Corona-Öffnungsstrategie Über 40 Kandidaten für die Modellkommunen

Düsseldorf · Kommunen, die an dem Modellversuch des Landes Nordrhein-Westfalen teilnehmen wollen, müssen die Digitalisierung weit vorangetrieben haben und im Gesundheitsamt die Sormas-Software einsetzen.

 Andreas Pinkwart (FDP), Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, in der Staatskanzlei in Düsseldorf.

Andreas Pinkwart (FDP), Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, in der Staatskanzlei in Düsseldorf.

Foto: dpa/Marius Becker

NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat die geplanten Öffnungen in Modellkommunen gegen Kritik verteidigt. „Wir können uns vorstellen, damit besser durch die Krise zu kommen“, sagte Pinkwart am Dienstag in Düsseldorf. Viele Menschen steckten mittlerweile in gravierenden finanziellen Schwierigkeiten. Voraussetzung für die Öffnung der Städte und Gemeinden sei aber, dass der Dreiklang aus Impfen, Testen und digitaler Kontaktnachverfolgung in den Modellkommunen funktioniere. Vorbild sei die Stadt Tübingen. Die Kosten trügen die Kommunen.

Städte und Gemeinden, die an dem Testversuch teilnehmen wollen, müssen die Digitalisierung bereits vorangetrieben und etwa in ihren Gesundheitsämtern die Sormas-Software eingeführt haben. Ziel sei es, dass auch Testergebnisse per App auf dem Smartphone registriert würden und nicht wie bisher überwiegend auf Papier, erläuterte Pinkwart. Auch müssten die Städte und Gemeinden Kriterien für einen Abbruch des Versuchs definieren – etwa für den Fall, dass die Infektionen stark stiegen oder begleitende Wissenschaftler für einen Stopp plädierten, wie aus einem Schreiben des Ministers an die Bürgermeister hervorgeht. Darin sind die Kommunen angehalten, ihre Konzepte auf maximal drei Seiten zu schildern.

Über 40 Städte und Gemeinden hatten sich Pinkwart zufolge interessiert gezeigt. Als Mitfavoriten auf den Zuschlag gelten unter anderem die Stadt Köln wegen ihrer ausgeprägten Start-up-Szene und Winterberg. Eine erste Auswertung soll es Ende April geben. Danach könnten die Modelle auf andere Kommunen ausgeweitet werden. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt durch das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Auch Start-up-Unternehmen, Wirtschaftsverbände und der Expertenrat des Landes sollen einbezogen werden, ebenso wie Mediziner.

Handels- und Unternehmensvertreter begrüßten das Vorhaben: „Das ist eine gute Idee. Der Ansatz in NRW ist genau der richtige, da kann man der Landesregierung nur den Rücken stärken. Mehr Freiheit geht nur mit mehr Testen“, sagte etwa Peter Achten, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes NRW, unserer Redaktion. Städte und Gemeinden müssten ausreichend Tests zur Verfügung stellen können und hinreichend digitalisiert sein, damit die Kontrolle gut funktionieren könne, so Achten. Eine Testpflicht für Unternehmen lehnte er ab: „Ehe man über eine solche Pflicht redet, müssten ausreichend Kapzitäten da sein.“

 Auch Verena Göppert, stellvertretende Geschäftsführerin des Städtetages NRW, zeigte sich zuversichtlich, dass der Probebetrieb zur Eindämmung der Pandemie beitragen kann: „Diese Modellprojekte, die mit einer Teststrategie flankiert sein werden, dürfen nicht als generelles Öffnungssignal missverstanden werden. Durch die Projekte soll das Pandemie-Risiko gerade nicht erhöht werden, sondern der Umgang mit den Risiken durch ein verstärktes digitales Pandemie-Management verbessert werden.“

Deshalb sei es sinnvoll, dass die Modellprojekte wissenschaftlich begleitet und ausgewertet würden. Und es sei richtig, Abbruchkriterien festzulegen, damit bei einer schwierigen Lage vor Ort rechtzeitig umgesteuert werden könne: „Die Städte wollen wieder mehr gesellschaftliches Leben ermöglichen, sobald das verantwortbar ist.“ Die Auswahl der Projekte müsse aber nachvollziehbar und transparent sein – von über 40 Kommunen kämen nur sechs bis acht zum Zuge.

NRW-Grünen-Co-Fraktionschefin Josefine Paul kritisierte hingegen: „Wenn mit den Modellprojekten weitere Öffnungsschritte verbunden sind, sollten diese aus unserer Sicht nur bei niedrigen Inzidenzwerten durchgeführt werden.“ Hierzu gebe es keine Regelung der Landesregierung, eben so wenig, wie zur finanziellen Unterstützung durch das Land. SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty wiederum gehen die Öffnungen nicht weit genug: „Dass die Landesregierung diesen Weg nur für einen Bruchteil der NRW-Kommunen gehen will, ist für uns nicht nachvollziehbar. Was spricht für sechs bis acht Modellkommunen, das gegen all die anderen rund 40 Kommunen spricht, die ebenfalls mit intelligenten Lösungen das öffentliche Leben unter den dafür nötigen Bedingungen möglich machen wollen?“

Das Vorgehen der Landesregierung sei im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv: Denn bei diesem Modellvorhaben sei mit enormen Verkehrsflüssen zu rechnen: „Viele Menschen werden sich in wenigen Städten knubbeln. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Was wir daher dringend brauchen, ist eine digitale Test-Infrastruktur für das ganze Land.“

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