Gastbeitrag Wir brauchen eine Enquete-Kommission für Digitalisierung
Meinung · NRW ist bei der Digitalisierung auf einem guten Weg. Doch um langfristig erfolgreich zu sein, bedarf es einer Strategie, die konsequent weiterentwickelt wird. Dazu sollte der Landtag eine Enquete-Kommission einsetzen. Ein Gastbeitrag.
Allzu oft wird die Digitalisierung wie ein immer wiederkehrender Sturm von außen wahrgenommen. Sie offeriert einerseits Chancen einer neuartigen Lebens- und Arbeitsgestaltung und trägt insgesamt zur wertschöpfenden Steigerung von Wohlstand und Wohlfahrt bei. Andererseits löst sie neben augenfälligen Sturmschäden, die kurz- und mittelfristig beseitigt werden können, auch langfristig grundlegende Veränderungen aus. Dabei durchdringt sie Wirtschaft und Gesellschaft bereits mit ihrer allgegenwärtig empfundenen Kraft so ausgeprägt, dass in der Öffentlichkeit angesichts einer politisch bislang weder gebändigten noch gelenkten Digitalisierung oft die grundsätzliche Frage 'Wie wollen wir mit und durch Digitalisierung zukünftig leben?' aufgeworfen wird.
Der digitalen Transformation in NRW hat sich das wirtschaftlich so starke Bundesland insofern relativ frühzeitig zugewendet, als dass es bereits 2014 eine Stabsstelle für digitale Wirtschaft schuf und die Initiative 'Digitale Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen' ins Leben rief. Sie fokussierte auf die Förderung von digitalen Start-Ups und verfolgte als zentrales Ziel, NRW zu einer 'Vorreiterrolle beim Thema Digitalisierung' zu verhelfen.
Auch die im Jahr 2017 gewählte Landesregierung hat die 'digitalen Zeichen der Zeit' erkannt.
Während in 2018 auf der Bundesebene 50 einschlägige Organisationen ein Digitalisierungsministerium einforderten, verfügt NRW bereits seit 2017 mit Andreas Pinkwart über einen Minister mit eigenem Ministerium für Digitalisierung. Ebenso ist über die Kernzuständigkeit seines Hauses hinaus z.B. im Verkehrsministerium der Aufbau einer eigenen Abteilung zur digital vernetzten Mobilität im vollen Gange. Und auch Ministerpräsident Armin Laschet verkündet zunehmend mehr die Digitalisierung als ein wichtiges Handlungsfeld seiner Politikgestaltung der Zukunft.
Es bedarf eines systematischen politischen Vorgehens
Um in diesem immer noch weitgehend unbekannten Terrain der digitalen Transformation selbstbestimmt und nachhaltig den digitalen Wandel mitgestalten zu können, bedarf es eines überlegten und systematischen politischen Vorgehens. Deshalb ist es zu begrüßen, dass bereits im Digitalisierungsministerium sowie im Ausschuss für Digitalisierung und Innovation des Landtages an der Entwicklung ganzheitlicher Strategien der digitalen Transformation gearbeitet wird.
Gegenwärtig befindet sich NRW bereits auf einem guten Weg. Basierend auf dem Koalitionsvertrag stehen kurzfristig notwendige Maßnahmen, wie etwa Infrastrukturausbau, Digitalisierung der Verwaltung und Förderung von digitalen Start-Ups auf der Agenda der Landesregierung und werden schon vom Digitalisierungsministerium umgesetzt.
Digitalpolitik war bisher durch unkoordinierte Förderprojekte geprägt
War die bisherige Digitalisierungspolitik überwiegend durch einzelne Regulierungsmaßnahmen und unkoordinierte Förderprojekte geprägt, kann jetzt mit dem Tandem aus Digitalministerium und Landtagsausschuss nicht nur eine Digitalpolitik aus einem Guss etabliert werden. Vielmehr kann nun auch eine ambitionierte Strategie einer digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in NRW entworfen und realisiert werden, die der Mächtigkeit des beharrlichen Megatrends Digitalisierung gewachsen ist und den Ansprüchen des traditionsreichen Bundeslandes entspricht.
Schließlich würde ein zu ausgeprägtes Verharren im Status quo des Bescheidenen und Machbaren mit der Gefahr einhergehen, allzu oft vom Sturm getrieben zu sein oder sogar zu glauben, vor ihm flüchten zu können. Angesichts der großen Bedeutung der Digitalisierung für Volkswirtschaften würde sich eine solche Digitalisierungspolitik als wenig hilfreich für die Sicherung und den Ausbau der Zukunftsfähigkeit des Landes erweisen. Anstatt passiv auf das zu warten, was an neuen Digitalisierungsböen oder -orkanen irgendwann auf das Land zukommt, darf und kann ein großes Bundesland wie NRW jetzt daran arbeiten, nicht nur den Sturm der Digitalisierung zu nutzen oder sogar mit zu bändigen, sondern auch nach eigenen Maßstäben eigene Ziele zu setzen und erfolgreich zu verfolgen.
Mit dem durch die neue Landesregierung in NRW eingeleiteten Aufbruch geht die Chance und Notwendigkeit einher, digitalpolitisches Neuland zu betreten.
