Neckermann wird abgewickelt

Das Aus für den traditionsreichen Versandhändler scheint unvermeidlich. Es gibt zwar noch einen Kandidaten für die Übernahme, aber an ein Überleben von Neckermann glaubt niemand mehr wirklich. 2400 Mitarbeiter würden ihren Job verlieren. Das bittere Ende einer Nachkriegs-Ära.

frankfurt/M. Neckermann ist ein Teil des deutschen Wirtschaftswunders im Nachkriegs-Deutschland. Aber das liegt ein halbes Jahrhundert und mehr zurück. Jetzt bräuchte Neckermann selbst ein Wunder, um zu überleben, aber die Chancen sind minimal, fast nicht vorhanden. Der Versandhändler wird ab 1. Oktober abgewickelt, wie das Unternehmen und der Insolvenzverwalter mitgeteilt haben. Zwar gibt es immer noch Verhandlungen mit einem potenziellen Investor, aber aus insolvenzrechtlichen Gründen bereitet der Insolvenzverwalter das Ende des Betriebs vor. Das Insolvenzgeld wird nur noch bis zum Ablauf dieses Monats (also bis Sonntag) gezahlt.

"Wir lassen nichts unversucht", "bis zum Schluss kämpfen und hoffen wir – besonders für die Mitarbeiter." Das sind Sätze des vorläufigen Insolvenzverwalters Joachim Kühne, die den mehr als 2000 Mitarbeitern einen Rest von Hoffnung auf Zukunft vermitteln sollen. Aber von fast 200 Kandidaten, mit denen Gespräche über einen Einstieg bei Neckermann geführt wurden, ist nur einer geblieben, und an den mag auch kaum noch jemand glauben. Hoffnung?

Neckermann ist am Ende. Und dabei kann man den Verantwortlichen nicht einmal vorwerfen, sie hätten das Internet-Zeitalter und somit den Einstieg in den Online-Handel komplett verschlafen. Eine solche Plattform gab es schon 1995, als das weltweite Datennetz für viele im Einzelhandel noch ein Kosmos jenseits ihrer Vorstellungskraft war. Und zuletzt kamen auch schon vier von fünf Euro Umsatz bei Neckermann aus dem E-Commerce-Geschäft. Aber viel zu lange standen die von vielen Handelskunden mittlerweile als monströs empfundenen Katalog-Wälzer im Mittelpunkt, war das Internet nur ein zusätzlicher kleiner Bestellkanal. Ein Kardinalfehler. Dazu kamen häufige Management-Wechsel, eine überfrachtete Logistik, insgesamt viel zu hohe Kosten.

Der Konzern, der nach dem Krieg unter dem in den 60er und 70er Jahren auch als Dressurreiter weltberühmten Josef Neckermann einen steilen Aufstieg erlebte, hat ein langes Sterben hinter sich. Textilverkauf, Versandhandel, Fertighäuser, Urlaubsreisen, Versicherungen – "Neckermann macht's möglich", hieß es nach den Krieg. Der Werbeslogan war einer der prägnantesten in den 60er Jahren.

Doch Neckermann wurde ein Opfer des eigenen Preiskampfs, schrieb schon in den 70er Jahren tiefrote Zahlen und musste schließlich teilweise an Karstadt verkauft werden. Anfang der 80er Jahre hieß das Unternehmen immer noch Neckermann, aber einen Mitarbeiter dieses Namens gab es nicht mehr. Der letzte aus der Familien-Crew, der das sinkende Schiff verließ, war Josef Neckermanns Sohn Johannes 1978. Damals machte der Konzern eine Milliarde Mark Verlust, und es wurden Tausende Mitarbeiter entlassen. Aber das Unternehmen überlebte – das wird nach allen Erwartungen diesmal nicht so sein.

Nach der Fusion von Karstadt und Quelle (woraus später Arcandor wurde) waren die einstigen Versandhaus-Rivalen Quelle und Neckermann jahrelang Teile ein und desselben Konzerns. Wenn Neckermann weg ist, sind beide von der Bildfläche verschwunden. Quelle brach vor drei Jahren im Zuge der Arcandor-Pleite selbst zusammen. Der große deutsche Versandhandel von einst ist Geschichte, wenn Neckermann abgewickelt wird.

Dabei durfte das Unternehmen 2007 nach dem Verkauf an den US-Finanzinvestor Sun Capital auf Zukunft hoffen. 2008 kündigte Neckermann für seine Rettung an, jeden zehnten der damals etwa 5000 Jobs zu streichen, aber auch das reichte nicht. Im Juli dieses Jahres drehte Sun Capital den Geldhahn zu und verärgerte damit die Gewerkschaft Verdi, die die Rettung greifbar nahe gesehen hatte – mit einer Zukunft als Internet-Händler, mit Vereinbarungen über Abfindungen und Transfergesellschaften für 1380 Mitarbeiter, die ihren Job verlieren sollten, und einer Zusage von Sun Capital über eine 25-Millionen-Euro-Spritze. Zehn Millionen Euro mehr hätte Neckermann wohl gebraucht, aber die wollte der Großaktionär nicht geben. Am Ende blieb nur die Flucht in den Sarkasmus. "Sie haben momentan wenig Geld in der Kasse? Wir wissen, wie sich das anfühlt", war auf der Neckermann-Homepage zu lesen. Ob die Mitarbeiter darüber gelacht haben, ist nicht überliefert.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort