Interview mit NRW-Justizminister Biesenbach „Dieser Vorfall geht unter die Haut“

Zehn Wochen lang saß ein unschuldiger Syrer im Gefängnis und starb dann nach einem Feuer – der NRW-Justizminister ist unter Druck. Im Interview mit unserer Redaktion bezieht Peter Biesenbach Stellung.

 „Verantwortung bedeutet für mich, Fehler klar zu benennen und Verbesserungen durchzusetzen“, sagt NRW-Justizminister Peter Biesenbach (70).

„Verantwortung bedeutet für mich, Fehler klar zu benennen und Verbesserungen durchzusetzen“, sagt NRW-Justizminister Peter Biesenbach (70).

Foto: dpa/Christophe Gateau

Freundlich lächelt Peter Biesenbach bei unserem Gespräch wie meist, aber die Knie drückt er angespannt zusammen. Der Tod eines unschuldig einsitzenden Häftlings macht ihn betroffen – und als Polit-Affäre auch nervös.

Herr Biesenbach, das Land legt einen neuen Entwurf für das Polizeigesetz vor. Ist das eine Entschärfung aus rechtsstaatlicher Sicht?

Biesenbach Die Koalitionspartner haben gemeinsam einen guten Vorschlag erarbeitet. Wir wollen entschlossen gegen Problemgruppen vorgehen können und zugleich rechtsstaatliche Bedenken ernst nehmen. Beiden Zielen trägt der Entwurf Rechnung.

Amed. A sitzt zehn Wochen in einem NRW-Gefängnis und stirbt an den Folgen eines Brandes in seiner Einzelzelle. Können Sie Ihre Häftlinge nicht schützen?

Biesenbach Dieser tragische Vorfall geht unter die Haut. Das belastet mich. Umso wichtiger ist nun, dass sich eine solche Tragödie nicht wiederholt.

Wer ist schuld?

Biesenbach Dass etwas schiefgelaufen ist, steht fest. Die Fehler der Polizei hat der Innenminister benannt. Amed A. kam aufgrund einer Verwechslung durch die Polizei in Haft. Die Würdigung der Arbeit der Staatsanwaltschaft Hamburg als Vollstreckungsbehörde obliegt der dortigen Justiz.  Ob und gegebenfalls welchen Anteil der Justizvollzug hat, prüfen wir derzeit.

Welche Konsequenzen ziehen Sie?

Biesenbach Unsere Strafanstalten dürfen sich nicht länger allein darauf verlassen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft die Identität eines Inhaftierten korrekt sicherstellen. Wir haben Tausende Personen in NRW, die ohne Ausweispapiere nach Deutschland gekommen sind. Damit es bei ihnen und anderen Beschuldigten nicht erneut zu einer Verwechslung kommen kann, denken wir im Justizvollzug über die Einführung einer weiteren, dritten Stufe der Identitätsprüfung nach.

Konkret?

Biesenbach Wir prüfen derzeit Wege, wie wir in den Justizvollzugsanstalten in NRW künftig einen Prozess einleiten können, bei dem die Identität eines Häftlings in begründeten Zweifelsfällen erneut effektiv überprüft werden kann. Sie können es Sicherheitsstufe 3  nennen. Allerdings muss die eigentliche Prüfung weiter durch die Polizei geschehen, weil die Haftanstalten keinen Zugriff auf die Fahndungsdaten der Polizei haben.

Amed A. hat der Anstaltspsychologin am 3. September gesagt, er sei zum Zeitpunkt der ihm angelasteten Straftaten nicht in Deutschland gewesen, schon gar nicht an den zwei Tatorten Hamburg und Braunschweig. War das nicht Anlass für eine Überprüfung des Vorgangs?

Biesenbach Richtig ist, dass die Psychologin selber diese Angaben in ihr Protokoll aufgenommen hat. Sie notierte dort aber eben auch, es gebe eine Reihe kaum nachvollziehbarer Angaben von Amed A. Die Staatsanwaltschaft Kleve überprüft, ob es hier oder an anderer Stelle im Vollzug Versäumnisse gab.

