Christoph Schmidt "Trumps Wahlprogramm war verstörend"

Essen · Der Chef der Wirtschaftsweisen über die Herausforderungen 2017: Trump, Italien und die Rentenpolitik.

Christoph Schmidt ist Präsident des RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen und Chef der Wirtschaftsweisen. Wir sprachen mit ihm über die Herausforderungen im kommenden Jahr.

In wenigen Wochen tritt Donald Trump als neuer US-Präsident an. Sind Sie besorgt?

Christoph Schmidt Ja, durchaus. Sein Wahlprogramm war teils verstörend. Und seit dem Wahlsieg schwankt er nach meinem Eindruck zwischen rhetorischer Abrüstung und neuerlicher Provokation. Es gilt abzuwarten, was er tatsächlich umsetzt, wenn er im Amt ist.

Trump nennt als Vorbild Ronald Reagan, der die Steuern massiv senkte.

Schmidt Kurzfristig brachten die Reagonomics Wachstum, aber langfristig trugen sie zum Aufbau von Krisenpotenzial bei. So hat etwa die Finanzkrise 2007 ihre Wurzeln nicht nur in Regulierungsfehlern und den Reaktionen auf die geplatzte Dotcom-Blase sowie auf die Ereignisse des 11. September. Die Politik der 1980er-Jahre hatte auch ihren Anteil.

Wie das?

Schmidt Unter Reagan stieg die Staatsverschuldung, die Kreditvergabestandards wurden gesenkt und die soziale Spaltung des Landes vergrößerte sich. Letztere Tendenz hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im Gegensatz etwa zu Deutschland fortgesetzt. Auch die Wahlen 2016 waren nicht zuletzt offenbar eine Reaktion auf die große Ungleichheit in den USA.

Trump lehnt das Freihandelsabkommen TTIP ab. Ist es jetzt tot?

Schmidt Die Europäer haben TTIP ja bereits selbst ausgebremst. Dabei profitieren alle von offenen Märkten und angeglichenen Standards, gerade die deutsche Wirtschaft. Wo sollen sonst unser künftiger Wohlstand und dessen Wachstum herkommen, wenn nicht durch tiefere Arbeitsteilung in größeren Märkten?

Kritiker sorgen sich, dass wegen TTIP Schiedsgerichte entstehen und damit eine Art rechtsfreie Räume.

Schmidt Diese Sorge verkennt, dass Schiedsgerichte gerade deutschen Unternehmen eine höhere Rechtssicherheit bieten. Deutsche Unternehmen haben in der Vergangenheit ja sogar Schiedsgerichte gefordert, um Streitigkeiten mit Firmen aus Ländern mit unterentwickelten Rechtssystemen zu lösen. Um dem Eindruck rechtsfreier Räume entgegenzuwirken, halte ich es für sinnvoll, eine Berufungsinstanz zu schaffen und die Verhandlungen öffentlich zu führen.

Der zweite Krisenherd 2017 ist Italien. Kommt die Euro-Krise zurück?

Schmidt Das kann man nicht ausschließen, wenngleich diese Gefahr meiner Einschätzung nach nicht akut ist. Italien ist nicht vom Kapitalmarkt abgeschnitten, es hat eine halbwegs funktionierende Steuerverwaltung und die Primärsalden des Staates sind deutlich positiv. Das alles unterscheidet es von Griechenland. Zudem hat sich Europa seit dem Jahr 2010 weiterentwickelt, im Euro-Raum gibt es mittlerweile beispielsweise eine Bankenunion.

Die besagt, dass bei einer Bankenkrise Gläubiger und Eigentümer ihre Bank retten müssen und dann erst der Steuerzahler einspringt. Genau das wird gerade zum Problem, weil die Eigentümer der Monte dei Paschi Kleinanleger sind.

