gefordert", ergänzte er. Er erwartet eine "Phase der Unsicherheit, die für die Industrie alles andere als hilfreich sei.

Erfolgsstory - darunter versteht Wissmann unter anderem die Zahlen der jüngeren Vergangenheit. In Großbritannien haben die deutschen Hersteller in den ersten sechs Monaten dieses Jahres die Produktionszahlen um neun Prozent erhöht - nach einem Plus von elf Prozent auf rund 216.000 Fahrzeuge im vergangenen Jahr. Seit 2010 ist die Zahl der Standorte, die deutsche Autobauer auf der Insel betreiben, um 30 Prozent gewachsen; mittlerweile sind es laut Branchenverband VDA etwa 100.

(gw/dpa)
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