Streit um Energiewende und Strompreisrabatte So gefährlich ist das EU-Verfahren für Jobs in NRW
Essen · "Nordrhein-Westfalen - das sind die starken Schultern Deutschlands", heißt es selbstbewusst auf einer Internetseite der Landesregierung. Doch der Wirtschaftsriese NRW steht mit seiner starken Konzentration auf traditionelle Industriesparten wie Chemie, Metall und Papier und seiner unterdurchschnittlichen Ausstattung mit Erneuerbaren Energien in Zeiten der Energiewende auf schwachen Füßen.
Chemiekomplexe, Aluschmelzen und Zementwerke brauchen sehr viel Strom. Steigende Energiekosten wirken sich in NRW deshalb besonders negativ aus. Sollte die EU tatsächlich in dem Ende 2013 eröffneten Beihilfeverfahren von deutschen Großverbrauchern die Rückzahlung der über Jahre gewährten Strompreisrabatte in Milliardenhöhe fordern, könnte das zu Firmenpleiten und "enormen Gefahren" führen - bis hin zu einer "Deindustrialisierung", warnte der Energieexperte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Prof. Manuel Frondel. NRW wäre besonders stark betroffen.
397 Unternehmen waren 2013 in NRW als Großverbraucher teilweise oder weitgehend von der EEG-Umlage befreit, rechnet Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) vor. Bezogen auf die entlastete Strommenge geht es um etwa ein Drittel des Gesamtvolumens. Fabriken wie die Aluminiumhütte Trimet in Essen, die allein rund ein Prozent des bundesdeutschen Strombedarfs verbraucht, müssten nach Einschätzung von Fachleuten ohne die EEG-Rabatte sofort schließen. Rund 220.000 Menschen arbeiten nach Duins Zahlen in energieintensiven Unternehmen im Bundesland.
Minister befürchtet "dramatische Folgen"
"Der Wegfall der Entlastung hätte dramatische Folgen", warnt der Minister. "Jeder Arbeitsplatz in der Zementindustrie würde beispielsweise mit zusätzlichen Kosten in Höhe von 25.000 Euro pro Jahr belastet. Was das für die Existenz der Werke bedeutet, kann man sich leicht ausmalen." Die Zahl der begünstigten Unternehmen war zuvor von gut 1700 im vergangenen Jahr auf rund 2700 im neuen Jahr hochgeschnellt. Nach der Ankündigung aus Brüssel dürften jetzt hinter den Kulissen Verhandlungen über eine Beschränkung beginnen.
Auch ohne Streit um EEG-Rabatte lastet die Energiewende schwer auf der Wirtschaft im Land. Die große Versorger RWE und Eon sowie Stadtwerke bauen Jobs ab, weil der Börsenstrompreis durch das Zusatzangebot der Erneuerbaren abgestürzt ist. Die Konjunkturschwäche vor allem in Südeuropa kommt hinzu. RWE halbiert die Dividende, was den vielen am Unternehmen beteiligten Kommunen sehr weh tut.
Im industriellen Herzzentrum von NRW, dem Ruhrgebiet, fallen die Probleme mit ohnehin überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit zusammen. Steigende Strompreise für Privatverbraucher sind hier besonders schmerzhaft. "Privathaushalte dürfen in ihrer Lebenssicherung nicht überfordert werden", reklamiert der Essener Evonikchef Klaus Engel in der Einladung für einen Vortrag zur Energiewende mit Kanzleramtschef Peter Altmaier an diesem Dienstag.
NRW zahlt bei dem Jahrhundertprojekt Energiewende kräftig drauf. Zwischen Rhein und Weser liegt die Zahl der Windanlagen weit hinter den windstarken Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen - auch wenn NRW sich für die Windkraft eine "Aufholjagd" von drei auf 15 Prozent der Stromerzeugung vorgenommen hat. Photovoltaik findet sich vor allem in Bayern, dessen Wirtschaft bei Garantiepreisen für den Sonnenstrom kräftig kassiert. NRW wird dagegen wegen seiner Mittellage von Netzausbauprojekten, die viele Bürger auf die Palme bringen, stark betroffen. Insgesamt zahle das Land derzeit beim "EEG-Umverteilungsmechanismus" netto jährlich mehr als eine Milliarde Euro drauf, sagt Frondel.
Nach einer Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums lag das bevölkerungsstärkste Bundesland 2012 bei den Jobs durch erneuerbare Energien im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung nur auf Rang 14 der 16 Bundesländer - auch wenn gut 50.000 Stellen absolut gesehen natürlich respektabel sind. Dass sich die Zahl der Jobs in der Erneuerbaren-Branche in zehn Jahren mehr als verdoppelt hat und Investitionen im Land bleiben statt für Öl, Gas und Kohle ins Ausland zu wandern, wie der Bundesverband Erneuerbare Energien argumentiert, überzeugt den RWI-Ökonomen nicht. Frondel fordert ein Moratorium für den Ausbau der Erneuerbaren: "Je stärker die Energiewende voranschreitet, desto schlechter ist das für NRW."