Schwerpunkt „Die Zehn Gebote“ Verführerisches Eigentum

Düsseldorf · Die gesellschaftliche Vereinbarung, sich nicht gegenseitig zu bestehlen, ist überaus nützlich. Eine moralisch gute Sache ist sie auch. Allerdings gibt es einen Haken.

 Thomas Apolte (58) ist Wirtschaftswissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Ökonomische Politikanalyse in Münster.

Thomas Apolte (58) ist Wirtschaftswissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Ökonomische Politikanalyse in Münster.

Foto: Apolte

Du sollst nicht stehlen! Warum nicht? Wo das Gestohlene doch nicht weg ist, sondern es nur ein anderer hat. Dem stiftet es vielleicht sogar einen größeren Nutzen. Angenommen, das Gebot sei theologisch wie weltlich unbekannt. Dann dürfte zum Beispiel jeder mein Fahrrad stehlen. Gewiss: Ich könnte mir einfach das nächste Fahrrad stehlen. Aber jeder würde sich ein möglichst gutes Fahrrad stehlen, und davon gibt es immer nur relativ wenige. Würde mir davon eins gestohlen, dann müsste ich für ein neues entweder lange suchen oder es mir selbst herrichten oder jemandem Geld dafür geben. So oder so würde mich das Zeit kosten.

Also müsste ich ein gutes Fahrrad vor Dieben schützen. Dazu könnte ich ein Schloss stehlen. Aber dann würde ein anderer einen Bolzenschneider stehlen. Schließlich würden Schlösser und Bolzenschneider knapp. Diese zu beschaffen, könnte uns am Ende genau jene Zeit kosten, die wir bräuchten, uns Fahrräder zu besorgen. Spätestens jetzt könnten wir einen Vertrag miteinander schließen, in dem steht: Du sollst keine Fahrräder stehlen. Hielten sich alle daran, dann bliebe uns wieder Zeit, uns ein gutes Fahrrad herzurichten – oder Geld dafür zu verdienen. Bei gleichem Zeitaufwand hätten alle gewonnen.

Leider gewönne jeder Einzelne noch mehr, wenn sich alle an das Gebot hielten, nur nicht er selbst. Hier kommt die Moral ins Spiel, denn dieser Versuchung nachzugeben, muss fortan als unmoralisch gelten und bestraft werden. So formulierte es der Philosoph Thomas Hobbes im 16. Jahrhundert, aber lange nachdem Moses die Gebote am Berg Sinai empfangen hatte. Der Sender des siebten Gebotes war den Philosophen aus Fleisch und Blut also weit voraus, was (k)ein Wunder ist.

Leider hat die Sache einen Haken, und auch den kannten Philosophen und Theologen immer schon, weshalb sie stets ein ambivalentes Verhältnis zum Eigentum hatten. Denn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wird nicht jeder gleich gut mit Fahrrädern ausgestattet sein. Allgemein gilt: Die Verteilung des Eigentums war immer sehr ungleich und wurde meist zu Recht als ungerecht empfunden. Deshalb fanden die Marxisten den Schutz des Eigentums eine Schnapsidee. Mitunter haben sie das Eigentum daher ganz abgeschafft, was aber auch eine Schnapsidee war.

Der Liberale John Stuart Mill hat im 19. Jahrhundert eine 100-prozentige Erbschaftsteuer gefordert, damit jeder sein Eigentum selbst erwirtschaften muss. Das war keine Schnapsidee, aber der Weisheit letzter Schluss war es auch nicht.
Und nun? Abgesehen von ein paar Superreichen retten nur wenige ihre Erbschaften über viele Generationen. Wichtiger ist daher das, was man den gerechten Zugang zu Humanvermögen nennt, also (Aus-)Bildung. Nichts produziert höhere Einkommenszuwächse, nichts kann besser für gerechte Eigentumsverhältnisse sorgen. Damit kombiniert, kann das siebte Gebot seine nützliche Wirkung deshalb ohne schlimme Nebenwirkungen entfalten. Humanvermögen hat einen weiteren Vorteil: Man kann es nicht stehlen.

Dieser Text ist Teil eines Schwerpunkts zum Thema „Zehn Gebote“. Mehr dazu und weitere Artikel finden Sie hier.

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