Wirtschaftsweise Monika Schnitzer „Homeoffice ist in der Corona-Krise eine Erfolgsgeschichte“

Interview | Berlin · Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer sieht am Homeoffice sowohl Vor- als auch Nachteile. Ein Recht auf Homeoffice lehnt sie aber ab. Im Interview spricht Schnitzer über die US-Wahl und warnt vor einer zu starken Exportabhängigkeit Deutschlands.

 Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer steht im großen Treppenhaus der Ludwig-Maximilian-Universität in München.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer steht im großen Treppenhaus der Ludwig-Maximilian-Universität in München.

Hören mit der Wahl Joe Bidens als amerikanischer Präsident die Handelskonflikte zwischen USA und Europa auf?

Schnitzer Die Beziehungen werden kooperativer werden, der Ton freundlicher, ähnlich wie zu Zeiten von Präsident Barack Obama . Aber auch Biden wird die Interessen der USA vertreten, gegenüber China und auch gegenüber Europa.

Was passiert mit den gegenseitigen Strafzöllen?

Schnitzer Wir müssen nicht mehr täglich damit rechnen, dass völlig willkürlich Strafzölle verhängt werden. Das ist eine gute Nachricht. Vor allem die Autoindustrie kann aufatmen. Manche Konflikte werden trotzdem bleiben.

Wird Biden die Exportüberschüsse Deutschlands zum Thema machen?

Schnitzer Das halte ich durchaus für möglich. Im Wahlkampf hat er viel von „Buy American“ gesprochen. Deutschland sollte sich deshalb nicht nur auf seine Exportwirtschaft verlassen und schon gar nicht auf einzelne Märkte. Auch die Corona-Krise hat gezeigt, wie anfällig wir sind, wenn die Exporte in die USA und nach China einbrechen.

Die schnelle Erholung in China hilft jetzt aber in der Krise.

Schnitzer Das ist richtig. Der Volkswagenchef hat im Frühjahr noch Kaufprämien für Verbrennerautos gefordert, jetzt berichtet er, dass VW im September mehr Autos in China verkauft als vor einem Jahr. Problematisch wäre es allerdings, nur auf die Ausfuhr nach China zu setzen, um aus der Krise zu kommen, und darüber die Investitionen in neue Technologien zu vernachlässigen.

Ist das so? Bosch und Daimler haben die meisten Patente.

Schnitzer Es stimmt, die Forschung und Entwicklung in Deutschland ist stark auf die Automobilwirtschaft konzentriert, 37 Prozent der Ausgaben dafür kommen aus dieser Branche. Nach wie vor sind aber viele dieser Erfindungen für traditionelle Technologien bestimmt, weniger für die zukunftsweisenden Industrie 4.0-Technologien. Insgesamt wäre es besser, wenn Deutschland weniger abhängig von einer Branche wäre.

Das sind marktwirtschaftliche Prozesse. Was kann der Staat da tun?

Schnitzer Natürlich soll der Staat nicht den Herstellern vorschreiben, was sie tun sollen, das ist schon ihre eigene Verantwortung. Aber er könnte die Rahmenbedingungen so setzen, dass mehr in Bereiche wie Künstliche Intelligenz investiert wird. Hier hatten wir vor 15 Jahren knapp sechs Prozent aller weltweiten Patente, jetzt sind es nur noch drei Prozent. Die Chinesen haben massiv zugelegt, die Amerikaner ihre Stellung immerhin gehalten.  Aktuell ist die Corona-Warn-App ein Beispiel, dass wir uns schwer tun, die Digitalisierung für uns zu nutzen. Wegen Datenschutzbedenken wurde sie so entwickelt, dass die Gesundheitsämter keinen Zugriff auf die Daten haben. Dadurch ist sie aber für die Eindämmung der Pandemie auch deutlich weniger effektiv.

Wie ist die deutsche Wirtschaft denn sonst mit der Corona-Krise fertig geworden?

Schnitzer Zu Beginn der Pandemie hieß es, dass wir vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg stehen. Zumindest ökonomisch stimmt das nicht. Bislang ist die deutsche Wirtschaft besser durch die Corona-Krise als durch die Finanzkrise gekommen. Deutschland schneidet zudem besser ab als die meisten westlichen Länder.

