Mögliche Giftgas-Beihilfe Chemiehändler wegen Syrien-Lieferung unter Druck

Essen/Genf · Ein Schweizer Ableger der Essener Brenntag verkaufte eine waffenfähige Chemikalie nach Syrien. Die Anzeige wurde nach Information unserer Redaktion schon Anfang Juni eingereicht. Es geht um den Verdacht, bei der Produktion von Chemiewaffen indirekt geholfen zu haben.

 Ein Mitglied eines UN-Teams untersucht im Jahr 2013 Überreste eines mutmaßlichen Chemiewaffenangriffs bei Damaskus.

Ein Mitglied eines UN-Teams untersucht im Jahr 2013 Überreste eines mutmaßlichen Chemiewaffenangriffs bei Damaskus.

Foto: AP/HOEP

Die Essener Staatsanwaltschaft prüft, ob der Chemikalienhändler Brenntag im Jahr 2014 unerlaubt Stoffe nach Syrien geliefert haben könnte, die zur Produktion von Chemiewaffen geeignet waren. Das bestätigte die Behörde am Mittwoch, nachdem die „Süddeutsche Zeitung“ über den Vorgang berichtet hatte. Als Reaktion auf den Vorgang rutschte die Aktie von Brenntag um bis zu sieben Prozent ab. Am Abend war der Unternehmenswert um fast 300 Millionen Euro gesunken. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, sie habe ein Verfahren eingeleitet und prüfe die Aufnahme von formalen Ermittlungen.

Brenntag erklärt, das Unternehmen habe keine EU-Gesetze gebrochen. Der Schweizer Ableger Brenntag Schweizerhall habe die Chemikalien Isopropanol und Di­ethylamin im Einklang mit Schweizer Gesetzen nach Syrien verkauft. Man habe die Mittel geliefert, damit das syrische Pharmaunternehmen MPI ein Schmerzmittel unter Lizenz herstellen könne. Es sei darum gegangen, das Mittel gemäß den Vorgaben eines „bekannten Schweizer Herstellers“ produzieren zu können. Gemeint ist Novartis.

Auf die Lieferungen wurde die Staatsanwaltschaft Essen nach Informationen unserer Redaktion schon Anfang Juni aufmerksam gemacht. Die drei Nichtregierungsorganisationen (NGO) Trial International aus Genf, Syrian Archive aus Berlin sowie Open Society Justice Initiative aus New York hatten damals Strafanzeige wegen möglicherweise verbotener Lieferungen von chemiewaffenfähigen Chemikalien gestellt. Denn die zwei Stoffe dürfen in der EU seit 2012/2013 nur mit einer Sondergenehmigung ausgeführt werden. Mit Isopropanol kann auch Sarin hergestellt werden. Dieses Nervengift soll das syrische Regime im Bürgerkrieg gegen Zivilisten eingesetzt haben. Diethylamin wird auch für die Produktion des Nervengases VX genutzt, ein Kampfstoff, den die syrische Regierungin ihrem Arsenal haben soll.

Die drei NGOs bezweifeln in ihrer Anzeige, dass es sich bei den Geschäften mit MPI nur um Lieferungen zum Herstellen von Medikamenten gehandelt habe. Es sei auffällig, dass der damalige MPI-Chef Abdul Rahman Attar „enge Verbindungen zu führenden Personen der syrischen Regierung“ gehabt habe, heißt es in einer öffentlichen Erklärung. Im Jahr 2017 seien 100 Menschen durch einen Angriff mit Sarin getötet worden.

Brenntag wies darauf hin, die Schweizer Regierung habe noch 2018 bestätigt, dass die Ausfuhr 2014 rechtens gewesen sei. Gleichzeitig betonte das Unternehmen, andere Konzernteile als Brenntag Schweizerhall seien wegen der umstrittenen Verkäufe „nicht involviert“ gewesen. Damit versucht der Konzern offensichtlich vorsorglich klarzustellen, es habe keinerlei interne Absprachen gegeben, wie man die harten EU-Regeln zu Chemikalienexporten möglicherweise über die Schweiz umgehen könnte. Falls die Staatsanwaltschaft Essen dieser Aussage glaubt, ist die Aufnahme weitergehender Ermittlungen eher wenig wahrscheinlich.

Aber nicht nur der Handelskonzern Brenntag steht im Brennpunkt, sondern auch die tatsächlichen Hersteller der Chemikalien: So hatten die NGOs auch eine Strafanzeige gegen BASF in Antwerpen eingereicht. Ein Sprecher der belgischen Staatsanwaltschaft gab an, dass Ermittlungen aufgenommen wurden. In Antwerpen soll die dortige BASF-Tochter Diethylamin hergestellt haben.

BASF erklärte, das Unternehmen selbst habe kein Diethylamin nach Syrien exportiert. An seine Kunden habe BASF die Chemikalie im Einklang mit den EU-Vorgaben geliefert. „Grundsätzlich prüft BASF die Vertrauenswürdigkeit ihrer Kunden und blockiert bei Verdachtsmomenten jegliche Lieferungen.“

Außerdem prüft die Essener Staatsanwaltschaft, ob gegen das Unternehmen Sasol Germany Ermittlungen aufgenommen werden sollen, weil auch gegen dieses Unternehmen von den NGOs eine Strafanzeige eingereicht worden war.

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