Energie Öl-Boom macht USA zu Saudi-Amerika

Washington · Die USA sind wieder zu einem Land der Bohrtürme geworden. Ob Öl, ob Gas – moderne Fördertechniken machen das Land, das sich schon damit abgefunden hatte, dass seine Energiereserven zur Neige gingen, seit einem halben Jahrzehnt zu "Saudi-Amerika".

 Öl-Boom in den USA. Diese Aufnahme zeigt die Förderung in der Nähe der Stadt Fredrick im US-Bundestaat Colorado.

Öl-Boom in den USA. Diese Aufnahme zeigt die Förderung in der Nähe der Stadt Fredrick im US-Bundestaat Colorado.

Foto: dapd, Ed Andrieski

Die USA sind wieder zu einem Land der Bohrtürme geworden. Ob Öl, ob Gas — moderne Fördertechniken machen das Land, das sich schon damit abgefunden hatte, dass seine Energiereserven zur Neige gingen, seit einem halben Jahrzehnt zu "Saudi-Amerika".

Bis zum Jahr 2020 dürften die USA laut einer vor kurzem vorgestellten Studie der Internationalen Energieagentur IEA vor Saudi-Arabien wieder zum größten Ölproduzenten der Welt werden — eine Position, welche sie vor zehn Jahren verloren hatten. Beim Erdgas werden die Vereinigten Staaten das größte Förderland Russland spätestens 2015 überholen.

Die Statistiken sind imposant: Die IAE sagt einen Anstieg der US-Ölförderung bis 2020 um fast 40 Prozent voraus. Allein seit Anfang 2009 ist die Erdgasförderung der Vereinigten Staaten um ein Fünftel gestiegen. Gleichzeitig sind die Gaspreise kollabiert. Erdgas ist für US-Konsumenten heute um 85 Prozent billiger als im Sommer 2008 und kostet nur noch ein Viertel so viel wie in Europa.

Erschöpfte Öl- und Gasfelder können ein zweites Mal angezapft werden

Möglich gemacht hat das eine Revolution der Bohrtechnologie, die "hydraulische Frakturierung" oder das "Fracking". Mit Chemikalien versetztes Wasser wird unter hohem Druck ins Gestein gepresst und löst das Erdöl oder Erdgas aus dem Boden. Kombiniert mit einer verbesserten Technologie für horizontale Bohrungen ist es nun möglich, bisher unerreichbare Vorkommen zu erschließen. Selbst vermeintlich erschöpfte Öl- und Gasfelder können ein zweites Mal angezapft werden.

Vor zehn Jahren wurde in den USA nur ein Prozent des Erdgases durch "Fracking" gewonnen. Heute ist es mehr als ein Drittel. Der Boom bei Öl und Gas gründet auf typisch amerikanischen Stärken. Es waren nicht die großen Energiekonzerne, sondern einzelne Pioniere, welche oft ihr ganzes Kapital für die Entwicklung dieser Technologie riskierten — ohne staatliche Unterstützung, allerdings auch ohne die ökologischen Bedenken, die diese Fördertechnik in Europa bisher blockieren.

Die Bundestaaten im amerikanischen Westen, wo die neuen Methoden sich etablierten, sind dünn besiedelt und haben meist republikanische Regierungen, die der Ausbeutung des Landes wenig Steine in den Weg legen. Wo mehr Menschen betroffen sind, etwa in Pennsylvania, gibt es auch in den USA heftige Diskussionen darüber, was das "Fracking" für das Trinkwasser bedeuten kann. Aber während europäische Länder wie Frankreich und Bulgarien diese Fördermethode verboten haben, hat dies in den USA die Entwicklung nicht gestoppt.

Das amerikanische Erdgas kann nicht exportiert werden

Zu verführerisch ist das ökonomische Potenzial. Vor allem die Erdgasförderung ist eine Erfolgsgeschichte. Während das per "hydraulischer Frakturierung" aus dem Boden gepresste Öl relativ teuer ist, wurde Erdgas immer preisgünstiger. Das hat nicht nur die privaten Verbraucher entlastet, sondern auch zu einer Renaissance energieintensiver Industrien geführt. Selbst europäische Chemieunternehmen denken inzwischen an eine Produktionverlagerung in die USA.

Bisher gibt es keine Möglichkeit, das amerikanische Erdgas zu exportieren. Es fehlt an Pipelines, Verflüssigungsanlagen und Häfen, wo Tanker anlegen können. Die Preise in den USA fallen, weil zum Leidwesen der Produzenten der heimische Markt das wachsenden Angebot kaum absorbieren kann. Anders sieht es beim Öl aus, dessen Preis der Weltmarkt bestimmt. Viele Amerikaner wundern sich darüber, warum die Benzinpreise nicht so gesunken sind wie die Gaskosten.

Der Politologe Steve Yetiv, der ein Buch über die Rolle der Ölindustrie verfasst hat, erklärt das ganz einfach: "Öl ist ein global gehandeltes Gut. Man muss sich das als einen riesigen Pool von Öl vorstellen. Egal wo das Öl herkommt, die Käufer zahlen etwa den gleichen Preis dafür." Daran ändere auch das seit der Ölkrise von 1973 bestehende Exportverbot für US-Rohöl nichts. Der Produktionszuwachs in den USA habe das im Weltmaßstab verfügbare Öl bisher um weniger als zwei Prozent gesteigert.

Stromerzeuger rüsten ihre Kraftwerke von Kohle auf Erdgas um Der Förderboom in den USA hat dennoch globale Folgen. Wenn der Importbedarf der USA aus dem Nahen Osten in den kommenden Jahren auf Null zurückgehen wird, verändert das die amerikanischen Interessen. Der Energiemagnat T.Boone Pickens fragt bereits ketzerisch, warum die USA am Persischen Golf dann eigentlich noch präsent sein müssten: "Es ist doch verrückt, dass wir die Fünfte US-Flotte dort gebunden haben, um Öl zu schützen, das nach China und Europa fließt."

"Ökologisch korrektes Europa"

Vor allem dank des billigen Erdgases haben die USA erreicht, was jahrelange, ergebnislose Debatten über eine CO2-Abgabe nicht geschafft haben: Immer mehr Stromerzeuger rüsten ihre Kraftwerke von Kohle auf Erdgas um. Das hat den Nebeneffekt, das je Kilowattstunde Strom deutlich weniger CO2 in die Atmosphäre geblasen wird als bisher. Die USA verbrauchen heute 27 Prozent weniger Kohle als im Jahr 2008. Auch die Kernenergie ist in die Defensive geraten. Der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland könnte hingegen dazu führen, dass zumindest vorübergehend mehr Kohle verstromt werden muss. "Ökologisch korrektes Europa wendet sich der Kohle zu", so lautete vor kurzem eine Überschrift in der New York Times.

Wenn die USA den CO2-Ausstoß mit einer Abgabe versehen würden wie in Europa, könnte der Wechsel zum Erdgas allerdings deutlich beschleunigt werden. Kombiniert mit einer langfristigen Förderung grüner Energien wäre Erdgas die perfekte "Brückenenergie" hin zu einer emissionsfreien Zukunft. Doch solch langfristige Politik hat in den USA bisher keine Chance. Die Republikaner blockieren jeden Ansatz dazu. Präsident Barack Obama, der bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl auf das Thema Klimaschutz angesprochen wurde, hat nur ausweichend geantwortet. Mehr Bohrtürme von North Dakota bis Pennsylvania sind auch für ihn die einfachste energiepolitische Lösung.

(csi)
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