"Stromanbieter geben Kostenvorteile oft nicht weiter"

Interview Der scheidende Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, schließt starke Preiserhöhungen durch die Energiewende aber aus

Die Stromverbraucher fürchten sich vor stark steigenden Strompreisen durch die Energiewende der Bundesregierung. Wie sieht Ihre Prognose aus?

Kurth Es gibt auch Faktoren, die die Preise eher dämpfen werden, etwa der zunehmende Wettbewerb im europäischen Strommarkt oder effiziente Netzentgelte, für die die Bundesnetzagentur sorgt. Durch die Regulierung in den vergangenen Jahren machen die Netzentgelte heute nur noch ein Fünftel des Strompreises aus, vor sechs Jahren war es noch ein Drittel. Der Ökostrom-Ausbau und die nötigen Milliarden-Investitionen in neue Stromleitungen und Kraftwerke werden zwar eher Kosten erhöhend wirken. Aber diese Kosten gehen erst dann in die Stromrechnung ein, wenn die Dinge auch wirklich gebaut sind. Die Kostenbelastung wird also in den nächsten Jahren erst mal sehr moderat ausfallen. Und wenn die Netze gebaut sind, werden sie ja nicht in einem Jahr vom Kunden bezahlt, sondern über viele Jahrzehnte in kleinen Raten. Alles in allem rechne ich nicht mit sprunghaften Strompreiserhöhungen durch die Energiewende.

Warum steigen denn jedes Jahr die Strompreise vor allem für die privaten Endverbraucher?

Kurth Die Preiskomponenten Beschaffung und Vertrieb haben sich in den letzten sechs Jahren für Privatkunden fast verdoppelt, obwohl die Strombörsenpreise nicht immer gestiegen, sondern zeitweise auch wieder deutlich gesunken sind. Viele Stromanbieter kaufen den Strom ein bis zwei Jahre im Vorhinein ein. Oft haben sie den Strom günstiger eingekauft, diesen Vorteil aber nicht an die Kunden weitergegeben. Hier gibt es noch zu wenig Druck durch den Wettbewerb.

Und das würde sich ändern, wenn mehr Kunden den Anbieter wechseln?

Kurth Mit Sicherheit! Je häufiger und je mehr Endkunden ihre Anbieter wechseln, desto mehr werden die Anbieter ihre Preispolitik flexibilisieren. Das ist im Luftverkehr, bei Telefongesellschaften und Lebensmitteldiscountern doch gelebte Praxis. Viele Verbraucher haben allerdings zu Unrecht Vorbehalte vor einem Wechsel: Niemand wird im Dunkeln sitzen, weil er seinen Strom-Anbieter wechselt.

Welche Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Energiewende sehen Sie?

Kurth Das Problem liegt eher bei den Genehmigungen und den schleppenden Planungen und weniger bei der Kostenbelastung. Unser Hauptproblem ist, dass wir mit den Genehmigungen für neue Netze und Kraftwerke in der Vergangenheit nicht so vorangekommen sind, wie das nötig wäre. Wir haben als Netzagentur jetzt 240 neue Stellen bekommen, um dies durchgreifend zu verbessern. Wir bauen gerade eine komplett neue Abteilung auf. Wir haben schon 40 Leute eingestellt, die für die Beschleunigung des Netzausbaus sorgen werden. Wir arbeiten mit den Netzbetreibern mit Hochdruck an dem Bundesnetzentwicklungsplan. Wir legen den Grundstein dafür, dass der Netzausbau nicht mehr zehn bis 15 Jahre und mehr dauert, sondern künftig nur noch rund fünf Jahre die Regel sein werden.

Beklagen Sie zu viel Planwirtschaft beim Ausbau des Ökostroms?

Kurth Durch die garantierte Einspeisevergütung, die den Produzenten erneuerbarer Energien Planungssicherheit gegeben hat, baute sich deren Marktanteil auf 20 Prozent aus. Das ist ein großer Erfolg, doch jetzt ändern sich die Verhältnisse: Die Erneuerbaren sind schon jetzt kein Nischenprodukt mehr. Bis 2020 sollen sie auf 35 Prozent Marktanteil steigen, danach auf 50 und ab 2050 sogar auf 80 Prozent. Jetzt muss man diskutieren, wie man ein System der garantierten Vergütung in ein marktwirtschaftliches System überleitet. Die Ökostrom-Anbieter müssen sich auch stärker auf Nachfrageschwankungen einstellen. Wir haben jetzt eine Marktprämie für die Anbieter eingeführt: Wer nicht mehr die garantierte Vergütung nimmt, sondern seinen Strom direkt vermarktet, bekommt dafür eine Prämie. Jetzt werden Erfahrungen gesammelt, und in diese Richtung wird sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz schrittweise weiterentwickeln müssen.

Birgit Marschall führte das Gespräch. Das Interview in voller Länge lesen Sie auf www.rp-online.de.

(RP)
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