Gastbeitrag von Fabian Kienbaum Schluss mit dem Höher-schneller-weiter

Durch das Coronavirus arbeiten viele Menschen im Homeoffice und dadurch eigenverantwortlicher – und Führungskräfte merken: Es funktioniert. Das sollten wir nutzen, um Führung in Zukunft neu zu denken.

 Fabian Kiebaum ist CEO der Beratung Kienbaum aus Köln.

Fabian Kiebaum ist CEO der Beratung Kienbaum aus Köln.

Foto: Kienbaum

Wir befinden uns in einer Krise, die die Welt verändert. Was wir suchen, ist der Weg hinaus. Um ihn zu finden, versetzen wir uns für einen gedanklichen Augenblick zurück – nur ein paar Wochen. Was war vorher? Normalität, Zufriedenheit, Glück? Oder schwelte davor nicht auch schon längst eine Krise? Unser Streben galt bisher so oft dem Höher-schneller-weiter. Doch wir haben geahnt, dass es sich dabei um kein erstrebenwertes Lebensmodell handelte.

Ich meine, wir sollten eine neue, eine andere Normalität erreichen. Eine, in der das Höher-schneller-weiter-Phänomen zugunsten eines nachhaltigeren Weges in den Hintergrund tritt. Hier sehe ich global agierende Konzerne in der Pflicht. Ich sehe aber auch vor allem uns Familienunternehmer bzw. den Mittelstand in der Verantwortung. Die Aufgabe von uns Unternehmenslenkern besteht darin, mit all unserer Entschlossenheit, unserem Wissen, unserer Kreativität sowie mit der richtigen Balance aus globalem und regionalem Engagement zur Stelle zu sein. Das verstehe ich unter Nachhaltigkeit.

Es geht jetzt darum, Bekanntes mit dem in Einklang zu bringen, was wir durch die Krise erzwungenermaßen neu lernen. „New Work“ ist so ein Beispiel. War bis vor Kurzem noch ein demokratischerer Führungsstil auf dem Vormarsch, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, weg von individuellen Zielen hin zu einem gemeinsamem Purpose bringen sollte, entwickeln wir Menschen in der Krise die Neigung, eine direktive Führung schneller zu akzeptieren. Die Sehnsucht nach jemanden, der die Krise scheinbar beherrscht und daraus klare Schlussfolgerungen zieht, führt zu Zustimmungswerten für die etablierten Parteien und ihre Protagonisten, die lange Zeit nicht mehr vorstellbar schienen.

Doch trotz dieses Wunsches nach direktiven Vorgaben existiert nach wie vor die Verantwortung des Einzelnen. Paradoxerweise steigt sie sogar. Wir sehen es etwa in der aktuellen Corona-Krise bei der Diskussion um Lockerungen. Führung bedeutet hier, die Menschen zu überzeugen, eigenverantwortlich auf Abstand und Hygiene zu achten. Und um die richtige Haltung zu erzeugen, braucht es Information und Transparenz. Nur so lässt sich gewährleisten, dass die meisten das Richtige tun. Das Thema Leadership fängt dank Aufklärung also mit der Eigenverantwortung an. Das gilt auch für die digitale Arbeitswelt: In der Corona-Krise sind wir unter den Bedingungen von Distanz und Homeoffice noch mehr als bisher gefordert, uns eigenverantwortlich zu organisieren. Nur so können wir als Team weiterhin als Einheit agieren.

Fabian Kienbaum fordert angesichts von Corona ein Schluss mit dem Höher-schneller-weiter
Foto: LdI

Hierbei hilft auch mehr Agilität, eine weitere Kerndimension von New Work. Um strukturelle Agilität zu erreichen, sprich eine wirklich kundenzentrierte, netzwerkartige, projektorientierte Aufstellung, bedarf es mentaler Agilität. Sie lässt sich mit Instrumenten wie der Job-Rotation, bereichsübergreifender Mentor-Mentee-Programme sowie neuer Performance Instrumente wie sie bei Google unter dem Namen OKR angewandt werden erreichen. Die Abkürzung steht für Objektivs Key Results und beschreibt einen Prozess, bei dem sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht mehr als vier Ziele im Quartal vornehmen, die sie dann aber auch erreichen. Solche Methoden fördern die Dynamik in einer Organisation und lassen Silo- sowie Hierarchiedenken in den Hintergrund rücken.

Transparenz, Eigenverantwortung und Zusammenhalt sind Werte, die in der Krise gefragt sind, weil sie es uns ermöglichen zuversichtlich zu bleiben. Abgeleitet davon ergeben sich Methoden, wie die Arbeit von zu Hause aus oder das Ersetzen persönlicher Treffen durch Videokonferenzen, die funktionieren können, wenn die angesprochenen Werte wirklich gelebt werden. Meine Vorstellung von neuer Normalität ist es, dass diese Werte gestärkt werden, auch wenn die Krise vorüber ist. Wir müssen wieder mehr Menschlichkeit wagen.

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