Trendreport Ernährung 2023 Konsumenten brauchen Lenkung, aber die richtige

Analyse · Der aktuelle Trendreport Ernährung zeigt: Gesundes und klimaschonendes Essen ist beliebt. Gerade diese Produkte sind derzeit inflationsbedingt allerdings recht teuer. Die Grünen wollen die Steuer auf Gemüse senken, andere womöglich erhöhen. Was bringt diese Steuerung?

Inwieweit käme die Mehrwertsteuersenkung auf Obst und Gemüse bei Vebrauchern an und gibt es nicht noch effektivere Mittel mit Lenkungswirkung für eine gesundere Ernährung?

Inwieweit käme die Mehrwertsteuersenkung auf Obst und Gemüse bei Vebrauchern an und gibt es nicht noch effektivere Mittel mit Lenkungswirkung für eine gesundere Ernährung?

Foto: dpa/Jan Woitas

Krisenzeiten würfeln auch das Einkaufs- und Ernährungsverhalten durcheinander. Das macht der aktuelle Trendreport Ernährung 2023 deutlich. Die Hälfte der von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung befragten Ernährungsexperten sehen eine klimafreundliche und gesunde Ernährung an der Spitze der Entwicklung. Dabei sei Flexitarismus, also eine pflanzenbetonte Ernährung mit nur gelegentlichem Fleischkonsum, in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

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So weit, so gut, aber in Zeiten hoher Inflation, gestörter Lieferketten und weltweiter Dürren sind die Lebensmittelpreise auf einem Rekordhoch. Viele Menschen sparen ausgerechnet beim Essen. Sie greifen weniger zu teureren, regionalen, saisonalen oder exotischen Lebensmitteln, sondern wählen in erster Linie das, was satt macht und wenig kostet. So eine Erkenntnis des Trendreports. Gesundes Obst und Gemüse aus der Region stehen derzeit weniger hoch im Kurs als kohlenhydratreiche Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis, Nudeln oder auch – günstiges Fleisch.

Hier setzt die zuletzt häufiger von Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir geäußerte Idee an, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte auf null Prozent zu senken, um so einen Kaufanreiz für Gesundes zu schaffen. Diese liegt bereits bei niedrigen sieben Prozent. Hier stellen sich mehrere Fragen: Einerseits ist fraglich, ob eine Preissenkung von Erzeuger und Handel überhaupt an den Kunden weitergegeben würde und falls ja, ob weitere sieben Prozent spürbar für den Verbraucher wären angesichts der durchschnittlichen Verteuerung von Gemüse von über zehn Prozent innerhalb des Jahres 2022. Im ersten Fall besteht sogar etwas Hoffnung: Bereits 2020 gab es eine temporäre Steuersenkung, die laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung zu 70 Prozent an die Konsumenten weitergegeben wurde. Doch andererseits stellt sich die berechtigte Frage: Welche Lenkungswirkung kann man mit der Steuersenkung überhaupt erreichen?

„Ich denke schon, dass es eine Lenkungswirkung gibt. Es gibt Studien, die bestätigen, dass Kunden darauf reagieren, wenn eine Steuererhöhung zum Beispiel Fleisch teurer macht. Aber manche Konsumenten sind da sensibler als andere“, sagt die Verhaltensökonomin Astrid Dannenberg von der Universität Kassel. Dies seien vor allem Frauen, die auf Preise und weiche Faktoren wie Informationen über gesundes Gemüse und umweltschädliches Fleisch reagierten. „Aber warum will man überhaupt lenken: Will ich, dass Kunden gesünder und klimafreundlicher reagieren?“, fragt Dannenberg. In dem Fall sei die Mehrwertsteuer kein sehr zielgenaues Instrument, es berge das Risiko, willkürlich zu sein.

Die Kritik ist berechtigt: Ist es wirklich so leicht zu entscheiden, was gesund ist und damit steuersenkungswürdig und was nicht? Mitnichten gehören nur Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu einer gesunden Ernährung. Denn dazu gehören auch Milchprodukte, Getreidesorten, Brot und sogar Fleisch – alles in Maßen sowie hoher Qualität. Diese Lebensmittel würden von der Preissenkung aber nicht profitieren. Außerdem greift bei einer Steuersenkung für alle wieder das Gießkannen-Prinzip. Nicht nur einkommensschwächere Bürger, auch Besserverdiener profitieren, die bei der Wahl höherpreisiger Waren sogar absolut gesehen mehr sparen würden.

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Foto: Lena Steffens

Der Ansatz Özdemirs ist gut gemeint, aber als Lenkungswirkung viel zu ungenau. Höhere Qualitätsanforderungen an Fleisch sind als Lenkungswirkung effektiver, das sagen auch Verhaltensökonomen. Höhere Preise als Folge schrecken ab, so lautet die simple Antwort. Doch dies muss in Kombination mit zielgerichteter Information passieren. Eine bessere Aufklärung über die sehr unterschiedlichen Einflüsse von Gemüse und Fleisch auf Umwelt, Klima und Tierwohl, direkt im Geschäft, würden dem Kunden zu einer bewussteren Entscheidung helfen. Und das, ohne ihn gleich zum Gemüsekauf zu zwingen. Fleisch gehört finanziell und trendbedingt schon jetzt nicht mehr auf die tägliche Speisekarte vieler Konsumenten, eine gewisse Lenkungswirkung, auf der man aufbauen kann, ist also schon längst da.

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