Verhindert der zweite Lockdown die wirtschaftliche Erholung?

Schnitzer Der zweite Lockdown ist ja viel weniger restriktiv als der erste. Er schränkt die Menschen in ihrem Freizeitverhalten ein, wirtschaftlich ist er aber insgesamt nicht so gravierend. Das Gastgewerbe trägt 1,6 Prozent, die Luftfahrt 0,5 Prozent und Kunst und Unterhaltung immerhin 1,4 Prozent zur Wertschöpfung bei. Zum Vergleich: Im Frühjahr war auch der Handel zumindest zum Teil betroffen, der macht zehn Prozent der Wertschöpfung aus. Wenn also nicht noch weitere Bereiche betroffen werden, wird das die wirtschaftliche Erholung bremsen, aber nicht umkehren. Für die Beschäftigten dieser Sektoren ist der Einschnitt schlimm, da gibt es nichts schönzureden. Deshalb ist es auch gut, dass die Politik gezielte Hilfsmaßnahmen aufgesetzt hat, um die Umsatzausfälle zumindest teilweise zu kompensieren.  

Verstehen Sie, dass viele Menschen trotzdem aufgebracht sind?

Schnitzer Ja, das verstehe ich gut. Aber nur, weil man dies unfair findet, löst sich ja nicht die Pandemie in Luft auf.  Mich besorgt, dass die Menschen müde sind, die Beschränkungen einzuhalten. Das war im Frühjahr anders. Wichtig ist, die Schulen und Kitas nicht zu schließen. Denn das würde nicht nur die Bildungschancen gerade der sozial schwächeren Kinder einschränken. Es würde auch die Wirtschaft schädigen, weil viele Arbeitskräfte die Betreuung übernehmen und im Beruf ausfallen würden. Wir müssen eine sehr sorgfältige Strategie bei der Eindämmung der Pandemie fahren.

Das Homeoffice ist inzwischen der bevorzugte Arbeitsort in der Krise. Sollte man den Beschäftigten ein gesetzliches Recht auf Heimarbeit einräumen, wie Arbeitsminister Heil es vorhat?

Schnitzer Das Homeoffice ist in der Krise eine Erfolgsgeschichte, die sich auch nach der Krise fortsetzen wird. Wir sparen Pendelzeit, können uns die Zeit besser einteilen, konzentrierter arbeiten und vermeiden Leerzeiten. Allerdings verlieren wir den Kontakt im Büro, Kommunikation erzeugt eben auch eine höhere Produktivität. Es ist Aufgabe der Tarifpartner auszuhandeln, wie die Rahmenbedingungen für das Homeoffice künftig aussehen. Das sollte nicht der Staat festlegen. Ein gesetzliches Recht auf Homeoffice greift zu weit in die Vertragsfreiheit und die Tarifautonomie ein.

Sollte die Absenkung der Mehrwertsteuer über das Jahr hinaus beibehalten werden?

Schnitzer Eine Umfrage des Sachverständigenrats zeigt, dass die Nachfrage als Folge der Absenkung der Mehrwertsteuer nur wenig gestiegen ist. Nur zehn Prozent der Befragten planen, ihre Käufe auf dieses Jahr vorzuziehen. Und das waren vor allem Gutverdiener. Ich habe selbst eine Studie für den Kraftstoffmarkt erstellt, die zum Ergebnis kommt, dass die Absenkung der Mehrwertsteuer nicht vollständig zu Preissenkungen führte, für Diesel mehr als für Benzin. Insgesamt kommen wir  im Sachverständigenrat zu dem Schluss, dass man die Mehrwertsteuer-Reduzierung wie geplant zum Jahresende auslaufen lassen.

Werden wir von einer Pleitewelle überrollt, wenn die Insolvenzordnung wieder in Kraft tritt?

