Oberster Gewerkschafter Schon als Schüler für höheren Lohn gekämpft

Düsseldorf · Heute wird Reiner Hoffmann voraussichtlich erneut zum Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt.

Harte Arbeit ist für den Wuppertaler Reiner Hoffmann schon seit frühester Jugend fester Alltagsbestandteil. Hoffmann stammt aus einer Arbeiterfamilie. Sein Vater war Maurer, die Mutter Hausfrau. Um in den Sommerferien in den Urlaub reisen zu können, muss der Schüler sich schon früh etwas dazuverdienen. Gemeinsam mit einem Freund heuert er in einer Maschinenfabrik seiner Heimatstadt an. Die Aufgabe hat es in sich: Die Freunde sollten bei einer Lkw-Ladung mit Gewinden den Grat abschleifen - ein extrem kräftezehrender Job. "Ich kann mich zwar nicht mehr genau an den Stundenlohn erinnern. Aber der Betriebsrat kam auf uns zu und riet uns, für die Plackerei vom Chef mindestens eine Mark mehr zu verlangen", erinnert sich Hoffmann. "Wir haben all unseren Mut zusammengenommen und die Lohnerhöhung gefordert. Der Chef hat aber sofort abgelehnt." Und wie reagieren die beiden Schüler? Konsequent. Sie lassen sich ihre Papiere ausstellen, packen ihre Sachen und fragen auf der anderen Seite des Tals bei einer Knopffabrik nach einem Job. "Da haben wir die Mark mehr bekommen."

Es ist nicht der letzte Kampf um höhere Gehälter, den der heute 62-Jährige seitdem ausgefochten hat. Hoffmann ist zu einem der einflussreichsten Gewerkschafter der Republik aufgestiegen. Als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist er das politische Sprachrohr von knapp sechs Millionen Menschen - mehr als alle im Bundestag vertretenen Parteien an Mitgliedern auf die Waagschale bringen (rund 1,2 Millionen).

Wenn alles nach Plan läuft, wird Hoffmann heute vom DGB-Bundeskongress, dem sogenannten 21. Parlament der Arbeit, für eine zweite vierjährige Amtszeit wiedergewählt. Im Vorfeld wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, Hoffmanns Posten könne auch an die zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, gehen. So mancher in der größten deutschen Einzelgewerkschaft fremdelt noch mit der Vorstellung, dass eine Frau an die Spitze der von Männern dominierten IG Metall aufrückt - so zumindest sieht es das ungeschriebene IG-Metall-Gesetz vor. Benner hätte auf den Posten der DGB-Chefin weggelobt werden können. Doch solche Gedankenspiele sind inzwischen vom Tisch.

Hoffmanns Wahl gilt als sicher. Zumal der DGB-Chef seine Rolle mittlerweile gefunden hat. Der Chemiegewerkschafter ist ein ganz anderer Typus als sein Vorgänger, der Postgewerkschafter Michael Sommer. Viel leiser tritt Hoffmann auf. Den krawalligen Arbeiterführer, der bei der Mai-Kundgebung mit Schaum vorm Mund am Rednerpult wütet, würde man ihm nicht abnehmen. Gleichwohl vertritt er seine Themen mit Verve. Und er steckt tief drin in der mitunter komplexen Gewerkschaftsmaterie. Auch dabei kommt ihm seine Vita zugute: Nach der Volks- und Handelsschule macht er 1972 eine Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei der Hoechst AG, wird anschließend auch übernommen. Doch Hoffmann strebt nach mehr. Nach seinem Zivildienst studiert er an der Universität seiner Heimatstadt Wirtschaftswissenschaften und macht 1982 seinen Diplom-Ökonomen. Ein Schwerpunktthema damals schon: Arbeitsrecht. Es liegt auf der Hand, dass der Gewerkschafter - seit 1972 ist er Mitglied der IG Chemie Papier Keramik (heute IG Bergbau Chemie Energie) - eine Stelle bei der Hans-Böckler-Stiftung annimmt. Dort bringt er es über Umwege zum Abteilungsleiter.

Und Hoffmann entdeckt sein großes Leib- und Magenthema: Europa. Wohl kein anderer Gewerkschafter kommt derart ins Schwärmen, wenn es um Straßburg oder Brüssel geht. Das Engagement rührt noch aus seiner Zeit beim Europäischen Gewerkschaftsinstitut her - quasi ein Pendant zur Böckler-Stiftung auf europäischer Ebene. Dessen Direktor ist Hoffmann für knapp neun Jahre, ehe er zum Vize-Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes aufsteigt. Echte gewerkschaftliche Kärrnerarbeit erlebt er ab 2009 in seiner fünfjährigen Tätigkeit als IG-BCE-Chef des einflussreichen Bezirks Nordrhein. Die beschert ihm gute Kontakte. Bis heute sitzt er im Bayer-Aufsichtsrat.

Doch Europa lässt ihn nicht los. Natürlich betrifft EU-Politik jeden deutschen Beschäftigten - von der Kassiererin bis zum Ingenieur. Zugleich ist sie nur recht schwer zu vermitteln. War Europa zu Beginn seiner Amtszeit noch Hauptbestandteil jeder Hoffman-Rede, konzentriert er sich mittlerweile deutlich stärker auf Forderungen rund um deutsche Belange. In Meseberg ermahnt der DGB-Chef die große Koalition auf die ihm so typische freundlich verschmitzte Art, sie müsste jetzt endlich mal mit der Arbeit beginnen. Was das für ihn im Klartext heißt: Gestaltung des digitalen Wandels im Sinne der Arbeitnehmer. Vor allem um die Weiterbildung der Belegschaft wird es ihm in den kommenden vier Jahren gehen. Zugleich muss er Wege finden, die Tarifflucht zu stoppen, starke Betriebsräte zu installieren und angesichts der stetig steigenden Zahl von Studenten die Präsenz der Gewerkschaften an den Hochschulen auszubauen. Viel zu tun, für den Arbeitersohn aus Wuppertal.

(maxi)
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