Essen Rätselhafter Gerhard Cromme

Essen · Die Spekulationen über eine Fusion von ThyssenKrupp und Siemens reißen nicht ab. Chefkontrolleur Gerhard Cromme hat sie jetzt dementiert. Aber das Dementi wirft neue Fragen auf. Was treibt den mächtigen Manager um?

Je mächtiger ein Manager ist, desto weniger muss er sagen, um von sich Reden zu machen. Dafür bietet der Chefaufseher von ThyssenKrupp und Siemens, Gerhard Cromme, gerade wieder ein Beispiel. Zu den anhaltenden Medienspekulationen um eine Fusion von ThyssenKrupp und Siemens sagte Cromme erst monatelang gar nichts. Und dann vor kurzem in einem Interview mit der "Süddeutschen": "Solange ich Aufsichtsratsvorsitzender von beiden oder einem der beiden Unternehmen bin, wird es einen Zusammenschluss von ThyssenKrupp und Siemens nicht geben." Das klingt wie eine eindeutige Absage. Aber ist sie das wirklich? Sie ist es nicht. Der Satz wirft im Gegenteil nur neue Fragen auf.

Zum Beispiel die, wie lange Cromme noch "Aufsichtsratsvorsitzender von beiden oder einem der beiden Unternehmen" ist. Als sicher gilt, dass der 69-Jährige die Nachfolge von Berthold Beitz (98) an der Spitze der Krupp-Stiftung antreten wird – der eigentlichen Macht-Zentrale des kriselnden Industrie-Giganten ThyssenKrupp. Offiziell bestätigen will das natürlich niemand. Das wäre eine Geschmacklosigkeit gegenüber der Ruhr-Legende Berthold Beitz, der erst vor wenigen Monaten noch persönlicher Gastgeber höchster Granden aus Politik und Wirtschaft war, als die Stiftung in der Essener Villa Hügel das 200-jährige Krupp-Bestehen gefeiert hat. ThyssenKrupp durchlebt wegen milliardenschwerer Fehlinvestitionen in Übersee gerade die schwerste Krise seiner Geschichte. Beitz sieht sich als Vollstrecker des Krupp'schen Erbes und will sich nicht nachsagen lassen, in dieser Krise von Bord zu gehen. Aber wieviel Krise will ein 98-Jähriger sich wie lange noch zumuten?

Theoretisch könnte Cromme Chef der Krupp-Stiftung werden und seinen Posten als Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp trotzdem behalten. Das ist aber unwahrscheinlich. Die Krupp-Stiftung entsendet aufgrund eines höchst umstrittenen Sonderbeschlusses aus dem Jahr 2007 mit drei Vertretern ohnehin mehr Statthalter in den Aufsichtsrat, als ihr aufgrund ihres Aktienanteils von 25 Prozent zusteht.

Mit Cromme als Doppel-Chef von Krupp-Stiftung und Aufsichtsrat hätte die Stiftung ein solches Übergewicht bei ThyssenKrupp, dass der Konzern für andere Großaktionäre uninteressant werden könnte – zumal die Stiftung bisweilen andere Interessen als der Konzern hat. Das wird zum Beispiel daran erkennbar, dass sie auch in schlechten Zeiten auf einer Dividende zur Finanzierung ihrer wohltätigen Zwecke besteht, obwohl ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger das Geld an allen Ecken und Enden fehlt. Eher unwahrscheinlich also, dass Cromme sein Amt im ThyssenKrupp-Aufsichtsrat nach einem Wechsel an die Spitze der Krupp-Stiftung behält.

Noch unwahrscheinlicher ist, dass er so mit seinem Mandat als Siemens-Aufsichtsratschef verfahren wird. Zwar ist die Satzung der Krupp-Stiftung aus unklaren Gründen geheim. Aber zuverlässige Quellen versichern, der Chefposten bei der Krupp-Stiftung sei mit dem Vorsitz im Aufsichtsrat von Siemens unvereinbar. Somit bleibt am Ende von Crommes Zitat wenig Erhellendes übrig: Wechselt er an die Spitze der Krupp-Stiftung und gibt infolge dessen seine beiden Chefposten in den Aufsichtsräten von Siemens und ThyssenKrupp ab, könnten die Konzerne fusionieren, ohne dass Cromme seiner sibyllinischen Formulierung untreu geworden wäre.

Als Krupp-Chef hatte Cromme 1992 die Übernahme des Stahl-Wettbewerbers Hoesch und 1999 die Fusion mit Thyssen eingefädelt. Später organisierte er den Wechsel des ehemaligen Siemens-Top-Managers Heinrich Hiesinger an die Konzernspitze von ThyssenKrupp. Hiesinger wiederum will ThyssenKrupp sanieren, indem er das Stahlgeschäft verkleinert und die Technologie-Geschäftsfelder des Konzerns ausbaut. Damit rückt Hiesinger ThyssenKrupp inhaltlich näher an Siemens heran. Aus dieser Faktenkette leiten viele Beobachter ihre These ab, der große Strippenzieher Cromme treibe die Fusion von Siemens und ThyssenKrupp voran, um das Krupp'sche Erbe über die akute Krise des ThyssenKrupp-Konzerns zu retten. Eine plausible These. Aber nicht alles, was plausibel ist, ist auch wahr.

Crommes Wiederwahl als Aufsichtsratschef bei Siemens steht im Umfeld der nächsten Hauptversammlung am 23. Januar 2013 an.

(RP)
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