Von GDL bis Vereinigung Cockpit Studie: Mini-Gewerkschaften sind aggressiver

Düsseldorf · Spartengewerkschaften wie die der Lokführer, Piloten oder Ärzte sind doppelt so kampflustig wie die großen Branchengewerkschaften. Das belegt eine aktuelle Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft.

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Foto: dpa, rwe htf

Wer im vergangenen Jahr am Bahnsteig vergeblich auf seinen Zug warten musste, wer in einer Abfertigungshalle des Flughafens auf der Anzeigetafel das Wörtchen "annulliert" hinter der eigenen Flugnummer aufblinken sah, der dürfte insgeheim einen Wunsch gehegt haben: Beschneide endlich jemand den Einfluss von Spartengewerkschaften wie der Vereinigung Cockpit (VC) oder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).

Nun belegt eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die unserer Redaktion vorliegt, was mancher schon vermutet hat: Kleine Spartengewerkschaften sind bei der Durchsetzung ihrer Ziele deutlich aggressiver als ihre großen, behäbigeren Geschwister, die Branchengewerkschaften.

Die IW-Tarifexperten Hagen Lesch und Paula Hellmich haben Tarifkonflikte der vergangenen 15 Jahre untersucht. Dabei unterschieden sie insbesondere drei Merkmale: Neben der Dauer betrachteten sie die maximale Eskalationsstufe. Diese zeigt, wie weit die Gewerkschaft bei der Durchsetzung der Ziele ging — also ob sie es am Ende bei der Streikdrohung beließ oder tatsächlich zur Urabstimmung und zum unbefristeten Arbeitskampf aufrief.

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Foto: Screenshot Twitter

GDL bei Konfliktintensität vorn

Zudem betrachteten die Forscher die Konfliktintensität während der Tarifrunde: Dafür vergaben sie je nach Ereignis Punkte zwischen null und sieben. Für eine Streikdrohung gab es einen Punkt, für den Abbruch der Verhandlungen zwei, beim Streikaufruf drei, bei Warnstreiks vier, bei juristischen Auseinandersetzungen fünf, bei einem Scheitern und dem Aufruf zur Urabstimmung sechs und beim unbefristeten Arbeitskampf sieben Punkte.

Das Ergebnis ist eindeutig: In allen Kategorien liegen die Spartengewerkschaften im Durchschnitt über den Branchengewerkschaften. Die Konflikte bei GDL, die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation eskalierten am stärksten. Bei der Konfliktintensität liegt die GDL mit 37,8 Punkten vorn, gefolgt vom Marburger Bund (22,1) und der VC (19,8). Und auch bei der Verhandlungsdauer benötigten die Spartengewerkschaften mit 9,2 Monaten deutlich länger als die Branchengewerkschaften mit 4,6 Monaten.

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Zudem kamen die Forscher noch zu einer weiteren Erkenntnis: Ausschlaggebend für die Konfliktbereitschaft ist, ob es um ein Sachthema oder — wie etwa zuletzt bei der Bahn — um mehr Einfluss geht. Im zweiten Fall, den die Experten als Statuskonflikt bezeichnen, treten die Gewerkschaften demnach deutlich aggressiver auf. Während die Spartengewerkschaften in einem normalen Tarifkonflikt auf eine Konfliktintensität von elf Punkten kamen, lag diese bei Statuskonflikten mit 45,5 Punkten um mehr als viermal so hoch.

Auswirkungen auch auf Branchengewerkschaften

"Der Gesetzgeber versucht genau diese Statuskonflikte dadurch zu regeln, dass sich die Gewerkschaften bereits im Vorfeld einigen müssen", sagt Lesch. Und so liest sich die IW-Studie wie ein eindeutiges Plädoyer für das Tarifeinheitsgesetz, dessen Entwurf das Kabinett Anfang Dezember gebilligt hat. Nötig geworden war das Gesetz aus Sicht der großen Koalition, weil das Bundesarbeitsgericht in Erfurt 2010 überraschend seine Auffassung änderte und das Prinzip der Tarifeinheit kippte. Dieses besagt — vereinfacht gesprochen —, dass es pro Betrieb nur einen Tarifvertrag geben darf. Die Richter sahen darin eine Benachteiligung der Spartengewerkschaften.

Nach Auffassung des IW gibt es gute ökonomische Gründe, um den Gewerkschaftswettbewerb zu regeln. So seien "ausschließlich Branchen besonders friedlich, in denen Tarifeinheit herrscht". Ohne solche Spielregeln müssten die Firmen häufiger verhandeln, was dazu führe, dass die vereinbarte Friedenspflicht an Wert verliert. Schließlich kann auch nach einem erfolgreichen Abschluss eine konkurrierende Gewerkschaft einen neuen Konflikt vom Zaun brechen.

Auch führe das Aushandeln von Abschlüssen für einzelne Berufsgruppen zu Neideffekten in der Belegschaft. Und es gehe auch um die Auswirkungen auf Dritte: "Je weniger Berufsgruppen eine Gewerkschaft vertritt, desto eher konzentriert sie sich darauf, ein Maximum für ihre Mitglieder herauszuholen — ohne darauf zu achten, welche Nachteile dies für Nichtmitglieder hat." Ein weiterer Punkt: Das Auftreten kleiner Spartengewerkschaften radikalisiert auch die Branchengewerkschaften. Schließlich müssen die um eine Abspaltung weiterer Berufsgruppen fürchten.

(maxi)
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