Nicht bestellt, trotzdem geliefert Was steckt hinter den mysteriösen Amazon-Sendungen?

Düsseldorf · Menschen in ganz Deutschland bekommen immer wieder Amazon-Pakete, obwohl sie nichts bestellt haben. Dahinter steckt wohl eine betrügerische Masche - wir erklären die Hintergründe.

 Ein Paket wird geöffnet (Symbolbild).

Ein Paket wird geöffnet (Symbolbild).

Foto: dpa-tmn/Christin Klose

Es klingelt, der Paketbote gibt ein mittelgroßes Paket ab – Inhalt: Ein Notsitz für einen Traktor, Wert: 230 Euro. Bestellt hat RP-Leserin Nadine Fink das nicht. Reichlich dubios, wie sie findet. Sie besitzt weder einen Traktor, noch taucht die Bestellung in ihrem Amazon-Konto auf.

Auch andere Leser melden sich. Sie haben Handy-Hüllen, Display-Schutzfolien und sogar eine Handtasche bekommen. Sorgen machen muss sich aber keiner. Mit den ungewollten Produkten könne jeder machen, was er will, sagt die Verbraucherzentrale NRW.

Der Marketplace von Amazon, also der Bereich, in dem unabhängige Händler über Amazon ihre Produkte vertreiben, steht in der Kritik. Kunden bekommen in jüngster Zeit vermehrt Pakete, die sie nie bestellt haben, meldet die Verbraucherzentrale. Es scheint, als verschickten Händler willkürlich an Amazon-Kunden, oft ohne Lieferschein und Absender. Was genau sie dabei antreibt, ist unklar - auch die Verbraucherzentrale stellt darüber nur Vermutungen an.

Ein mögliches Ziel könnte demnach sein, die Produkte weiter oben in den Suchergebnissen zu platzieren. Denn je mehr abgeschlossene Verkäufe das Produkt vorweisen kann, umso prominenter platziert es der Amazon-Algorithmus. Nötig ist dafür Experten zufolge ein gefälschtes Kundenkonto und eine beliebige existierende Adresse. Der Verkäufer bezahlt sein Produkt selbst, kann es im Nachgang also auch selbst bewerten.

Kosten entstehen dem Kunden dabei aus juristischer Sicht keine, sagt Medienrechtsanwalt Ehssan Khazaeli. Unbestellte Leistungen dürfe man behalten. Direkt weiterverkaufen oder entsorgen würde der Anwalt die Produkte aber nicht. Wenn nämlich ersichtlich sei, dass die Lieferung an die falsche Person ging, könne der Händler die Ware zurückfordern - müsse dann aber auch die Versandkosten übernehmen. „Ich würde die Waren zwei bis drei Monate aufheben“, sagt Khazaeli. Bei den beschriebenen Fällen sei es zwar unwahrscheinlich, dass die Waren nicht absichtlich bei ihren Empfängern gelandet sind, dennoch rät der Anwalt zur Vorsicht: „Es kommt schnell mal zu einem Zahlendreher in der Postleitzahl.“

 RP-Leserin Nadine Fink hat diesen Traktor-Notsitz im Wert von 230 Euro bekommen. Bestellt hat sie ihn nicht.

RP-Leserin Nadine Fink hat diesen Traktor-Notsitz im Wert von 230 Euro bekommen. Bestellt hat sie ihn nicht.

Foto: Nadine Fink

Die Verbraucherzentrale NRW geht sogar noch einen Schritt weiter. „Juristisch gilt: Wer unverlangt Pakete von Händlern erhält, muss sie nicht aufbewahren“, heißt es dort. Rein rechtlich habe er nicht einmal die Pflicht, den Absender zu kontaktieren.

Laut Amazon ist das beschriebene Vorgehen zwar verboten, aber ohne Beschwerde der „Beschenkten“ kaum nachzuverfolgen. „Wir gehen jedem Hinweis von Kunden nach, die unaufgefordert ein Paket erhalten haben, da dies gegen unsere Richtlinien verstößt“, heißt es bei dem Versandhändler. „Verkäufer haben in diesem Zusammenhang weder Namen noch Adressen von Amazon erhalten.“ Händler, die das Unternehmen überführen kann, liefen Gefahr, dass Amazon ihren Account sperre und rechtliche Schritte einleite.

Und woher holen sich die Händler nun die Adressen ihrer Empfänger? Im Grunde reicht dazu ein Blick ins Telefonbuch oder eine kurze Internet-Recherche. So zitiert die „Wirtschaftswoche“ den Blogger Bernd Jaeger, der zahlreiche unbestellte Lieferungen erhalten habe. Seine Adresse könnten sich die Händler aus dem Impressum seiner Internetseite geholt haben. Der Verbraucherzentrale zufolge haben einzelne Personen bereits mehrfach solche Pakete bekommen – bis zu sechsmal in einer Woche. Ein Kunde aus Solingen versuchte bereits vor Gericht, gegen Amazon vorzugehen. Doch da nicht Amazon die Pakete verschickt, sondern der Marketplace-Händler, scheiterte die Klage.

Händler kann sich Bestellung nicht erklären

Das Paket von Nadine Fink enthielt einen Lieferschein und ein Firmenlogo. Der Händler, der hinter dem Logo steckt, kommt aus Süddeutschland und ist auch im Amazon Marketplace gelistet. Auf Nachfrage schreibt er: „Der Beifahrersitz wurde über Amazon am 9. Februar gekauft.“ Er bekomme die Bestellungen im Marketplace von Amazon übermittelt, erklärt er unserer Redaktion. Aber erst, wenn auch die Bezahlung des Kunden an Amazon als Mittelsmann bereits erfolgt ist. So müsse er sich keine Sorgen machen, dass der Kunde am Ende nicht zahlen könne. Erklären könne sich der Händler die Bestellung aber auch nicht. Wer auch immer den Traktor-Sitz in Finks Namen bestellt hat, muss ihn also auch bezahlt haben.

Die meisten Kunden erhalten Waren im Wert von wenigen Euro. Daher stellt die Verbraucherzentrale noch eine weitere Theorie auf. Bei den Marketplace-Verkäufern handelt es sich, anders als in Nadine Finks Fall, nicht selten um asiatische Händler. Deren Produkte, die hier im Amazon-Lager liegen, aber nicht verkauft werden, müssten teuer zurück nach Asien verschifft werden. Da erscheint es günstiger, sie für drei Euro Porto an irgendwen zu schicken.

Nicht das erste Problem mit dem Marketplace

Händler, die ungefragt ihre Waren verschicken, sind übrigens nicht der erste Versuch, das Marketplace-Prinzip auszunutzen. Seit Jahren kämpft Amazon gegen betrügerische Scheinverkäufer, die mit extremen Angeboten Artikel anbieten, die gar nicht existieren. Zu erkennen sind diese Anbieter in der Regel daran, dass sie ganz neu sind und nur wenige bis keine Bewertungen haben. Fällt ein Kunde auf das vermeintliche Angebot herein, kassiert der Händler per Vorauskasse ab und verschwindet dann aus dem Marketplace.

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