Interview mit Rainer Dulger "Mit überzogenen IG-Metall-Forderungen kann ich umgehen"

Düsseldorf · Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, spricht im Interview mit unserer Redaktion über das Zusammenspiel mit den Gewerkschaften, das drohende Scheitern der Energiewende, die Folgen der Rentenpolitik und die Notwendigkeit von Leiharbeit und Werkverträgen.

 Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.

Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.

Foto: DPA / Franziska Kraufmann

Herr Dulger, im Mai muss die Metall- und Elektroindustrie 2,2 Prozent mehr Lohn zahlen. Ist das nach den 3,4 Prozent im vergangen Jahr eine Überforderung?

Dulger Zusammengerechnet bedeutet das eine Kostenbelastung von 3,25 Prozent für 2014. Für einige ist das zu viel, einige ertragen es zähneknirschend und einige werden es problemlos stemmen. Wichtig ist, dass wir international wettbewerbsfähig bleiben. Und da habe ich an andere Stelle größere Sorgen als bei der Lohnerhöhung.

Sie sprechen von den hohen Energiekosten.

Dulger Unter anderem. Ohne bezahlbare Energie sind wir nicht wettbewerbsfähig. Die Energiewende ist ein sehr wichtiges Ziel der Politik. Ich sehe aber im Moment keine überzeugende Perspektive, dass sie gelingt. Energieminister Gabriel hat da eine enorme Aufgabe.

Wie beurteilen Sie Gabriels Pläne?

Dulger Dass die Regierung Unternehmen, die ihre Energie selbst erzeugen und verbrauchen, nun stärker mit Abgaben belastet, ist eine Katastrophe. Der Plan kann so nicht bleiben.

Zugleich will die Regierung aber auch die -wie von der Industrie gefordert- Einspeisevergütung für erneuerbare Energien senken. Das müsste sie doch freuen.

Dulger Das reicht aber nicht. Wir brauchen ein Gesamtkonzept und nicht nur einzelne Maßnahmen. Es muss bezahlbaren Strom für die mittelständische Industrie geben. Ich selbst habe auch leider kein Patentrezept, wie man das erreicht.

Im schlimmste Fall durch den Wiedereinstieg in die Atomenergie?

Dulger Mein Worst-Case-Szenario ist eher, dass die energieintensive Industrie dahin geht, wo der Strom erschwinglich ist. Ich kann Ihnen Unternehmen nennen, die bereits ins Elsass abgewandert sind, weil der Strom dort ein Drittel weniger kostet.

Erleben wir bereits einen Massenexodus?

Dulger Es passiert — aber noch nicht spürbar. Die Abwanderung wird nicht mehr so offensichtlich wie vor 30 Jahren. Da werden völlig geräuschlos Baugruppenprodukte ins Ausland verlagert. Und die kommen nie mehr zurück. Soll das die Zukunft sein? Ich halte das für falsch.

Sehen Sie in dem Prüfverfahren zur EEG-Umlage von Herrn Almunia eine weitere Bedrohung?

Dulger Wir Deutschen sind nicht nur größter Nutznießer des europäischen Marktes, sondern auch größter Nettozahler. Wir sollten unsere Interessen entsprechend stärker in Brüssel geltend machen. Sollte Almunia zu dem Ergebnis kommen, dass die EEG-Ausnahmen wirklich dem EU-Recht widersprechen, sollten wir solche Formen vielleicht besser auch in anderen EU-Staaten zulassen. Wenn wir Ausnahmen benötigen, dann müssen wir auch um sie kämpfen.

Sprechen wir über Tarifverhandlungen. Bei der letzten haben Sie auf mehr Flexibilität für die Unternehmen gepocht — haben sich diese Forderung aber für eine lange Laufzeit abkaufen lassen.

Dulger Ich mag diesen Begriff nicht. Wir haben einen Kompromiss gefunden. Beide Seiten haben sich bewegt.

Es gab aber viel Kritik — etwa von den Maschinenbauern und dem Bundesverband der Arbeitgeber, dass die Flexibilität am Ende keine Rolle gespielt hat.