Schnitzer Die Anzahl der Insolvenzen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gefallen, wird aber jetzt steigen. Nach Berechnungen der Allianz Research um 12%. Das wären 2021 rund 2000 Insolvenzen mehr als 2019. Die Bundesbank erwartet sogar einen Zuwachs von 35 Prozent, also rund 6000 mehr Insolvenzen. Beides ist aber nicht dramatisch hoch. In der Finanzkrise stieg die Zahl der Pleiten um zwölf Prozent, bei einem höheren Ausgangsniveau, nach dem Ölpreisschock von 1974 sogar um rund 50 Prozent.

Der Konjunkturverlauf gleicht also dem berühmten „V“, wenn es keinen umfassenden zweiten Lockdown gibt. Sonst droht ein „W“, eine zweite Rezession.

Schnitzer Ich erwarte kein „W“, bisher sah alles nach einem „V“ aus. Durch die aktuelle Entwicklung vielleicht eher wie das Zeichen der mathematischen Wurzel. Es ging zuerst stark nach unten, dann folgte eine deutliche Erholung, die jetzt ein bisschen abflacht, aber oben bleibt.

Welches Fazit ziehen Sie ökonomisch aus der Krise?

Schnitzer Es kommt am besten in der Überschrift zu unserem Gutachten zum Ausdruck: „Corona-Krise gemeinsam bewältigen, Resilienz und Wachstum stärken“. Über den Titel haben wir lange diskutiert, er enthält drei Wörter, die noch nie über einem Gutachten standen: Corona, gemeinsam und Resilienz. Wir müssen noch eine ganze Weile mit dem Virus leben  und das schaffen wir nur, wenn wir gemeinsam vorgehen und uns gegenseitig helfen, auch in Europa. Die Pandemie ist eine Herausforderung, die wir gemeinsam bewältigen müssen. Gleichzeitig müssen wir unsere Widerstandskraft gegen die Pandemie und gegen künftige Krisen ausbauen. Konkret übersetzt heißt das: die Lieferketten müssen so aufgestellt werden, dass sie Störungen aushalten. Statt nur auf das günstigste Angebot zu schielen, sollte man diversifizieren. Unternehmen und Banken müssen genügend Kapital haben, um Durststrecken überwinden zu können. Und auch der Staat muss genügend Spielraum haben, um in der Krise Hilfsmaßnahmen ausrollen zu können. Das kostet viel Geld, aber das muss es uns wert sein. Und schließlich geht es darum, die Hilfsmaßnahmen so zielgerichtet einzusetzen, dass wir in Zukunft wieder wachsen werden. Durch Investitionen in Digitalisierung, Bildung und Klimaschutz. Das ist die beste Vorsorge, um unsere Staatsschulden rasch wieder abzubauen.  

Müssen wir auch bei Sozialausgaben umdenken, etwa beim Rentenanstieg?

Schnitzer Die Renten sind an die Lohnentwicklung gekoppelt. Die gesetzlichen Regeln haben bislang aber verhindert, dass die Renten sinken, wenn die Löhne nach unten gehen, wie das für dieses Jahr zu erwarten ist. Bis 2018 sorgte der Nachhaltigkeitsfaktor dafür, dass in so einem Fall anschließend der Anstieg der Renten gebremst wurde. Den Faktor hat der Arbeitsminister 2018 leider ausgesetzt. Das war verkehrt, er müsste dringend wieder in Kraft gesetzt werden.

Was heißt das für die Rentenentwicklung 2021?

Schnitzer Wenn sich bestätigt, dass die Löhne in diesem Jahr nicht steigen, dann werden auch die Renten im kommenden Jahr nicht steigen können. Für Rentner würde es dann eine Nullrunde geben.

Wir warten alle auf den Impfstoff. Soll sich der Staat aus strategischen Gründen an Herstellerfirmen wie Curevac beteiligen?

Schnitzer Ich sehe nicht, dass eine staatliche Beteiligung bei Curevac notwendig war, um die Finanzierung zu sichern, das hat der Börsengang von Curevac eindrücklich gezeigt. Um den Zugang zum Impfstoff zu sichern, sollte man stattdessen langfristige Lieferverträge abschließen. So ist das jetzt beim Impfstoff von Biontech geplant.

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