Schmidt Die neuen Haftungsregeln ("Bail-In") sind vernünftig und grundsätzlich geeignet, Banken zu verantwortungsvollerem Handeln zu zwingen. Nun darf man beim ersten ernsthaften Anwendungsfall die neuen Regeln nicht gleich wieder aushebeln und damit die Glaubwürdigkeit der Bankenunion über Bord werfen. Wie es aussieht, geschieht aber genau das jetzt in Italien. Ich halte das für einen großen Fehler. Nicht die Steuerzahler, sondern die Gläubiger der Bank hätten zu ihrer Rettung beitragen müssen. Der italienische Staat hätte anschließend aus sozialpolitischem Anliegen heraus geschädigten Bürgern helfen können, auf diese Weise wären beide Aspekte sauber voneinander getrennt worden.

Sorgt Sie nicht der Schuldenberg von 135 Prozent, den Italien aufgehäuft hat?

Schmidt Mich sorgt vor allem, dass Italien nicht genug tut, um seine Schulden zu reduzieren. Die Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren kaum gewachsen. Die Reformbemühungen waren nicht ausreichend, um Rahmenbedingungen für steigende Investitionen und damit für nachhaltiges Wachstum zu schaffen. Um aufzuholen, muss Italien mehr tun, als Ministerpräsident Renzi es vorhatte. Und nicht einmal dem wollte die Mehrheit der Italiener folgen.

Jetzt rettet der Italiener Mario Draghi das Land mit der Notenpresse.

Schmidt Viele Deutsche machen EZB-Präsident Draghi zum Buhmann, das ist aber zu einfach gedacht. Die Europäische Zentralbank ist schließlich dort eingesprungen, wo die Politik versagt hatte. Mit seinem Satz, er werde den Euro retten "koste es, was es wolle", hat Präsident Draghi im Sommer 2012 die Märkte vor Panik bewahrt. Ohne diese Ankündigung wäre die Euro-Zone vielleicht schon auseinandergefallen. Nun ist es an der Zeit, dass die EZB wieder vom Gas geht — aber gleichzeitig muss die Politik endlich die nötigen Strukturreformen angehen. Dies betrifft vor allem die großen Euro-Mitgliedstaaten Frankreich und Italien.

Beherrschendes Thema bleibt die Flüchtlingskrise. Wie wirkt sie sich auf den deutschen Arbeitsmarkt aus?

Schmidt Im Jahr 2015 sind rund 900.000 Flüchtlinge zu uns gekommen, in diesem Jahr nochmals rund 300.000 Personen. Darunter sind vor allem junge Männer, die in den Arbeitsmarkt integriert werden müssen. Zunächst wird die Arbeitslosigkeit unter den anerkannten Asylbewerbern stärker steigen als die Erwerbstätigkeit. Wir schätzen, dass gegen Ende des laufenden Jahrzehnts etwas weniger als 300.000 Personen arbeitslos und rund 300.000 erwerbstätig sein werden. Für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration müssen wir alles daran setzen, gute Angebote für ihre Bildung und berufliche Qualifikation bereitzustellen. Wir müssen aber auch einfordern, dass diese angenommen werden.

Um die Beschäftigungschancen zu erhöhen, könnte man den Mindestlohn für sie aussetzen.

Schmidt Ökonomisch wäre das vielleicht sinnvoll, doch eine solche Ausnahmeregelung nur für Flüchtlinge dürfte viel Unmut stiften. Das sollte man unbedingt vermeiden. Besser wäre es daher, wenn man Flüchtlinge von vornherein als Langzeitarbeitslose einstufte. Das wäre ja angesichts der langen Dauer von Flucht und anschließendem Asylverfahren durchaus angemessen, und die Ausnahmegenehmigung würde umgehend greifen. Sinnvoll wäre es darüber hinaus, die Zeit, für die für Langzeitarbeitslose der Mindestlohn ausgesetzt werden kann, von sechs auf zwölf Monate zu erhöhen.

Forscher haben gesagt, der Mindestlohn vernichte Hunderttausende Jobs. Das ist nicht geschehen. War alles Panikmache?

Schmidt Meiner Einschätzung nach nicht, denn der Mindestlohn ist auf einen boomenden Arbeitsmarkt getroffen. Erst in der nächsten Rezession wird sich zeigen, welches Schadenspotenzial er in sich birgt. Die Prognosen, wonach durch den Mindestlohn Hunderttausende Stellen wegfallen würden, bezogen sich im Übrigen ohnehin auf einen längeren Zeitraum. Die finale Bestandsaufnahme steht daher noch aus.

Zum Jahreswechsel steigt der Mindestlohn auf 8,84 Euro. Verdi fordert zehn Euro, andere noch mehr.

Schmidt Hier gilt wie so oft: Die Dosis macht das Gift. Ein Mindestlohn von zehn Euro dürfte auch bei einem entspannten Arbeitsmarkt Stellen kosten. Dies gilt insbesondere für Arbeitskräfte, deren Produktivität nicht reicht, um einen Stundenlohn von 8,84 Euro zu erwirtschaften.

Das andere sozialpolitische Thema 2017 ist die Rente. Ministerin Nahles will Haltelinien einführen. Brauchen wir die?

Schmidt Die Frage ist vor allem, ob wir sie uns leisten sollten. Ich bin da skeptisch. Schon heute ist die Finanzierung der gesetzlichen Rente nicht dauerhaft sichergestellt, es besteht eine deutliche Schieflage zu Lasten der nachfolgenden Generationen. Wenn weniger Aktive mehr Rentner unterstützen müssen, dann führt eine Untergrenze für das Rentenniveau zwangsläufig zu noch höheren Beitragssätzen für die Beschäftigten. Doch diese steigen in den kommenden Jahrzehnten aufgrund des demographischen Wandels ohnehin schon. Wir sollten die nachfolgenden Generationen also nicht noch weiter überfordern.

Ein Ausweg wäre es, das Renteneintrittsalter zu erhöhen ...

Schmidt Wollen wir das Rentenniveau ohne wesentlich höhere Beiträge sichern, brauchen wir in der Tat ein höheres Renteneintrittsalter. Der Sachverständigenrat hat dies mit Berechnungen unterlegt: Wenn das Renteneintrittsalter 2060 bei 69 Jahren läge und 2080 bei 71, würde das Rentenniveau bis 2080 immerhin nicht unter 42 Prozent fallen. So würde die auch nach dem Jahr 2030 weiter steigende Lebenserwartung im fortgeschrittenen Alter doch recht fair zwischen Arbeit und Ruhestand aufgeteilt.

Das sehen viele Ältere anders.

Schmidt Halt! Wer 2080 mit 71 in Rente geht, wurde 2009 geboren. Es geht hier also überhaupt nicht um die Rentner oder älteren Erwerbstätigen von heute. Genauso wenig bedeutet die Senkung des Rentenniveaus, dass Rentnern von heute die Rente gekürzt wird oder künftige Rentner eine geringere Rente erhalten. Die Senkung des Rentenniveaus besagt lediglich, dass die Rente eines sogenannten Standardrentners nicht so schnell wächst wie der Durchschnittslohn der Beitragszahler. Beide Größen werden in den kommenden Jahrzehnten aber voraussichtlich stärker steigen als das Preisniveau. Da gibt es leider viele Missverständnisse, und nicht zuletzt deshalb wird das Thema teils sehr emotional diskutiert.

Und was ist mit dem sprichwörtlichen Dachdecker, der schon mit 60 nicht mehr aufs Dach kann?

Schmidt Wer etwas für solche Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Problemen tun will, sollte lieber bei der Erwerbsminderungsrente ansetzen. Die Bundesregierung hat dieses Problem bereits erkannt und erste Schritte unternommen.

Über den Tisch gezogen werden die Jungen auch durch die Geldpolitik. Die Nullzinsen führen dazu, dass die Lebensversicherung für Neukunden tot ist.

Schmidt Aktuell ist das Zinsniveau in der Tat zu niedrig. Problematisch ist die andauernde Niedrigzinsphase dabei nicht nur für die Sparer. Sie erzeugt nicht zuletzt einen erheblichen Druck auf die Profitabilität der Banken und Versicherungen. Angesichts der konjunkturellen Erholung im Euro-Raum und der anziehenden Inflation halte ich einen schrittweisen Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik für angezeigt.

Das Gespräch führte Antje Höning.

(RP)
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