Dulger Es gab ein Gesamtpaket beim Abschluss, deshalb ist die vereinzelte Kritik nicht gerecht. Und die Forderung nach mehr Flexibilität halten wir auch aufrecht. Wir brauchen sie. Deswegen sind die Pläne der großen Koalition schlecht, noch stärkere Einschränkungen bei Werkverträgen und Zeitarbeit einzuräumen.

Die Gewerkschaften kritisieren, dass Werkvertragsnehmer weder tarifvertraglichen Regeln, noch Branchenzuschlägen oder Betriebsvereinbarungen unterliegen. Bietet dieses Instrument nicht doch die Möglichkeit, Lohndumping zu betreiben?

Dulger Das ist Quatsch. Wir wollen doch keine Werkvertragsnehmer oder Zeitarbeiter, um Lohndumping zu betreiben. Echter Missbrauch ist im Übrigen schon heute verboten — bei drastischen Strafen. Da gibt es keinen zusätzlichen Regelungsbedarf. Für die unternehmerische Freiheit brauchen wir diese Instrumente. Ich muss selbst entscheiden, was ich mit meinen Leuten im eigenen Betrieb herstelle und was ich nach draußen gebe. Es werden jetzt einige wenige Grenzfälle hochdramatisiert, um daraus fälschlicherweise einen allgemeinen Trend am Arbeitsmarkt abzuleiten.

Die IG Metall pocht dennoch auf mehr Mitsprache ihrer Betriebsräte. Was würde das praktisch bedeuten?

Dulger Das würde unsere Mitbestimmungskultur gefährden. Wir würden uns in ein Mitbestimmungschaos begeben. Bei Streitigkeiten müssten wir immer paritätische Kommissionen oder Schiedsgerichte einschalten. Davor kann ich nur warnen.

Sie haben jüngst für das laufende Jahr ein Wachstum von drei Prozent angekündigt. Das dürfte Begehrlichkeiten bei den Arbeitnehmern wecken.

Dulger Das ist in der Tat sehr optimistisch. Aber ich habe das vorsätzlich getan. Ich will erst mal die eigene Mannschaft ermutigen. Mit den Begehrlichkeiten der IG Metall und ihren überzogenen Forderungen kann ich umgehen.

Können Sie sich vorstellen, das Thema niedrigere Einstiegsgehälter in der kommenden Tarifrunde anzugehen? IG-Metall-Chef Wetzel wäre zu einer Diskussion bereit — vorausgesetzt all Ihre Verbandsmitglieder zahlen auch den Tarifvertrag.

Dulger Sie sprechen von den OT-Mitgliedschaften. Grundsätzlich bekommt man die nicht abgeschafft. Das passt einfach zu unserer heterogenen Tariflandschaft. Ich merke das in jeder Tarifrunde. Einige Betriebe stehen kurz vor der Pleite, einigen geht es na so lala und bei einigen brummt es. Und zu den hohen Einstiegsgehältern: Also, die OT-Mitgliedschaft ist nicht das Problem.

Sondern?

Dulger Wir brauchen einen Dienstleistungstarifvertrag. Der würde sich nicht an den Metallfacharbeitern orientieren — die ein Jahresdurchschnittseinkommen von rund 50.000 Euro und damit mehr als das Pro-Kopf-Einkommen in der Schweiz haben. Nicht alle Tätigkeiten in unserer Industrie brauchen diesen Grad an Qualifikation und diese Bezahlung.

Auch auf die Gefahr hin, dass Ihnen dann statt Detlef Wetzel und Jörg Hofmann Verdi-Chef Frank Bsirske gegenübersitzt?

Dulger (lacht) Nein, da wird die IG Metall schon dafür sorgen, dass sie das mit uns aushandelt.

Sie gelten als starker Verfechter der Tarifeinheit — also kurz gesagt des Prinzips "Ein Unternehmen, ein Tarifvertrag". Inwieweit betrifft sie das?

Dulger Direkt betrifft uns das nicht, aber unsere Lieferanten. In manchen Betrieben gibt es eigene Kraftwerke und eigene Werkfeuerwehren. Wenn da die 20 Mitglieder der Feuerwehr streiken, erlischt die Betriebserlaubnis. Das wäre die Diktatur der Minderheit und daher brauchen wir die Tarifeinheit.

Und wie soll eine Tarifeinheit verfassungsrechtlich funktionieren?

Dulger Es soll ja nicht die Bildung von Spartengewerkschaften verboten werden. Es geht uns nur um die Friedenspflicht. Der Tarifvertrag, dem die meisten Beschäftigten in einem Unternehmen unterliegen, wäre dann für diese ausschlaggebend. Wenn sie ausläuft, dürfen auch die Spartengewerkschaften streiken. Das Gesetz, das uns vorschwebt, würde lediglich dazu führen, dass sich die Kleinen mit den Großen abstimmen müssen. Mittlerweile gibt es nämlich einige, deren Programm einzig aus Krawall besteht. Denen geht es gar nicht mehr um Arbeitnehmerinteressen.

Sie haben sich sehr kritisch zum Mindestlohn geäußert. Dabei ist Ihre Branche doch überhaupt nicht betroffen. Wieso die Kritik?

Dulger Auch hier könnten Dienstleister und Betriebe in der Lieferkette betroffen sein. Und er greift natürlich in unsere Tarifautonomie ein. Deshalb beteiligen wir uns an der Diskussion. Der Mindestlohn wird— wenn er starr für alle eingeführt wird — Arbeitsplätze vernichten. In großen Ballungsräumen findet man für 8,50 Euro kein Personal, weil man davon nicht leben kann. In Grenznähe, etwa in Frankfurt/Oder, ist es anders: Da werden sich die Leute wohl nicht mehr von einem Friseur die Haare schneiden lassen, der den Mindestlohn zahlen muss. Sie gehen dann über die Grenze nach Polen oder lassen sich schwarz die Haare schneiden. Steigende Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit kann ja wohl nicht im Interesse des Gesetzgebers sein.

Was halten Sie von den Rentenplänen der Koalition?

Dulger Ich halte sie für ungerecht und nicht weitsichtig: In Zukunft müssen immer weniger arbeitsfähige Menschen für immer mehr Leistungsempfänger aufkommen. Und jetzt wird eine Generation von Berufstätigen, die heute ins Arbeitsleben einsteigt, für neue Leistungen mit höheren Abgaben belastet, wobei sie sie selbst in Zukunft niemals bekommen werden.

Macht die Regierung Klientelpolitik für die Alten?

Dulger Das ist nichts anderes als Buhlen um die Gunst der Wähler.

Und was bedeuten die Rentenpläne für die Unternehmen?

Dulger Allein die Mütterrente kostet mehr, als die Rente mit 67 eingebracht hätte. Wenn wir nur das Rentenversprechen aus der Mütterrente aufrechterhalten, dann müssten wir ungefähr 32 Jahre lang höhere Beiträge zahlen. Wir essen heute schon die Saatkartoffeln von morgen. Solange die Rente weitgehend beitragsfinanziert ist, kann die Rechnung nicht aufgehen. Wir müsse

n aus Steuergeldern nachschießen. Und auch das würde die Wirtschaft belasten und hätte Auswirkungen am Arbeitsmarkt.

Was wäre der gangbare Weg, um die Rente zukunftssicher zu machen?

Dulger Wann dürfen wir endlich in dieser Gesellschaft darüber reden, dass wir alle gesünder leben, älter werden und damit auch länger arbeiten können? Deshalb können grundsätzlich auch immer mehr von uns ohne Probleme bis zur Rente mit 67 arbeiten. Viele wünschen sich das sogar. Natürlich gibt es auch diejenigen, die es nicht können oder dazu keine Lust mehr haben. Bei denen müssen wir über faire Ausnahmen reden, bei uns gibt es sie schon im Tarifvertrag. Diese generelle Regelung, dass einer nach 45 Jahren gehen kann, halte ich für falsch.

Wenn Sie sagen, wir müssen das regeln, sprechen Sie dann von den Tarifpartnern?

Dulger Wenn die Politik das nicht hinbekommt, dann ja.

Ein Schichtarbeiter dürfte Ihnen vehement widersprechen.

Dulger Wir sind keine Nation von Schichtarbeitern und Dachdeckern. Ohne Zweifel kann man diese beiden Tätigkeiten nicht bis 67 machen. Aber dann müssen wir Ausnahmen fair handhaben. Aber es müssen Ausnahmen sein, nicht die Regel.

Maximilian Plück führte das Gespräch

(maxi)
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