Trauerfeier für Architekt des Steinkohleausstiegs „Müller hinterlässt ein Werk für die Ewigkeit"

Deutschland nimmt Abschied von Werner Müller. Altkanzler Gerhard Schröder und Ministerpräsident Armin Laschet würdigen im Essener Dom den Architekten des Atom- und Kohleausstiegs.

Werner Müller (Archivbild).

Werner Müller (Archivbild).

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Der Essener Dom ist bis zur letzten Reihe gefüllt. Martin Stadtfeld spielt Bachs „Italienisches Konzert“ - jenes Stück, das auch Werner Müller gerne am Klavier spielte. Spitzen der deutschen Wirtschaft und der Politik sind am Samstag gekommen, um gemeinsam mit der Familie Abschied zu nehmen von Müller. Der Architekt des Steinkohleausstiegs war am 15. Juli seinem Krebsleiden erlegen. „Von uns geht ein Visionär und Gestalter, der Wegweisendes geschaffen hat“, würdigt ihn Altkanzler Gerhard Schröder, in dessen Kabinett Müller als Bundeswirtschaftsminister (1998-2002) gedient hatte.

Schröder erinnert daran, wie Müller den Ausstieg aus der Atomkraft verhandelte, als der Konflikt die deutsche Gesellschaft spaltete. „Müller beherrschte die Spielregeln von Wirtschaft und Politik, er hatte die Gabe, Brücken zu bauen, und machte aus Kontrahenten Partner“. Und wenn das nicht im ersten Anlauf klappte, verhandelte er weiter. „Aufgeben war für Werner Müller keine Option, er war ein sehr geduldiger Mensch.“ Dabei half die Kraft der Musik: „Auf dem Schreibtisch in seinem Büro lagen kaum Akten, aber Klaviersonaten“, sagt der Altkanzler.

Ministerpräsident Armin Laschet erinnert an Müller als Architekten des Kohleausstiegs. Als Chef des Zechenkonzerns RAG hatte Müller das Drehbuch für den Ausstieg aus der Steinkohle 2018 geschrieben: Kein Bergmann fiel ins Bergfreie, die von ihm erfundene RAG-Stiftung übernimmt die Ewigkeitslasten wie das Abpumpen der Gruben. „Müller ist damit ein Werk für die Ewigkeit gelungen. Nordrhein-Westfalen sagt Danke“, so Laschet. Müllers Verhandlungsgeschick habe gewiss mit seiner Liebe zur Musik zu tun: „Er hörte gut hin und traf stets den richtigen Ton“, so Laschet. „Werner Müller fehlt uns als Mann des Ausgleichs.“ In der aktuellen Debatte um die Braunkohle könnte man seine versöhnende Kraft gut gebrauchen.

„Ohne Werner Müller hätte es kein würdiges Ende für den Bergbau gegeben“, betont Michael Vassiliadis, Chef der Bergbau-Gewerkschaft IG BCE. Müller habe stets Respekt vor den arbeitenden Menschen gehabt, elitäre Spaltung sei ihm fremd gewesen – ein vorbildlicher Manager. „Er wird uns fehlen als Mensch und Unternehmer“, so Vassiliadis. In einer emotionalen Rede nimmt Evonik-Chef Christian Kullmann Abschied von seinem Ziehvater: „Ich verneige mich in tiefer Trauer und ewiger Dankbarkeit.“ 16 Jahre lang war Kullmann in verschiedenen Funktionen an Müllers Seite. Das sei eine Schule fürs Leben gewesen. Pflichtbewusst, fordernd, strategisch weitsichtig sei Müller gewesen – und den anderen immer einen Schritt voraus. Bis drei Wochen vor seinem Tod ließ sich Müller noch von Kullmann über Evonik und die Politik unterrichten. „Nun müssen wir ihn gehen lassen, unser Verlust ist seine Erlösung.“ Vor 20 Monaten war bei Müller Krebs diagnostiziert worden.

Ein enger Wegbegleiter war auch Bernd Tönjes, der Müller erst an der Spitze des Zechenkonzerns RAG und dann an der Spitze der RAG-Stiftung folgte: „Müller hinterlässt uns bei der Stiftung ein großes Erbe. Mit ihm verlieren wir eine Person der Zeitgeschichte“, sagt Tönjes und dankt im Namen aller Bergleute für das würdevolle Ende des Bergbaus.

Unter den Trauergästen waren Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, RWE-Chef Rolf Martin Schmitz, Bahn-Vorstand Ronald Pofalla, NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart, die frühere NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, die ehemaligen Ministerinnen Ulla Schmidt (Gesundheit) und Barbara Hendricks (Umwelt), RAG-Chef Peter Schrimpf, der frühere IG BCE-Chef Hubertus Schmoldt und der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen.

Müller hatte es noch erleben können, als Deutschland am 21. Dezember mit der Schließung der Zeche Prosper Haniel Abschied vom Steinkohlenbergbau nahm. Nun nimmt das Land Abschied von Müller, der seine Frau Marion, zwei Kinder und Enkel hinterlässt. Als die Familie und Bischof Franz-Josef Overbeck den Sarg aus dem Essener Dom begleiten, singt der Ruhrkohle-Chor „Glückauf, der Steiger kommt.“ Die Trauerfeier hätte dem Perfektionisten Müller gefallen.

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