Wirtschaft Mindestlohn kostet 350.000 Stellen

Berlin · Deutschlands führende Ökonomen gehen hart mit der Wirtschaftspolitik der großen Koalition ins Gericht. Die Forschungsinstitute kritisieren in ihrem gestern vorgelegten Frühjahrsgutachten vor allem die Einführung des Mindestlohns und die Rentenpolitik.

Im Zuge der gesetzlichen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro würden allein 2015 rund 200 000 Arbeitsplätze wegfallen oder gar nicht erst entstehen, in den drei Jahren darauf kämen weitere 150 000 Jobs dazu. Die von der Regierung geplante Rente mit 63 Jahren bezeichneten die Forscher — vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft — als Rolle rückwärts.

Konjunkturell zeichneten die Ökonomen wegen des starken Konsums und anziehender Investitionen der Unternehmen dennoch ein positives Bild. Für 2014 erwarten sie ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent, das sich im nächsten Jahr auf 2,0 Prozent beschleunigen soll. Die Gemeinschaftsdiagnose der acht Institute im Auftrag der Bundesregierung trägt den Titel "Deutsche Konjunktur im Aufschwung — aber Gegenwind von der Wirtschaftspolitik". Es ist die Grundlage für die Konjunktur-Prognose der Regierung, auf der die Steuerschätzung für die öffentlichen Haushalte basiert.

Der flächendeckende Mindestlohn ist ein zentrales Ziel der SPD. Trotz Kritik aus der Wirtschaft und Teilen der Regierungspartner CDU und CSU brachte das Kabinett das Vorhaben vorige Woche auf den Weg. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren dürften beide Seiten noch über Nachbesserungen ringen.

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte jüngst betont, der Mindestlohn würde keine Jobs kosten. Die Forscher räumten ein, die gesamtwirtschaftlichen Effekte seien negativ, aber klein. Die eigentlichen Ziele würden jedoch verfehlt, kritisierte Oliver Holtemöller vom IWH-Institut Halle. "Die Beschäftigungschancen von Geringqualifizierten werden nicht verbessert, und die Armut wird nicht reduziert."

Die Forscher erwarten, dass die Regelung 2015 rund vier Millionen Beschäftigte betrifft — vor allem in der Gastronomie, im Handel, in der Landwirtschaft, bei den Dienstleistern und eher im Osten als im Westen. Die Bruttolöhne und Gehälter dürften dann im nächsten Jahr um sechs Milliarden Euro steigen.

Rund die Hälfte davon würden Firmen über ihre Gewinnmarge abfedern, den Rest über höhere Preise auf ihre Kunden abwälzen. Zudem kritisieren die Forscher die Pläne der Regierung, Beitragszahlern nach 45 Versicherungsjahren im Alter von 63 Jahren eine Rente ohne Abzüge zu gewähren. Damit würde das Potenzial der gesamten Wirtschaft gedämpft.

(rtr)
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