Modehandel Dieser Modehändler versteigert seine Kunstsammlung für die Digitalisierung

Oelde · Thomas Rusche will den Modehändler SØR digitalisieren. Um die Kosten zu stemmen, versteigert er mehr als 4000 Kunstwerke von Neo Rauch bis Norbert Bisky.

 Thomas Rusche, Chef des Modehändlers SØR

Thomas Rusche, Chef des Modehändlers SØR

Foto: KKV-Bundesverband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung

Irgendwann kam für Thomas Rusche der Punkt, an dem er sich entscheiden musste: Kunst oder Kommerz. Es ist eine brutale Entscheidung, eine die weh tut. Aber Rusche bleibt keine Wahl. Zu groß sind die Kräfte, die auf den Modehändler SØR aus dem westfälischen Oelde momentan wirken.

Also kommt alles unter den Hammer. Am Mittwoch werden die ersten 150 Werke aus der umfangreichen Kunstsammlung des Unternehmens vom Kölner Auktionshaus Van Ham versteigert. Während in London bei Sotheby’s die Altmeister aus der Sammlung unter den Hammer kommen, versteigern die Kölner in diesem Jahr nach und nach rund 4000 Werke zeitgenössischer Kunst – von Neo Rauch über Daniel Schnell bis hin zu Norbert Bisky oder George Condo.

Mit dem Erlös will Rusche die Digitalisierung seines Unternehmens vorantreiben. „Es ist etwas sehr emotionales, sich von Kunstwerken zu trennen – allerdings erleben wir Tag für Tag in unseren Filialen, wie die Digitalisierung den Handel verändert“, sagt er.

1956 hatten seine Eltern die erste SØR-Filiale in Bielefeld eröffneten, weitere folgten. Schnell avancierte der Modehändler, der sowohl auch Premium- als auch Eigenmarken setzt, zur Anlaufstelle prominenter Männer wie dem Verleger Axel Springer, dem Schauspieler Heinz Rühmann oder Dirigent Herbert von Karajan. Heute gibt es rund 60 Filialen – von Obersdorf bis Sylt. Selbst am Düsseldorfer Flughafen ist SØR vertreten.

Aber was nutzt Händlern das dichteste Filial-Netz, wenn die Kunden fortbleiben? Immer mehr verlagert sich ins Netz, neue Anbieter wie Farfetch machen Premiumhändlern Konkurrenz. Auch SØR spürt den Druck, laut Bundesanzeiger rechnete man im vergangenen Jahr mit einem Verlust von knapp acht Millionen Euro – bei sinkenden Umsätzen.

Deshalb tritt Rusche die Flucht nach vorne an. „Digitalisierung bedeutet ja nicht nur, dass wir einen Online-Shop betreiben müssen“, sagt Rusche: „Es kommen so viele Herausforderungen auf uns zu, dass wir Erlöse erzielen mussten, um das alles zu finanzieren.“ Man wolle an Konzepten arbeiten, um die Retourenquote zu senken, die im Online-Handel traditionell hoch ist und die Unternehmen stark belastet. Außerdem soll die Verzahnung von Online und Offline verbessert werden, „damit die Menschen beim Flanieren auf der Kö auf dem Smartphone sehen können, was es in der Nähe bei uns Neues gibt“. Kurzum: „Wir können den stationären Handel nur noch betreiben, wenn wir digital nach vorne stürmen.“

Es ist eine mutige Entscheidung, zumal nicht absehbar ist, ob sich all der Aufwand am Ende auch auszahlt – oder ob die Kräfte, die bei der Digitalisierung wirken, nicht zu mächtig sind, als dass sich ein Mittelständler aus dem Münsterland dagegen auflehnt. Aber Rusche will es versuchen: „Ich bin Vollblut-Unternehmer, ich habe in unserer Firma von Kindesbeinen an gespielt, gelebt und später dann gearbeitet.“

1984 ist er in den Betrieb seiner Eltern eingestiegen und hat den Versandhandel aufgebaut. Nun hilft ihm sein Sohn Heinrich dabei, den nächsten Schritt zu gehen und die digitale Welt um den bestehenden Online-Shop zu erweitern. Stationäre Geschäfte will man bis auf weiteres nicht mehr eröffnen. „An Standorten wie Münster haben wir im Gegenteil sogar unser Damen- und Herrengeschäft zusammengelegt.“

Parallel zum Geschäft hat Rusche die Kunstsammlung ausgebaut, deren Ursprünge bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. „Mein Ur-Großvater ist mit Pferd und Wagen durch die Dörfer gezogen und hat die Gutsherren eingekleidet“, sagt er: „Manche haben lieber mit Kunst und Antiquitäten bezahlt statt Bargeld. So ist der Grundstein für unsere Sammlung gelegt worden.“

Nun müssen die alten und neuen Meister ein neues Zuhause finden. Am Wochenende konnten erste Interessenten die Werke bereits besichtigen, von 18 bis 20 Uhr wird nun versteigert. „Wir erwarten ein Ergebnis von rund einer Million Euro“, heißt es bei Van Ham über den ersten Tag der nach eigenen Angaben größten Auktion zeitgenössischer Kunst in Deutschland.

Wie viel sie am Ende insgesamt bringen wird, kann der SØR-Chef noch nicht abschätzen. „Ich weiß nicht genau, wie viel wir einnehmen werden – und ich weiß nicht genau, wie viel wir benötigen, um die digitale Transformation zu finanzieren. Ich kann nur hoffen, dass sich beides mindestens die Waage hält.“ Noch nie in seinem Leben sei es so schwer gewesen, die Zukunft abzuschätzen wie momentan.

Ganz mit der Kunst will der promovierte Ökonom und Philosoph gleichzeitig nicht abschließen: „Im Schnitt werden 20 bis 30 Prozent aller Werke bei einer Auktion nicht verkauft. Diese Stücke sollen den Kern meiner neuen Sammlung bilden.“

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