Trotzdem hat die Psychologin ihm geglaubt, er sei nicht suizidgefährdet, und nahm ihn darum aus der Sonderbeobachtung für Selbstmordgefährdete. Gestorben ist er dann an einem Feuer, das er selbst gelegt haben könnte.

Biesenbach Die Staatsanwaltschaft Kleve und die Polizei Krefeld werden ihre Arbeit machen und alle Aspekte dieses in mehrfacher Hinsicht tragischen Sachverhaltes aufklären. Dazu gehört die Bewertung der Arbeit der Psychologin und anderer Bediensteter des Justizvollzugs genauso wie die Bestimmung der Brandursache.

Warum nehmen Sie den Inhaftierten nicht Zigaretten und Feuerzeug weg?

Biesenbach Wir dürfen das Rauchen in der Haft nicht verbieten, das wäre eine Beschränkung der Grundrechte der Gefangenen, die die Gerichte nicht billigen würde. Wir lassen jetzt erneut prüfen, ob wir alle Hafträume mit schwer entflammbaren Matratzen ausstatten können. Noch 2015 ergab eine von der Vorgängerregierung in Auftrag gegebene Recherche jedoch keine Optimierungsmöglichkeiten in diesem Bereich.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg, die Auftraggeber der Verhaftung in NRW war, fragte schon am 20. Juli nach, ob Amed A. wirklich die richtige Person ist.

Biesenbach Leider ist dies so nicht gefragt worden. Richtig ist: Es wurde am 20. Juli angefragt, ob in der JVA Nachweise über die dort geführten Personalien des Verurteilten vorliegen. Gegebenenfalls werde um Übersendung von Kopien gebeten. Es wurde geantwortet: „Hier liegen keine Nachweise vor.“

Und dann wollte die Staatsanwaltschaft Hamburg am 20. August von  der  Kreispolizeibehörde Kleve wissen, aufgrund welcher Erkenntnisse man die Personalien des Inhaftierten festgestellt habe. Wie bewerten Sie das?

Biesenbach Ein Eingang eines Schreibens vom 20. August ist nicht bekannt und hat auch nach Einschätzung der Hamburger Behörden wohl nicht stattgefunden. Sicher ist der Eingang eines späteren Schreibens vom 20. September, das am 24. September in NRW ankam. Das war eine Woche nach dem Ausbruch des Brandes.

Also wurde in Hamburg versäumt, den Brief am 20. August abzusenden?

Biesenbach So sieht es derzeit aus. Und so wie es dort gelaufen ist, möchte ich es in NRW nicht erleben! Bei so wichtigen Dingen reicht es nicht, eine weitere Standardanfrage auf dem Postweg zu senden. Hier muss zügig mit einem Telefonanruf und nicht nur im Schriftwege gehandelt werden.

Warum wurde erst zwei Wochen nach dem Feuer ein Gutachter geholt?

Biesenbach Die Frage leitet in die Irre. Die Polizei hat unmittelbar nach Bekanntwerden des Brandes Einsatzabschnitte gebildet, Ermittlungen vor Ort durchgeführt und den Haftraum gesichert. Erste Erkenntnisse wurden weitergegeben. Zwei erfahrene Brandermittler haben den Geschehensort begutachtet und mit der Staatsanwaltschaft entschieden, über die erforderliche Sachkunde zu verfügen. Wenn sich dann später eine Zusatzfrage ergibt, für die sich die Ermittler noch der Hilfe eines externen Gutachters bedienen wollen, ist das eine ständig geübte Praxis.

NRW-Innenminister Herbert Reul  hat öffentlich schwere Fehler der Polizei eingeräumt und erklärt, persönlich die politische Verantwortung zu übernehmen. Übernehmen Sie ebenso Verantwortung für mögliche Fehler der Justiz?

Biesenbach Priorität hat, dass wir eine ähnliche Tragödie in Zukunft vermeiden. Hierfür trage ich auch die Verantwortung.

Und würde Ihre Übernahme von politischer Verantwortung im Fall von nachgewiesenen Fehlern bei der NRW-Justiz Ihren Rücktritt bedeuten?

Biesenbach Verantwortung bedeutet für mich, Fehler klar zu benennen, aufzuarbeiten und Verbesserungen in der Praxis durchzusetzen.

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