Andreas Pinkwart "Unis müssen unternehmerisch denken"

An kaum einer Hochschule wird so viel gegründet wie an der Leipzig Graduate School of Management. Der Rektor verrät das Erfolgsrezept.

 Vom NRW-Minister zum Hochschulrektor: Andreas Pinkwart

Vom NRW-Minister zum Hochschulrektor: Andreas Pinkwart

Foto: dpa

Leipzig "Handelshochschule Leipzig" (HHL) klingt nicht nach dynamischen Start-ups oder digitalen Querdenkern, sondern eher nach Kaufhof und Karstadt - seriös, aber bieder. Dabei gehört die HHL mit Gründungen wie dem Reise-Vergleichsportal Trivago, dem Online-Brillenhändler Mister Spex und der Internet-Parfümerie Flaconi zu den bedeutendsten Start-up-Schmieden im Land. Als der Ex-NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hier 2011 als Rektor antrat, förderte er den Gründergeist daher nicht nur strukturell, sondern sorgte auch für einen modernen Namen. Seitdem heißt die HHL Leipzig Graduate School of Management.

Herr Pinkwart, was für eine Hochschule haben Sie vorgefunden, als sie aus NRW nach Leipzig kamen?

Pinkwart Eine Hochschule, die viele tolle Unternehmensgründer hervorgebracht hat. Angefangen hat alles 2001 mit Lukasz Gadowski, der in einem Kellerraum das T-Shirt-Start-up Spreadshirt gegründet hatte und seitdem viele weitere Unternehmen erfolgreich mit an den Start gebracht hat. Danach gab es weitere Studenten, die Gründungen auf den Weg gebracht haben. Manches hat funktioniert, anderes nicht - aber die Quote ist bei uns schon sehr hoch. Das war beeindruckend, so etwas kannte ich aus NRW so nicht.

Woran liegt das?

Pinkwart Wir versuchen, engen Kontakt zu den Start-ups zu halten und unsere Ehemaligen in die Hochschule einzubeziehen. Es gibt niemanden, der unseren Studenten besser erzählen kann, wie man ein Unternehmen gründet, als Absolventen, die es selbst erlebt haben.

Es braucht also nur Vorbilder und schon klappt das Gründen leichter?

Pinkwart So pauschal kann man das nicht sagen. Ich denke, dass wir generell mehr Rollenmodelle in Deutschland bräuchten - weil sie mit ihren Geschichten andere motivieren. Aber wir leisten natürlich auch inhaltlich Unterstützung.

Wie sieht die aus?

Pinkwart Wir haben unsere Lehre noch stärker auf das Thema Gründungen ausgerichtet, etwa durch zusätzliche Professuren. Dazu stellen wir Ehemalige Gründern als Coaches zur Seite. Außerdem helfen wir Studenten dabei, früh Erfahrungen zu sammeln. Sie können ihre Pflichtpraktika zum Beispiel bei frisch gegründeten Start-ups an der HHL machen. Erfolgreiche Alumni beteiligen sich mit Risikokapital an diesen. Generell gilt: Je unternehmerischer sich eine Hochschule begreift, desto schneller etabliert sich eine Gründerkultur.

Inzwischen wurden 165 Start-ups an Ihrer Hochschule gegründet. . .

Pinkwart . . . und da sind viele Versuche, die sich nicht durchsetzen konnten, noch gar nicht mitgezählt. Natürlich macht uns das stolz. Inzwischen kommen immer mehr Studenten von sich aus zu uns, die den Gründer in sich spüren.

Also sollten sich NRW-Hochschulen ein Beispiel an der HHL nehmen?

Pinkwart Im nationalen Gründerradar wird die HHL als eine der besten Gründerhochschulen gerankt. In einer Welt des permanenten Wandels müssen wir offen für die neuen Themen in Wirtschaft und Gesellschaft sein. Deshalb arbeiten wir eng mit unseren Ehemaligen zusammen, die dafür wiederum in berufsbegleitenden Kursen an der HHL neuste Einblicke in die wissenschaftliche Forschung bekommen. Die Studenten können nicht nur die ersten Karriereschritte mit uns machen, sondern auch ihren weiteren Weg mit uns gehen. Diesen Ansatz sehe ich bei vielen anderen Hochschulen - auch in NRW - noch nicht.

Ihr Parteifreund Christian Lindner wurde zuletzt im NRW-Landtag von einem SPD-Politiker verspottet, weil er mit seinem Start-up eine Pleite hingelegt hat. Lindners Wutrede, in der er eine Kultur des Scheiterns forderte, wurde im Netz zum Hit. Hat er Recht?

Pinkwart Ich habe mir das Video mit Freude angesehen. Ich würde den Ausdruck "Kultur des Scheiterns" aber ungern verwenden - wer wollte schon jemanden zum Scheitern ermutigen. Ich glaube, es geht mehr um eine Kultur der zweiten Chance. Es geht darum, Fehler zuzulassen und daraus zu lernen. Wie bei Qiagen: Die wären 1990 ohne die Hilfe eines US-Investors und der Stadtsparkasse Düsseldorf pleite gewesen und sind heute ein weltweit operierender Biotechnologie-Konzern. Diese zweite Chance müssen auch andere bekommen.

Der Name Qiagen fällt immer, wenn es um Start-ups in NRW geht, dabei ist die Gründung schon 30 Jahre her. Ist das nicht ein Armutszeugnis für die NRW-Gründerkultur?

Pinkwart Es gibt in ganz Deutschland nur wenige Beispiele dieser Art. Ich glaube nicht, dass es an Ideen mangelt - eher am Mut sie umzusetzen. Die große Mehrzahl der Absolventen wird von etablierten Unternehmen umworben, das macht den Weg in die Selbständigkeit schwerer.

Was halten Sie eigentlich von den Plänen der Ministerpräsidentin, NRW zum "place to be" der digitalen Wirtschaft zu machen? Bislang ist davon nicht viel zu sehen.

Pinkwart Es gibt auch in NRW Erfolge, in Aachen, Dortmund oder Paderborn zum Beispiel. NRW leidet darunter, dass es viele verschiedene mittelgroße Standorte gibt. Dadurch fehlt das Magnetfeld, das mit München oder Berlin mithalten könnte. Insgesamt muss NRW noch aufholen. Dabei sehe ich Chancen: Es gibt viele Unternehmen, die im Umbruch sind - das bietet Möglichkeiten für Neuentwicklungen.

Wie unterscheidet sich der Osten beim Thema Gründungen von NRW?

Pinkwart Wenn unsere Studenten eine Idee entwickeln, überlegen sie direkt, ob sie international skalierbar ist, ob sie schnell wachsen kann und damit für große Investoren interessant wird. Eine solche Sichtweise fehlt uns vielfach in Deutschland. Dabei gilt gerade für die neuen Bundesländer, dass sie ihre Dax-Konzerne erst noch entwickeln müssen und daher groß denken sollten, genau wie im Westen, wo es nicht um das Bewahren des Bestehenden sondern um die Weiterentwicklung durch Innovation gehen muss.

FLORIAN RINKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(frin)
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