NRW - Wirtschaft im Wandel (9/11) Weezer Wette auf Wasserstoff

Weeze · Wystrach-Produkte kamen schon bei der Bergung des russischen Atom-U-Boots „Kursk“ zum Einsatz. Nun sollen Neuentwicklungen vom Niederrhein die Energiewende beschleunigen. Die Einsatzmöglichkeiten sind enorm.

 Wolfgang Wolter (l.) und Jochen Wystrach leiten das Unternehmen Wystrach. Im Hintergrund sieht man gebündelte Gasdruckbehälter.

Wolfgang Wolter (l.) und Jochen Wystrach leiten das Unternehmen Wystrach. Im Hintergrund sieht man gebündelte Gasdruckbehälter.

Foto: Markus van Offern (mvo)

In der schwersten Krise des Unternehmens beschloss Joachim Wystrach, einen Lastwagen zu kaufen und auf Reisen zu gehen. Der Unternehmer hatte gerade ein Drittel seiner 30-köpfigen Belegschaft entlassen müssen. Das Geschäft war 1992 urplötzlich eingebrochen. Es mussten neue Aufträge her. Also packte Wystrach alle Produkte des Unternehmens in den Lkw und fuhr los.

Wenn Jochen Wystrach knapp 30 Jahre später seinen Vater beschreiben soll, dann wählt er als Erstes dieses Wort: Macher. Im Grunde basiert der Erfolg des Unternehmens Wystrach noch heute auf dieser Mentalität. „Wir sagen Mitarbeitern immer: Wir versprechen nichts, außer, dass es nicht langweilig wird“, sagt Jochen Wystrach, der das nach dem Familiennamen benannte Weezer Unternehmen heute in zweiter Generation zusammen mit dem langjährigen Geschäftsführer Wolfgang Wolter leitet. 1988 hat dieser im Betrieb angefangen – und sich vom Schlosser zum Mitinhaber und Geschäftsführer hochgearbeitet.

Heute gehören Schwergewichte wie Air Liquide und Linde zu den Kunden

Die Tour von Wystrachs Vater rettete damals das Unternehmen, man holte neue Aufträge rein, das Geschäft zog wieder an – auch dank einer Innovation, dem sogenannten Wystrach-Bündel. Das Unternehmen hatte schon zuvor durch einen Zufall Erfahrungen mit dem Bündeln von Gasflaschen gesammelt. Doch mit dem neuen Produkt machte man sich in der Branche einen Namen und wurde zum Lieferanten der ganz Großen: Air Liquide, Linde, Messer.

Bei einem Rundgang durch die Produktion sieht man weitläufige Hallen, in denen aus Stahl große Rahmen geschweißt werden. In diesen werden anschließend mehrere Gasflaschen gebündelt, nachdem sie zuvor von Wystrach beschichtet wurden. Bis zu 500 bar Betriebsdruck halten die Flaschen standardmäßig aus – ein Vielfaches dessen, was etwa bei einem herkömmlichen Gasgrill vorherrscht. Und dank einer von Wystrach entwickelten Armatur, mit der alle Flaschen verbunden sind, entfällt im Betrieb das lästige Wechseln von Flaschen.

Wystrach-Technik half bei der Bergung des U-Boots Kursk

Wie groß die technische Expertise ist, die in Weeze aufgebaut wird, zeigte sich 2001. Ein Jahr zuvor war das russische Atom-U-Boot „Kursk“ gesunken, 118 Besatzungsmitglieder waren dabei ums Leben gekommen. Eine niederländische Firma bekam den Auftrag, das U-Boot mithilfe einer speziellen Bergungsplattform aus der unruhigen See zu bergen – und war dafür auf Hilfe aus Weeze angewiesen. Damit die Plattform ruhig im Wasser liegt, musste sie hydraulisch immer wieder stabilisiert werden. Und Wystrach lieferte die entsprechenden Container mit Hochdruck-Flaschen.

Das Beispiel zeigt, wie vielfältig die Produkte aus Weeze zum Einsatz kommen. Das Geschäft mit den Bündeln und deren Wartung ist noch heute der wichtigste Umsatzbringer für das Unternehmen. Doch seit einigen Jahren arbeiten Wystrach und Wolter daran, die Firmengeschichte um ein weiteres, zukunftsträchtiges Kapitel fortzuschreiben: Wasserstoff.

Bereits 2005 hatte man den ersten Anhänger für den Transport von Wasserstoff selbst entwickelt. Inzwischen ist das chemische Zeichen Hzu einem der Hoffnungsträger für das Gelingen der Energiewende geworden, in Japan wollte man die Olympischen Spiele nutzen, um Einsatzmöglichkeiten der Technologie zu zeigen.

Auch Alstom setzt auf die Expertise von Wystrach

Und Wystrach mischt in diesem Geschäft inzwischen fleißig mit. Für den Zughersteller Alstom hat das Unternehmen über Umwege für einen Unterlieferanten einen Prototyp der Gastankanlagen entwickelt, zugelassen und geliefert. „Dadurch konnten wir uns als Direktlieferant für die Serienfertigung qualifizieren“, sagt Wolfgang Wolter.

Für Windkraftanlagen hat das Unternehmen wiederum Container entwickelt, in denen überschüssiger Strom als Wasserstoff gespeichert werden kann. Und auf dem Hof in Weeze steht eine mobile Wasserstoff-Tankstelle. Wolfgang Wolter ist fest davon überzeugt, dass Wasserstoff auch im Verkehr die Zukunft sein wird – zumindest im Bereich der Lastwagen, Müllfahrzeuge oder Busse. „Rein batterieelektrisch wird die Welt im Truckbereich nicht funktionieren. Sonst könnte man vom Gewicht her nur noch Chipstüten durch die Gegend fahren“, sagt Wolter. 

Die neue Halle kostete eine Million – dann blieb der Auftrag aus

Für das Geschäftsgebiet werden auch neue Mitarbeiter benötigt. Zur knapp 180-köpfigen Belegschaft gehören heute auch Mitarbeiter, die sich mit Elektrotechnik auskennen.

Nun soll sich die Hartnäckigkeit bei dem Thema auszahlen. Es wäre nicht das erste Mal: 1996 hatte Wystrach die erste Halle gebaut, für eine Million Mark. Alles war auf Wachstum ausgelegt. Doch dann bekam man den Auftrag eines wichtigen Kunden nicht. Ein Schock, erinnert sich Wolfgang Wolter: „Dann habe ich gesagt: Wir eröffnen in sechs Wochen die neue Halle. Wenn wir bis dahin das Produkt zu den gewünschten Bedingungen liefern können, sind wir dann im Geschäft?“ Es seien sechs harte Wochen gewesen, doch am Tag der Eröffnung habe man dem Kunden das Produkt präsentiert und doch noch einen Teil des Auftrags bekommen. „Heute sind wir der einzige Lieferant.“

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