Die Rettungsfonds sollen parallel laufen OECD verlangt Billionen-Rettungsfonds

Die Kanzlerin hat ihrer Meinung geändert: Die Rettungsfonds sollen nun doch nicht verrechnet werden, sondern parallel laufen. Die Fraktionen stimmten bei nur wenigen Gegenstimmen ihrem Schwenk zu. Der OECD ist selbst das zu wenig: Sie ruft nach der "Mutter aller Brandmauern".

Brüssel/Berlin Die Regierungsfraktionen hatten gestern der Neuordnung der Euro-Rettung noch nicht zugestimmt, da legte die Industrieländer-Organisation OECD schon nach: Sie fordert nun einen Rettungsschirm über eine Billion Euro. "Die Mutter aller Brandmauern sollte in Stellung gebracht werden", sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría gestern in Brüssel. Die OECD schätzt den Refinanzierungsbedarf angeschlagener Euro-Länder "auf mehr als eine Billion Euro über die kommenden zwei Jahre". Der Schirm müsste stark genug sein, um Spekulanten abzuschrecken und mögliche Hilfsanträge klammer Staaten zu erfüllen.

Damit steigt vor dem Treffen der Euro-Finanzminister am Freitag in Kopenhagen der Druck auf die Bundesregierung, mehr für die Euro-Rettung zu tun. "Wenn man mit Märkten zu tun hat, sollte man lieber über das Ziel hinausschießen. Wenn die Märkte 50 erwarten oder 70 verlangen, dann gib ihnen 100", forderte Gurría.

Auch die EU-Kommission fordert mehr Hilfe. Sie will, dass das Kreditvolumen des dauerhaften Rettungsschirms ESM (500 Milliarden Euro) und das des befristeten Rettungsschirms EFSF (440 Milliarden Euro) dauerhaft addiert werden. Das galt bisher wegen des deutschen Widerstands als illusorisch, doch den hat die Bundesregierung nun aufgegeben. Im Sommer tritt der dauerhafte Schirm ESM in Kraft. Bisher hatten die Deutschen darauf beharrt, dass mit dem neuen Geld jene 200 Milliarden Euro verrechnet werden, die aus dem befristeten Fonds EFSF noch ungenutzt sind. Doch nun hat die Kanzlerin ihre Meinung geändert. Nun ist die Bundesregierung bereit, die Schirme nebeneinander laufenzulassen: Die 200 Milliarden Euro aus dem EFSF sollen zu den 500 Milliarden Euro aus dem ESM hinzukommen. Die maximale "Gesamtfeuerkraft" steigt damit auf 700 Milliarden Euro. Das Haftungsrisiko für Deutschland erhöht sich von 211 auf 400 Milliarden Euro. Träte der Ernstfall ein und müsste der Bund zahlen, würde auf einen Streich mehr Geld benötigt, als im Bundeshaushalt 2012 verplant ist.

Und vielen OECD-Ländern sind selbst 700 Milliarden zu wenig. Brasilien, China und die USA sind nur dann bereit, den Internationalen Währungsfonds stärker in Europa zu verpflichten, wenn die Europäer ihr Bollwerk verstärken — und eine Billion Euro Hilfe möglich machen.

CDU-Fraktionschef Volker Kauder versuchte gestern, den Schwenk herunterzuspielen. Mit einem höheren Schutzschirm sinke schließlich die Wahrscheinlichkeit, dass dieser überhaupt benötigt werde. Auch CSU und FDP hatten zuvor den von Kanzlerin Angela Merkel vorgeschlagenen Schwenk zugestimmt. Ein Aufbegehren der Fraktionen blieb gestern aus.

"Es hat sich ein gewisses Maß an Rettungs-Routine eingestellt", lautet die Vermutung von Euro-Skeptiker Wolfgang Bosbach. Er gehört zu den vier Abgeordneten, die sich gegen die auf ein Jahr befristete Parallelität von ESM und EFSF wandten. Sein Kritikpunkt setzt an der vertraglichen Vereinbarung aller EU-Staaten an, wonach kein Land für die Schulden des anderen aufkommen dürfe. "Dieser Grundsatz wurde durch die EFSF zunächst auf Zeit aufgegeben und soll nun durch den ESM auf Dauer ausgehebelt werden", sagte Bosbach unserer Zeitung. Damit würden die "Risiken für übergroße Verschuldung auf die Steuerzahler anderer Länder verlagert", und dazu sage er "Nein".

(RP/jh-)
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