München/Rheinberg Spitzelvorwürfe gegen Amazon

München/Rheinberg · Tausende Saisonarbeiter aus dem Ausland halfen bei dem Onlinehändler im Weihnachtsgeschäft. Sie sollen unter sehr schlechten Bedingungen beschäftigt worden sein. In Rheinberg am Niederrhein wird nun ein Betriebsrat gewählt.

Amazon ist beliebt, denn Amazon ist schnell. Wer kurzfristig ein Geschenk braucht, kann ziemlich sicher gehen, dass es rechtzeitig ankommt: Der größte Onlinehändler der Welt ist bekannt für seine Logistik. Bis zu zwei Millionen Pakete verlassen täglich die sieben Zentren in Deutschland. Nun steht das Unternehmen wegen der Arbeitsbedingungen in der Kritik.

Für die ARD-Dokumentation "Ausgeliefert" hatten Reporter Leiharbeiter in den drei Amazon-Logistikzentren Bad Hersfeld, Gaben und Koblenz mit versteckter Kamera begleitet. Im Vorweihnachtsgeschäft soll der Konzern über eine Leiharbeitsfirma etwa 5000 Saisonarbeiter, unter anderem aus Spanien, Rumänien und Polen, unter miesen Bedingungen beschäftigt haben. Statt versprochener 9,68 Euro Stundenlohn habe man ihnen nur 8,52 Euro gezahlt. Die Leiharbeitsfirma begründete das mit den Ausgaben für Kost und Logis, die jedoch in der Lohnabrechnung nicht auftauchen.

Untergebracht waren die Leiharbeiter in billigen Motels und Bungalows in Ferienparks, bewacht von der Sicherheitsfirma H.E.S.S., der im Beitrag Verbindungen in die rechtsradikale Szene nachgesagt werden. Die Sicherheitsleute sollen nicht nur regelmäßig die Taschen der Mitarbeiter kontrolliert, sondern sogar die Bungalows durchsucht haben. Olaf Bernst, Mitglied der Geschäftsleitung der Firma H.E.S.S., bestätigt das zum Teil: "Wir haben für Amazon über eine dritte Firma für Ordnung in den Ferienparks gesorgt." Es habe dabei auch unangenehme Vorfälle gegeben. Zur rechtsradikalen Szene habe man allerdings keinerlei Kontakte.

In einer Stellungnahme bestätigte Amazon, im Weihnachtsgeschäft Saisonarbeiter zu beschäftigen. Sie hätten bei einer 37,5 Stunden-Woche 1 400 Euro brutto im Monat erhalten, was 9,33 Euro pro Stunde entspricht. Die Sicherheitsfirma sei nicht von Amazon beauftragt worden. "Wir prüfen aber den Vorwurf bezüglich des Verhaltens des Sicherheitspersonals ", heißt es. Auf der Facebook-Seite des Konzerns brach gestern ein sogenannter "Shitstorm" los. Tausende Nutzer hinterließen empörte Kommentare.

Die Gewerkschaft Verdi wirft Amazon seit längerem vor, Saisonkräfte schlecht zu bezahlen, zu streng zu kontrollieren und zu überwachen. In einigen Logistikzentren haben sich mittlerweile Betriebsräte gegründet. Auch in Rheinberg am Niederrhein wird in wenigen Wochen eine Arbeitnehmervertretung gewählt. Viele der 2700 Mitarbeiter hätten sich über die Arbeitsbedingungen beschwert, sagt Sabine Busch, Verdi-Gewerkschaftssekretärin. So seien die Dienste nicht optimal organisiert, Mehrarbeit müsse besser geregelt werden. Zudem zahle Amazon unter Tarif. Nach Angaben des Konzerns sind es 9,30 Euro brutto im ersten Jahr, danach über zehn Euro. Zu wenig, findet Verdi. Zwar arbeiteten bei Amazon auch viele Ungelernte, "aber es ist schwere körperliche Arbeit", sagt Busch. Der Tarifvertrag im Einzelhandel NRW sieht für solche Arbeiten bei einer 37,5-Stunden-Woche 11,38 bis 12,71 Euro Lohn vor.

Am Arbeitsplatz sei Essen verboten, nur Trinken ist erlaubt, erklärt Busch. Sie berichtet auch, dass Mitarbeiter nur eine Pause am Tag hätten. Die sei aber oft zu kurz, um in Ruhe zu essen. Der Grund: Um Diebstähle zu vermeiden, müssen Mitarbeiter zur Kontrolle durch Sicherheitsschleusen. Darum "staut" es sich in Rheinberg regelmäßig – die Zeit gehe von der Pause ab. Auf Fragen zur Situation in Rheinberg gab Amazon gestern keine Antwort.

Sicherheit scheint für den Konzern ein großes Thema zu sein. Auf der Homepage gibt es mehrere Stellenangebote als "Regionalmanager Sicherheit und Investigation". Aufgaben: "Gewährleistung der Sicherheitsstandards, Zugangskontrollen und Überwachungssysteme." Gesucht werden unter anderem Mitarbeiter mit "umfassenden Kenntnissen in Befragungstechniken".

(RP)
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