Berlin Gewerkschaftsbund wird weiblicher

Berlin · Die DGB-Mitgliedsorganisation Nahrung-Genuss-Gaststätten wird mit Michaela Rosenberger heute erstmals eine Frau an ihre Spitze wählen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Männerdomäne Gewerkschaft aufgebrochen wird.

Wer sich auf einer Betriebsräte-Versammlung der IG Metall oder IG BCE umschaut, der wird eines in der Regel nur vereinzelt sehen: Frauen. Die Gewerkschaften in Deutschland verstehen sich zwar als Vorreiter für die Gleichbehandlung der Geschlechter — kein Gewerkschaftstag, ohne dass über das Thema diskutiert wird oder entsprechende Forderungen an die Politik gestellt werden —, doch selbst erwecken die Arbeitnehmerorganisationen immer noch den Eindruck verschworener Männerbünde.

Doch die männliche Übermacht bröckelt. Jüngstes Beispiel: die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Mit dem Abgang des seit 22 Jahren amtierenden Dauervorsitzenden Franz-Josef Möllenberg (60) wird heute erstmals eine Frau die Geschicke von Deutschlands ältester Arbeitnehmerorganisation übernehmen. Hervorgegangen ist die NGG 1865 aus einem Verein, der die stumpfsinnige Arbeit der Zigarrendreher durch das Vorlesen verschiedener Texte erträglicher machen sollte, dem Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiterverein. Heute ist die NGG eine Organisation mit 206 000 Mitgliedern und zahlreichen Berufsbildern: von der Köchin, über den Catering-Angestellten, den Kellner bis hin zum Arbeiter in der Fleischindustrie.

Da 58 Prozent der Beschäftigten im Gastgewerbe und immerhin 41 Prozent aller NGG-Mitglieder weiblich sind, ist die Berufung Rosenbergers konsequent. Die 53-Jährige ist Hotelfachfrau und staatlich geprüfte Betriebswirtin. Sie arbeitete unter anderem als Geschäftsführerin eines Hamburger Hotels und als Dozentin für Arbeitsrecht an der Hotelfachschule der Hansestadt. Gewerkschaftlich engagiert sie sich seit 1981, war unter anderem Assistentin des Betriebsrates der Gastronomie in der Hamburger Messe, ehe sie sich 1990 zur Gewerkschaftssekretärin ausbilden ließ. Über verschiedene Stationen schaffte sie 2003 den Sprung in den Hauptvorstand der NGG, wo sie zuletzt für die Themen Finanzen, Sozialpolitik, Jugendarbeit und — natürlich — Frauenpolitik zuständig war.

Auf Rosenberger warten keine leichten Aufgaben. Der Streit mit der Fast-Food-Kette Burger King um die dortigen Arbeitsbedingungen ist noch nicht gelöst. Auch die fleischverarbeitende Industrie dürften die neue Gewerkschaftsvorsitzende beschäftigen, geriet die Branche doch zuletzt immer wieder wegen des Vorwurfs, sie setze missbräuchlich Werkverträge ein, in die Schlagzeilen. Hinzu kommen die steigenden Anforderungen durch die Brüsseler Bürokratie. Immerhin vertritt Rosenfelder auch die Beschäftigten der Tabak-, Alkohol- und Süßwarenindustrie. Zuletzt war aus Gewerkschaftskreisen wiederholt scharfe Kritik an den von der EU geplanten Warnhinweisen gekommen.

Intern muss sie bei der Mitgliedergewinnung Druck machen. Zwar gelang es der NGG im vergangenen Jahr, ein leichtes Plus bei den Mitgliedern hinzubekommen. Doch dieser Trend muss zementiert werden. Als gesetzt gilt zudem, dass die erste weibliche Vorsitzende die Bedingungen für Frauen in der Arbeitswelt vorantreiben wird.

Der weibliche Vormarsch in den Gewerkschaften ist übrigens nicht nur bei der NGG festzustellen: Auch bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rückte im Juni mit Marlis Tepe eine Frau an die Spitze. Im Oktober bekam zudem der Chef der IG Berbau Chemie Energie, Michael Vassiliadis, mit Edeltraud Glänzer eine weibliche Stellvertreterin. Und der Trend hält an: Im Mai 2014 wählt auch der Dachverband aller genannten Organisationen, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), einen neuen Vorstand. Dank der Verkleinerung von derzeit fünf auf dann nur noch vier Plätze und der erneuten Kandidatur von Annelie Buntenbach und Elke Hannack ist die Führungsriege künftig zumindest paritätisch mit Männern und Frauen besetzt.

(RP)
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