Zwar werden Anwendungen schon bekannter Digitaltechnologien weiterhin kurzfristig zu fördern sein. Es drängt sich schlichtweg auf, jetzt mittels einer Digitalisierung z.B. die öffentliche Verwaltung zu entbürokratisieren.
Politik muss die Zukunftsfähigkeit des Landes im Blick behalten
Darüber hinaus bedarf es aber auch einer Politik der digitalen Transformation, die über den Tellerrand der Gegenwart schaut und die Zukunftsfähigkeit des Landes im Blick behält. Anstatt lediglich anlassbezogen die Oberfläche des gegenwärtig digitalpolitisch Möglichen zu tangieren, gilt es, das digitalpolitisch Erforderliche zumindest mittel- und langfristig möglich zu machen. Will NRW weiterhin im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen, bedarf es der frühzeitigen Schaffung von Voraussetzungen, mittels derer in der Zukunft in NRW aus eigner Kraft noch mehr digitale Innovationen, Treibertechnologien und Zukunftsmärkte entstehen.
Um die Innovationsdynamik aufrechterhalten und steigern zu können, muss eine ambitionierte Strategie über den zeitlichen Korridor einer Legislaturperiode hinauswirken dürfen. Obgleich der Ertrag solcher Zukunftsinvestitionen sich oft erst in späteren Legislaturperioden auszahlt, trägt er kontinuierlich zur Verbesserung der Zukunftsfähigkeit des Landes bei.
Auch hier ist NRW auf einem guten Weg. Schließlich wurde in NRW mit der projektbezogenen Förderung der digitalen Wirtschaft bzw. von innovativen Start-Ups bereits ein Nukleus der Innovationsdynamisierung geschaffen. Sollen allerdings aus einer gestärkten Innovationsdynamik in der Zukunft mehr digitale Geschäftsmodelle als bislang aus NRW von selbst und ohne die Gewährung staatlicher Anreize entstehen, so darf sich eine Politik der digitalen Transformation nicht mit der aktuellen Unterstützung von digitalen Start-Ups begnügen. Vielmehr muss sich eine vorsorgende, an den Wurzeln ansetzende Digitalisierungspolitik zumindest ergänzend auch der Schule und der Hochschule als vorgelagerte Instanzen in der Wertschöpfungskette zuwenden. Nur so können zugleich allgemein notwenige Digitalkompetenzen aufgebaut und die Steigerung der Anzahl derjenigen gewährleistet werden, die zukünftig sowohl zur Gründung bereit als auch bestens befähigt sind. Die jüngste Forschung zeigt zwar auf, dass Gründungsmündigkeit und -kompetenz genauso wie ein aufgeklärter Gründungsgeist schulisch nur begrenzt kurzfristig gefördert werden kann. Allerdings offeriert sie zugleich neue Möglichkeiten einer effizienten und legitimen hochschulischen Gründungsförderung.
Auch Ministerien und Ausschüsse müssen lernen dürfen
Nicht nur die Zuwendung und Einbindung der Schul- und Wissenschaftspolitik, sondern auch die Konzeption und Umsetzung nun anstehender digitaler Großprojekte - wie z.B. die frühzeitige Etablierung des autonomen Fahrens in NRW - erfordern eine ausgeprägte Bereitschaft und Befähigung zur intra- und interministeriellen Koordination.
Bereits mit diesen ersten Schritten auf digitalpolitischem Neuland wird die Größe der Herausforderung deutlich. Altbewährtes wird in Frage zu stellen sein und Neuzuschaffendes muss sich bewähren. Die an die Digitalisierungspolitik anzulegenden Maßstäbe sind genauso zu klären, wie die Ziele, die mit der Politik verfolgt werden. Es gilt nicht nur die Chancen und Risiken auszuloten, sondern auch überlegt zu bestimmen, welche von Wirtschaft und Gesellschaft zugleich begrüßte neue Wertschöpfungsquellen zukünftig mit und durch die Digitalisierung zu erschließen sind.
Zugleich fällt Kompetenz zur Gestaltung strategischer Digitalpolitik schlichtweg nicht vom Himmel. Auch Ministerien und Landtagsausschüsse müssen lernen dürfen und können sich im Alltag der Aufgabenerfüllung nicht immer grundsätzlichen und langfristig relevanten Fragestellungen in dem Maße widmen, wie sie es oft selbst als zielführend erachten würden.
Um weiterhin auf gutem Weg voran zu kommen und zugleich mittels der Digitalisierung die Zukunftsfähigkeit des Landes sichern und ausbauen zu können, ist anzuraten, nicht nur über Beiräte in den Ministerien sowohl den noch großen Bedarf an einem Vor- und Mitdenken zu decken als auch Maßstäbe sowie Ziele von Strategien kontinuierlich fortzuentwickeln.
Vielmehr bietet sich beim Thema digitale Transformation an, im Landtag eine überfraktionell arbeitende Enquete-Kommission einzurichten. Sie kann sich konzentriert den langfristigen Herausforderungen aus unterschiedlichen Disziplinen zuwenden und die nicht nur die ethische, sondern u.a. die soziale, ökonomische, ökologische sowie informationstechnische Perspektiven einbinden. Schließlich sind solche Entwürfe zur digitalen Zukunft des Landes zu erarbeiten, die in der Bevölkerung des Landes allseits begrüßt und mitgetragen werden.
Ulrich Braukmann und Thomas Schauf sind Gründungsmitglieder im Beirat Digitale Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen.