„Zukunftstag Mittelstand“ in Berlin Zwei FDP-Minister umwerben den verprellten Mittelstand
Berlin · Zwei FDP-Bundesminister nutzen den „Zukunftstag Mittelstand“ in Berlin, um ihre teils verprellte Wählerklientel wieder zurückzugewinnen. Christian Lindner und Volker Wissing versprechen den Unternehmern, die Ampel auf einen wirtschaftsfreundlichen Mitte-Kurs zu trimmen. Einem anderen Koalitionspartner scheint der Mittelstand zur Zeit weniger wichtig zu sein.
Gleich zwei FDP-Bundesminister sind gekommen, aber von den Grünen lässt sich beim „Zukunftstag Mittelstand“ an diesem Mittwoch in Berlin kein Minister blicken. Auch die SPD ist mit Arbeitsminister Hubertus Heil hochrangig vertreten. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wäre eigentlich zuständig, aber er ist verhindert. Auch sein Staatssekretär Michael Kellner (Grüne), der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, schaut bei der Veranstaltung des Bundesverbandes Der Mittelstand (BVMW) nur digital mit einem kurzen Online-Grußwort vorbei.
Gut möglich, dass die Anwesenheit der Regierungsmitglieder ungefähr auch die momentane Prioritätensetzung der drei Ampel-Parteien spiegelt. Für die FDP ist der Mittelstand besonders wichtig. Ihn muss sie vom liberalen Schwenk hin zu Rot-Grün überzeugen, muss enttäuschte Wähler zurückgewinnen. Auch die SPD möchte Wähler auch aus dem Mittelstand ansprechen, vor allem der industrielle Mittelstand liegt ihr am Herzen. Nur die Grünen scheinen derzeit mit anderem als dem Wohlergehen der Betriebe beschäftigt zu sein. Soziale Projekte wie die teure Kindergrundsicherung und der Umbau im Verkehrs- und Gebudesektor hin zur Klimaneutralität binden anscheinend die Kräfte.
FDP-Chef Lindner begreift den Mittelstandstag als Heimspiel. Er verspricht den Unternehmern baldige steuerliche Erleichterungen, etwa durch neue Super-Abschreibungen für Investitionen in den Klimaschutz oder die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung. Er kündigt schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren an. „Deutschland steht sich zu oft selbst im Weg“, sagt der Bundesfinanzminister. Der Staat müsse weg „vom Tempo BER“, des Berliner Großflughafens, dessen Bau mehr als 20 Jahre gedauert hatte. „Das neue Tempo muss LNG sein“, so der FDP-Vorsitzende. Die LNG-Terminals an den deutschen Küsten waren in wenigen Monaten gebaut worden, weil Planungsverfahren einfach ausgesetzt wurden.
Zudem dürfe kein junger Mensch mehr ohne Abschluss die Schule verlassen. Damit Frauen aus der unerwünschten Teilzeit herauskämen, brauche es eine bessere Betreuungsinfrastruktur für Kinder. In der Energiepolitik müsse sich die Politik stärker an der Realität orientieren, mahnt Lindner mit Blick auf die Grünen. Die Energiepreise müssten runter. „Naturgesetze ändert man mit politischen Mehrheiten nicht“, so Lindner. Deshalb müsse die Bundesregierung auch heimische Öl- und Gasvorkommen und die Kernfusion in den Blick nehmen.
Für Lindner ist der Mittelstandstag auch ein kleiner Parteitag, schließlich hatte auch der letzte FDP-Parteitag in der Station Berlin stattgefunden. Steuererhöhungen werde es mit ihm nicht geben und die Schuldenbremse werde eingehalten, verspricht er den Mittelständlern. 40 Milliarden Euro an Zinsausgaben im laufenden Jahr, die Verzehnfachung der Zinskosten gegenüber 2021 spreche eine klare Sprache. „Wir können uns zusätzliche Schulden schlicht nicht mehr leisten, weil sie uns strangulieren“, sagt Lindner. Abschließend vergleicht er sich mit de Renaissance-Künstler Michelangelo. Der habe bei seinen Skukpturen nur das Überflüssige weggenommen. „In diesem Sinne dürfen sie sich auch einen Bundesfinanzminister vorstellen, der nur das Überflüssige von den Forderungen wegnimmt.“ Man könne ihm wie Habeck Briefe schreiben, ihn anrufen, doch „meine Überzeugung bleibt, dass die Politik mit ihrem Geld auskommen muss“.
Auch FDP-Verkehrsminister Volker Wissing verspricht den Mittelständlern, in ihrem Sinne hart zu bleiben bei der Koalitionsarbeit. Im Streit mit den Grünen um den Ausbau von Verkehrswegen mahnt er am Mittwoch einen schnellen Kompromiss an. Wissing will auch Autobahnen beschleunigt ausbauen, die Grünen nur das Bahnnetz. Wissing hält eine Lösung des Konflikts für möglich, „indem man sich nicht mit ideologischen Vorstellungen selbst blockiert, sondern indem man sich mit den Fakten auseinandersetzt“. Zu diesen Fakten gehöre etwa der absehbare Zuwachs beim Güterverkehr, der nicht allein über die Schiene bewältigt werden könne.