"Neue Techniken schützen Umwelt"

Mit über 140 000 Mitgliedern ist der "Verein Deutscher Ingenieure" (VDI) Deutschlands wichtigste Techniker-Stimme. Direktor Willi Fuchs sieht in der schlechten technischen Allgemeinbildung ein politisches Risiko. Heute trifft sich die Branche zum Kongress in Düsseldorf.

In der Krise mussten die Ingenieure kurzarbeiten. Die Industrie rationalisiert immer mehr Jobs weg und bei den Arbeitsämtern sind Tausende von Ingenieuren arbeitslos gemeldet. Trotzdem sprechen Sie vom Ingenieurmangel?

Fuchs Allerdings. Denn die Ingenieure, die gebraucht werden, sind nicht immer die, die angeboten werden. Wer auf aussterbende Industriezweige spezialisiert ist, lange keine Fortbildungen gemacht oder einfach den Anschluss an den modernen Ingenieursalltag verpasst hat, ist für ein Unternehmen mehr Problem als Problemlöser.

Wie viele Ingenieure fehlen denn?

Fuchs Aktuell fast 69 000. Weil diese Stellen nicht besetzt sind, ging in Deutschland im vergangenen Jahr 3,3 Milliarden Euro an Wertschöpfung verloren. In der Zukunft wird der Ingenieurmangel in Deutschland zur Wachstumsbremse.

Übertreiben Sie da nicht?

Fuchs Nein. Das Durchschnittsalter der deutschen Ingenieure ist aktuell 50 plus. Die Hälfte der 900 000 fest angestellten Ingenieure geht innerhalb der nächsten zehn Jahre in den Ruhestand. Ich sehe nicht, woher in dieser Größenordnung Nachwuchs kommen sollte. Vor allem nicht vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung.

Was sind die Folgen?

Fuchs Deutschland wird Technologie ans Ausland verlieren. Die Abwanderung beobachten wir jetzt schon in Branchen wie der Kommunikationstechnologie und der Unterhaltungselektronik. Vielleicht ist die nächste Branche, die abwandert, die Automobilindustrie, weil wir nicht genug Fachkräfte für die Umstellung der Branche auf elektronische Antriebe haben.

Wo führen wir denn noch?

Fuchs In der optischen Technologie und in der Nanotechnologie. Und überall, wo es darum geht, verschiedene Disziplinen zusammenzuführen. Elektronik und Mechanik zum Beispiel. Wir sind Weltmeister der Schnittstellen.

Was fordern Sie?

Fuchs In den Schulen findet gar kein technischer Unterricht mehr statt. Damit gehen inhaltliche Potenziale verloren. Und die Chance, junge Menschen frühzeitig für die Materie zu interessieren.

Die Lehrpläne sind schon übervoll. Soll die Schulzeit verlängert werden? Oder ein anderes Fach wegfallen?

Fuchs Das ist nicht nötig. Man kann ja im Geschichtsunterricht auch mal die Technikgeschichte zum Thema machen. Oder im Physikunterricht die Gravitationslehre von Newton technisch ableiten. Oder in der Sozialkunde den Einfluss des Otto-Motors auf den Alltag der Menschen beschreiben. Das größte Handicap im Bildungswesen ist aber der Föderalismus. Das Nebeneinander von 16 Sonderwegen in 16 Bundesländern führt dazu, dass die Qualifikation der Schulabgänger nicht mehr kalkulierbar ist.

Führen Desaster wie in Fukushima zu einem technikfeindlichen Klima?

Fuchs Eher die politische Diskussion über die Konsequenzen. Die wird erkennbar unehrlich geführt. Man kann nicht über Atomausstieg debattieren, ohne dessen Kosten zu nennen. Wir können mittelfristig auf Atomkraft verzichten. Das bedeutet, dass der Strom deutlich teurer wird oder die Umwelt stärker mit Klimagasen belastet wird. Oder eine Mischung von beidem. An der Art, wie derzeit über Atomkraft diskutiert wird, sieht man übrigens sehr gut, wie traurig es in Deutschland um die technische Allgemeinbildung bestellt ist. Atomkraftwerke vom Typ Tschernobyl werden mit deutschen Atomkraftwerken in einen Topf geworfen, obwohl sie völlig verschieden sind.

Was ist der wichtigste Technik-Trend?

Fuchs Die Lasertechnologie beginnt erst, ihre Potenziale zu entfalten. Mit ihr können Materialien verschweißt werden, die bislang kaum kombinierbar waren. Das Ergebnis sehen wir bei Karosserien: Früher bestanden sie aus Stahlblech, heute auch aus anderen Materialien.

Wo liegen die Herausforderungen für die Ingenieure der Zukunft?

Fuchs In der Ressourcenknappheit und im Klimaschutz. Diese Herausforderungen schreien geradezu nach technischen Lösungen, weil wir sonst auf globale Katastrophen zusteuern. Nur mit neuen Techniken ist es möglich, Energie und Wasser zu sparen, ohne auf Komfort zu verzichten. Nur neue Techniken können die Umwelt vor dem wachsenden Hunger der Menschen nach Energie schützen. Es stimmt, dass viele Umweltprobleme mit der technischen Revolution entstanden. Aber wir können sie nur mit noch besserer Technologie wieder in den Griff bekommen. Dazu gibt es keine realistische Alternative.

Thomas Reisener führte das Gespräch.

(RP)
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