Analyse Karstadts Überlebenschancen sind gering

Essen · Der Warenhausbetreiber steckt seit mehr als einem Jahrzehnt in der Krise. Sparprogramme, Umbauten, Manager- und Eigentümerwechsel haben nichts gebracht. Vermutlich müssen weitere Niederlassungen schließen. Es fehlt am Mut zu Investitionen.

Die Zukunft der Warenhauskette Karstadt sieht alles andere als rosig aus.

Die Zukunft der Warenhauskette Karstadt sieht alles andere als rosig aus.

Foto: dpa, bt kno

Die Welt wird niemals neu erfunden, auch nicht in einem deutschen Warenhaus. Und so ist einiges von dem, was der ums Überleben kämpfende Warenhausbetreiber Karstadt in jüngster Vergangenheit als Strategie der Zukunft verkauft hat, alter Wein in neuen Schläuchen. Wie die Idee mit den Kaufhäusern für den Erlebniskauf und jenen für die Deckung des täglichen Bedarfs. Ähnliche Konzepte für das Warenhaus-Geschäft verbargen sich früher hinter so hübschen Vokabeln wie Flaggschiffe und Glanzlichter, Herzstücke oder Spartaner. Oder Karstadt Kompakt, dem später die Marke Hertie aufgeklebt wurde.

Die Krise, die nun schon mehr als ein Jahrzehnt dauert, hat all das nicht verhindert. Und auch jetzt fällt es schwer, an den Erfolg von Karstadt als Nahversorger in den Städten zu glauben. Dafür braucht den Traditionskonzern aus Essen niemand. Es gibt Discounter, Super- und Fachmärkte en masse - wer muss dafür zu Karstadt gehen? Erlebniskauf dagegen macht sehr wohl Sinn, weil das etwas mit Freizeitgestaltung, mit Sinneserfahrung und Wohlfühlen zu tun hat. Aber um dieses Gefühl beim potenziellen Kunden zu erreichen, müsste Karstadt viele Häuser noch viel stärker modernisieren, und dafür nimmt derzeit niemand Geld in die Hand.

Benko ist abgetaucht

Derjenige, von dem man es erwarten dürfte, ist abgetaucht. Es gibt Leute, die nehmen René Benko, den Mitinhaber des Karstadt-Eigentümers Signa, im Mittelmeer wahr, auf großen Jachten mit schillernden Promis und großen Partys. Karstadt spielt in dieser Welt der Reichen und Schönen eine untergeordnete Rolle, und das ist noch höflich formuliert. Vermutlich, so sagen Branchenbeobachter, hatte der österreichische Immobilienunternehmer Benko bei seinem Einstieg die Vision, aus Karstadt-Immobilien Shopping-Center zu machen. Nur gehört ihm heute kein einziges Warenhaus mehr, nachdem er seinem israelischen Ex-Partner Barry Steinmetz 19 Karstadt-Filialen überlassen hat. Was ihn jetzt noch am operativen Warenhausgeschäft reizen könnte, weiß niemand - auch weil Benko dazu nichts mehr sagt.

Wenn aber schon der Eigentümer nicht für Investitionen bereitsteht, ist es um die Zukunft von Karstadt schlecht bestellt. "Allein die Modernisierung der Warenwirtschaft einschließlich aller Anforderungen der Digitalisierung würde eine halbe Milliarde Euro kosten", sagt Gerrit Heinemann, Handelsexperte und Professor an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Dazu kämen notwendige Investitionen in die Filialen. Am Ende ist man da leicht im Milliardenbereich - bei einem Konzern, der mit schwindenden Umsätzen und Millionenverlusten zu kämpfen hat.

So hat Karstadt kaum eine Überlebenschance. Für fünf Niederlassungen ist gerade die Schließung im kommenden Jahr verkündet worden. Und wen auch immer man fragt - niemand glaubt ernsthaft, dass damit das Ende der Schließungswelle erreicht ist. Heinemann spricht von 30 bis 40 Filialen, die vermutlich keine Zukunft haben. Gerd Hessert, Lehrbeauftragter für Handelsmanagement an der Uni Leipzig, hat nach mehreren Kriterien eine Liste mit Wackelkandidaten aufgestellt. Dazu gehören Häuser wie Wismar, Memmingen, Bayreuth, Siegen, Gummersbach, Viernheim und Bremerhaven, die weniger als 15 Millionen Euro Umsatz machen und damit wie die zu schließenden Häuser in Bottrop und Dessau die kritische Größe unterschreiten.

Dazu kommen Filialen in Shopping-Centern wie München und Frankfurt, in denen der Konkurrent Galeria Kaufhof aus Hesserts Sicht das bessere Haus hat, oder Standorte in Stadtteilen von Großstädten ohne Perspektive. Was auffällig ist: Hesserts Prognosen aus der Vergangenheit sind in der Regel Wirklichkeit geworden. "Die jetzigen Ankündigungen können nicht die letzten gewesen sein, wenn man den Kern von Karstadt erhalten will", sagt der Experte

Karstadt kann Rückstand auf Kaufhof nicht aufholen

Was Kaufhof angeht: Auch am Kölner Konkurrenten lassen sich Karstadt-Fehler der Vergangenheit festmachen. "Kaufhof hat früh das Galeria-Konzept eingeführt: weniger Abteilungen mit mehr Kompetenz und mehr Auswahl", sagt der Gladbacher Professor Heinemann. Zudem habe die Metro-Tochter das Geschäft mit Eigenmarken früh gepusht. Heute habe das Unternehmen einen Eigenmarken-Anteil von 40 Prozent am Umsatz, und deshalb sei die Marge deutlich besser als bei Karstadt. "Den Rückstand kann Karstadt nicht aufholen", sagt Heinemann. Ein Beispiel aus einer langen Reihe von Fehlern, die unter anderem auch darin lagen, dass die Essener das Onlinegeschäft verschlafen haben, und dass es in Zeiten, da Kaufhof schon der strengen Aufsicht durch die Metro unterlag, in Essen an Kostenkontrolle fehlte. Karstadt-Manager dagegen rechneten sich die Zahlen gern auch mal mit Immobilienverkäufen schön.

Es bleibt also das große Sparen. "Karstadt wird auch Gespräche mit anderen Vermietern führen, so wie es das jetzt bestimmt mit Highstreet getan hat. Sobald Ergebnisse vorliegen, wird man vermutlich wieder Schließungen verkünden", glaubt Hessert. Die große Frage ist tatsächlich: Warum sollten sich Vermieter auf geringere Mieten einlassen, wenn dem Investor Steinmetz bei der Übernahme von 19 Kaufhäusern aus der Signa-Gruppe auch keine Nachlässe abgerungen wurden? Das einzige Ergebnis der Gespräche mit Highstreet war am Ende, dass Karstadt - vermutlich gegen Einmalzahlung - aus laufenden Mietverträgen ausgestiegen ist und den Betrieb einstellt.

Also bleiben mal wieder nur die Personalkosten als Stellschraube. "Das konzeptlose Sparen muss aufhören", hat Verdi-Verhandlungsführer Arno Peukes gefordert. Die Gewerkschaft verlangt immer noch ein Zukunftskonzept, sie fordert Beschäftigungs- und Standortsicherung, sie macht Investitionen durch den Eigentümer zum Muss. Das alles prallte bisher wie an einer Betonwand ab. Am Freitag wird in Frankfurt wieder mal verhandelt. Danach könnte ein neuer Streik drohen.

(gw)
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