Führungskrise bei Bayer Und jetzt?

Leverkusen · Die Aktionäre haben den Bayer-Vorstand nicht entlastet und dem Aufsichtsrat einen Denkzettel verpasst. Doch wichtige Investoren gewähren dem Chef eine zweite Chance.

 Werner Baumann.  Foto: dpa

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Bayer war einmal die „Apotheke der Welt“, wertvollster deutscher Konzern und ein Vorbild an Stabilität. Doch nach der historischen Niederlage von Freitagnacht ist der Konzern ein Scherbenhaufen – und Werner Baumann ist unter den 30 Dax-Chefs der einzige, dem die Mehrheit der Eigentümer nicht mehr traut. Auf der Hauptversammlung hatten 55,5 Prozent der Aktionäre dem Vorstand die Entlastung verweigert. So etwas hat es weder bei Bayer noch einem anderen Dax-Konzern bisher gegeben.

Zuvor hatte es zwölf Stunden Kritik gehagelt – an der Übername des US-Konzerns Monsanto, am Kursverfall, an Bayers Krisenreaktion. Nur etwas besser kam der Aufsichtsrat um Chefkontrolleur Werner Wenning davon: Er wurde zwar entlastet, doch nur mit mageren 66 Prozent der Stimmen. Ein Drittel der Aktionäre ist offenbar auch mit der Arbeit der Kontrolleure unzufrieden.

Was bedeutet das Votum? Rechtlich unmittelbare Folgen hat die Nicht-Entlastung nicht. Doch der Bayer-Chef wackelt. Das zeigt auch die Krisenreaktion: Noch in der Nacht kam der Aufsichtsrat zu einer Sondersitzung zusammen, um dem Vorstand das Vertrauen auszusprechen. „Wir nehmen das Abstimmungsergebnis der Hauptversammlung sehr ernst“, erklärte Wenning. „Gleichzeitig steht der Bayer-Aufsichtsrat geschlossen hinter dem Vorstand.“ Solche Bekundungen – zumal zum zweiten Mal binnen weniger Wochen – sind nur nötig, wenn das Spitzenpersonal wankt.

Wie geht es weiter mit Baumann? Als der Vorstand der Deutschen Bank 2015 nur mit einem magerem Ergebnis entlastet worden waren, reichten die Co-Chefs Anshu Jain und Jürgen Fitschen kurze Zeit später ihren Rücktritt ein. Die Chance, den Finanzchef zu feuern, weil er vermeintlich die Investoren nicht im Griff hat, hat Baumann nicht – der langjährige Finanzvorstand Johannes Dietsch musste bereits als Bauernopfer gehen.

Der Krefelder Bäckersohn Baumann ist aber ein Kämpfertyp. Zudem ist der 56-Jährige Ziehsohn des Aufsichtsratschefs, und Wenning (72) selbst steht voll hinter Baumann und dem Monsanto-Deal. Entsprechend väterlich fällt auch seine Reaktion aus: „Der Aufsichtsrat wird dieses Votum zum Anlass nehmen, den Bayer-Vorstand dabei zu unterstützen, das Vertrauen der Aktionäre schnellstmöglich und vollständig wieder zurückzugewinnen.“ Höchste Priorität haben dabei die erfolgreiche Verteidigung in den Glyphosat-Verfahren.

Was sagen die Investoren? So lange der Opladener Chefkontrolleur ist, wird Baumann nicht gehen müssen. Zumal der Streubesitz bei Bayer hoch ist, es gibt – anders als etwa bei Thyssenkrupp – keinen Großinvestor, der jetzt eine Revolte anführen könnte. Noch nicht. Das Ganze könnte sich ändern, wenn ein aktivistischer Investor die niedrige Börsenbewertung nutzt und bei Bayer einsteigt. Dem aggressiven US-Fonds Elliott wird das bereits nachgesagt. Noch läge sein Anteil aber unter der Meldeschwelle von drei Prozent. Den Vorstand treiben und aus dem Amt jagen – das wäre nach Elliotts Geschmack.

Die Deka, mit einem Prozent der Anteile großer Aktionär, hat das laut Fondsmanager Ingo Speich nicht vor. Eine Ablösung Baumanns würde die Probleme nicht lösen, sondern nur vergrößern, meint Speich. Das Alltagsgeschäft würde leiden und Zeit zur Einarbeitung eines Neuen hat Bayer auch nicht.

Großaktionäre wollen dem Vorstand deswegen eine zweite Chance und ein Jahr mehr Zeit geben: „Das Abstimmungsergebnis ist ein heftiger Schuss vor den Bug für Herrn Baumann, aber auch für Herrn Wenning. Vorstand und Aufsichtsrat haben jedoch eine zweite Chance verdient, um die Risiken in den Griff zu bekommen und das Unternehmen wieder auf einen stabilen Wachstumspfad zurückzuführen“, sagte Janne Werning, Analyst bei Union Investment, am Sonntag. „Ein überstürzter Austausch des Vorstandsvorsitzenden würde das Risiko einer Zerschlagung erhöhen.“

Gäbe es einen Nachfolger? Aus dem Kreis der Vorstände ist Liam Condon, der Chef der Agrochemie, der profilierteste Manager. Der Ire wäre eventuell ein möglicher Nachfolger, falls Baumann doch von sich aus geht. Einerseits ist der 51-Jährige, der sechs Sprachen spricht, geschmeidiger im Umgang mit Kritikern und nicht so technokratisch wie Baumann, andererseits steht auch er für den Monsanto-Deal. Er war hier stets der dritte Mann nach Wenning und Baumann. Letztlich haben die Aktionäre auch ihm die Entlastung verweigert.

Wie ist die Stimmung im Konzern? Die Mitarbeiter sind schockiert, da helfen auch Beruhigungsbriefe des Vorstands nicht. Die Pharmasparte fühlt sich vernachlässigt. Zudem werden konzernweit 12.000 der 118.000 Stellen abgebaut. Auch erste Politiker sind alarmiert. „Wenn Bayers Konzernspitze stur weiter macht wie bisher, droht das Unternehmen zu einem zweiten RWE in NRW zu werden“, sagte Sven Giegold, Grünen-Spitzenkandidat zur Europawahl.

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