Änderungen ab Mitte 2016 Richter kippen Steuervorteile für Firmen

Berlin · Kleine und sehr große Unternehmen müssen sich nach dem Verfassungsurteil auf Änderungen ab Mitte 2016 einstellen. Größere Firmen ab 250 Mitarbeitern werden bald nachweisen müssen, dass sie noch einen Steuernachlass benötigen.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat gestern Teile der seit 2009 geltenden Verschonungsregeln für Firmenerben für verfassungswidrig erklärt. Er räumte der Bundesregierung Zeit bis Mitte 2016 für eine Neuregelung ein. Bis dahin seien die bisherigen Regeln weiter anwendbar (Az. 1 BvL 21/12).

Was genau hat das Verfassungsgericht entschieden?

Das Gericht stieß sich vor allem an der "exzessiven" Ausnutzung der Verschonungsregeln durch Firmenerben. So hätten Firmenerben 2012 fast 40 Milliarden Euro an Steuern gespart, während der Fiskus insgesamt nur 4,3 Milliarden Euro an Erbschaftsteuer eingenommen hat, sagte der Vorsitzende Richter Ferdinand Kirchhof. Wer als Firmenerbe einen Betrieb nach dem Übergang fünf Jahre lang weiterführt und keinen nennenswerten Arbeitsplatzabbau vornimmt, bekommt 85 Prozent der Erbschaftsteuer erlassen. Nach sieben Jahren bleiben Firmenerben steuerfrei, wenn sie Betrieb und Arbeitsplätze erhalten. Für Firmen mit bis zu 20 Mitarbeitern gilt dies automatisch. Sie müssen nicht nachweisen, dass ihre Lohnsumme weitgehend stabil geblieben ist.

Wie begründen die Richter ihr Urteil?

Aus Sicht der Richter wurde nach 2009 die Ausnahme zur Regel. Gegenüber den Erben sonstiger Vermögen wurden die Firmenerben so überprivilegiert. Zwar erkennt das Gericht ausdrücklich wie bereits 2006 in einem früheren Urteil an, dass Firmenerben wegen ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl und den Erhalt von Arbeitsplätzen begünstigt werden dürfen. Doch schießen die 2009 nochmals verbesserten Verschonungsregeln über dieses Ziel hinaus, so das Gericht.

Was sind die Folgen für kleinere Unternehmen?

Auch Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern werden künftig nachweisen müssen, dass sie ihre Lohnsumme über fünf beziehungsweise sieben Jahre weitgehend konstant gehalten haben, wenn sie künftig Steuernachlass bekommen wollen.

Womit müssen größere Unternehmen und Konzerne rechnen?

Das Gericht hält es nicht für gerechtfertigt, auch große Unternehmen von der Erbschaftsteuer zu befreien, ohne dass diese ihre Bedürftigkeit nachweisen. Es gibt der Politik daher für diese Unternehmen vor, Kriterien für eine solche "Bedürfnisprüfung" zu entwickeln. Als größere Unternehmen gelten nach einer EU-Definition Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern. "Größere Unternehmen werden nach dem neuen Recht nachweisen müssen, warum sie eines Steuernachlasses bedürfen", sagte der Chef der Bundessteuerberaterkammer, Horst Vinken. "Sicher ist, dass künftig jedes größere Unternehmen eine Bedürfnisprüfung beantragen wird." Zudem werde es eine Welle vorgezogener Firmenübergaben geben.

Welche politische Debatte ist jetzt zu erwarten?

Mit dem Urteil gewinnt die politische Debatte über die Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich und die vermeintliche Unterfinanzierung des Staates wieder an Fahrt. In der SPD wollen viele das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer erhöhen, damit die Länder ab 2020 einfacher die Schuldenbremse erfüllen können. Die SPD-Linke hatte vorgeschlagen, Betriebserben anzubieten, Firmenanteile notfalls zu verstaatlichen. Auch die Grünen streben ein höheres Aufkommen an.

Wird das Aufkommen jetzt steigen?

Das lässt sich schwer abschätzen. Die Union hat zwar zugesichert, das Erbschaftsteuer-Aufkommen von fünf Milliarden Euro pro Jahr insgesamt in etwa stabil zu halten. Allerdings könnte sich an der Aufteilung etwas ändern: Firmenerben könnten künftig mehr, private Erben weniger zum Gesamtaufkommen beitragen. "Das Verfassungsgericht sagt klar, dass der Gesetzgeber der Sicherung von Arbeitsplätzen bei der Unternehmensnachfolge Rechnung tragen darf", sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unserer Zeitung. Deshalb habe das Gericht Verschonungsregeln für Firmen grundsätzlich anerkannt. "Einzelregelungen halten die Verfassungsrichter für nicht verfassungskonform. Das Gericht kritisiert auch, dass einige Regeln zu exzessiv in Anspruch genommen worden sind, was zu Ungleichbehandlungen geführt hat", sagte Schäuble.

Welche wichtige Rolle kommt den Grünen im Bundesrat zu?

Die Reform der Erbschaftsteuer muss durch den Bundesrat. Hier haben die Grünen großen Einfluss, weil sie in acht Bundesländern mitregieren. Grünen-Finanzsprecherin Lisa Paus forderte die Koalition auf, das Urteil nicht erst Mitte 2016, sondern "rückwirkend zur Urteilsverkündung" umzusetzen.

Was fordern Ökonomen?

Der Sachverständigenrat ist für eine grundlegende Reform. "Die Bundesregierung sollte das Urteil zum Anlass für eine Vereinheitlichung der Erbschaftsteuer nehmen", sagte der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt. Sein Vorschlag: "Die übermäßigen Begünstigungen für Betriebsvermögen und selbst genutztes Wohneigentum sollten zurückgenommen werden und gleichzeitig die Steuersätze so gesenkt werden, dass das Aufkommen insgesamt unverändert bleibt."

(mar)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort