Apotheker sorgen sich Fiebersäfte für Kinder nicht mehr lieferbar - Engpässe auch bei Asthmamitteln

Düsseldorf · Eine für den Sommer ungewöhnliche Erkältungswelle und viele Corona-Infektionen führen zu Engpässen bei Erkältungsmitteln. Vor allem Kinder mit Schmerzen oder Fieber bleiben unversorgt. Auch Asthmamittel werden knapp. Welche Mittel sind betroffen und was kann man tun?

 Kleine Kinder fiebern schnell - im Moment aber gibt es für sie keinen Fiebersaft in der Apotheke.

Kleine Kinder fiebern schnell - im Moment aber gibt es für sie keinen Fiebersaft in der Apotheke.

Foto: dpa-tmn/Andrea Warnecke

Apotheker fürchten ihre Wochenend- und Nachtdienste aus Sorge, Eltern hoch fiebernder Kinder ohne lindernde Arznei nach Hause schicken zu müssen. Denn es herrscht Notstand – vor allem bei manchen häufig gebrauchten und frei verkäuflichen Arzneimitteln wie Nurofen-Saft, Ratiopharm-Kindernasenspray, Mucosolvan-Saft und anderen Kinderarzneimitteln. Eine solche zunehmend dramatische Situation habe es bisher noch nie gegeben, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein. Wenn die Produktion der pharmazeutischen Hersteller nicht bald wieder verlässlich funktioniere, stehe man vor einem schwierigen Winter.

Was er meint: Viele Erkältungsmittel werden knapp. Vor allem Kinderarzneimittel sind betroffen. Nicht mehr lieferbar sind laut Informationen der Apothekerverbände schon jetzt Schmerz- und Fiebersäfte für Kinder mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen.

Nicht nur Ratiopharm meldet Lieferprobleme

Die Liste der knapper werdenden Arzneimittel, die rezeptfrei in Erkältungszeiten über den Apothekentresen gehen, ist jedoch weitaus länger: Weil alternativ zu den Schmerz- und Fiebersäften auf andere Darreichungsformen ausgewichen wird, gibt es auch bei einigen Kinderzäpfchen erste Lieferprobleme. Der Großhandel könne derzeit Zäpfchen für die ganz Kleinen (75 Milligramm) nicht liefern, sagt Preis. Auch bestimmte Halsschmerzsprays für Erwachsene sind nicht mehr erhältlich. „Ein Hersteller von Hustenmitteln für Kinder und Erwachsene hat angekündigt, nicht mehr liefern zu können“, sagt Preis. Die Apotheken rechnen erst im August wieder mit Lieferungen. Es geht um Produkte des Herstellers Sanofi. Dieser gibt an, dass „einige Mucosolvan-Produkte stärker nachgefragt werden“, einen Lieferengpass stelle man jedoch nicht fest, lässt das Unternehmen auf unsere Nachfrage hin wissen.

Ratiopharm – Marktführer für Kinder-Nasensprays – sagte in der vergangenen Woche alle Vorbestellungen der Apotheken für kommenden Winter ab. Laut Informationen des Branchenmagazins „Apotheke Adhoc“ gebe es bei Teva – dem Weltmarktführer der Generikahersteller, zu dem auch Ratiopharm gehört – „aktuell keine verfügbaren Lagerbestände“ . Klosterfau, Hersteller des Konkurrenzprodukts Nasic gibt gegenüber dem Fachmagazin an, trotz erhöhter Nachfrage voll lieferfähig zu sein und die Produktion für den kommenden Herbst und Winter hochgefahren zu haben. Dennoch erwarten Branchenexperten, dass alternative Hersteller den plötzlichen Mehrbedarf nicht auffangen können und sich der Dominoeffekt fortsetzen wird. Abschwellende Kindernasensprays mit dem Wirkstoff Xylometazolin könnten dann im Herbst zur Mangelware werden.

Erwachsenenmedikamente ebenfalls betroffen

Auf der Sorgenliste sind zudem verschiedene verschreibungspflichtige Medikamente für Erwachsene: Cholesterinsenker, einige kortisonhaltige Asthmasprays. Wenn man – sofern vorhanden – auf Alternativprodukte ausweiche, seien auch diese innerhalb von Minuten ausverkauft. In Anbetracht der Lage sei dann nur noch der Therapiewechsel auf andere Wirkstoffe möglich. Doch wenn 80 Prozent der Patienten aufgrund der guten Wirksamkeit einer Therapie auf einen Wirkstoff eingestellt seien und alle dann wechseln müssen, werde der andere Hersteller dies so schnell gar nicht kompensieren können. Die Apotheker befürchten deshalb einen Dominoeffekt.

Ein Grund für immer wiederkehrende Versorgungsengpässe bei den derzeit am meisten betroffenen Schmerz- und Fiebermitteln für Kinder: Von den vor zwölf Jahren noch elf Anbietern, die Paracetamol-Säfte herstellen, sind lediglich zwei übrig geblieben, wie der Fachdienst „Arznei-Telegramm“ mitteilt. ]Neben Ratiopharm produziert lediglich Bene-Arzneimittel noch diesen Saft.

Ein anderer Grund für die Lieferprobleme: Der Bedarf ist exorbitant gestiegen. Durch die Erkältungs- und Grippewelle 2021 und Anfang 2022 sei die Nachfrage nach dem Fiebermittel in Saftform erheblich gestiegen. Auf eine solch hohe Nachfrage sei man nicht vorbereitet gewesen, erklärt das Unternehmen Ratiopharm gegenüber der Stiftung Warentest. Auch habe die Produktion aufgrund gewisser Vorlaufzeiten nicht so schnell auf die Bedarfssteigerung reagieren können, hieß es im Mai. Nun aber sind weitere Wochen vergangen, in denen Deutschland von einer nie dagewesenen Erkältungswelle erfasst wird.

Mittel werden zur Behandlung von Erkältungs- und Coronasymptomen genutzt

Seit Wochen weisen die Wochenberichte des Robert Koch-Instituts eine gegenüber der Vor-Corona-Zeit über dem Durchschnitt liegende Zahl an Atemwegsinfekten aus. Diese sind nach Einschätzung von Experten vor allem auf den Wegfall von Corona-Regeln wie die Maskenpflicht zurückzuführen. Hinzu addieren sich die vielen derzeit existierenden Corona-Infektionen. Im Falle eines leichten und mittelschweren Verlaufs werden die Symptome, die Corona verursacht, ebenfalls mit schmerz- und fiebersenkenden Mitteln behandelt. Auch Hustensäfte, Halssprays oder Nasensprays kommen ebenso wie bei normalen Erkältungsinfekten lindernd zum Einsatz.

Nicht zur Lösung des Problems trägt bei, dass die Auskunft der Pharmahersteller zu Lieferengpässen lediglich auf einer freiwilligen Selbstverpflichtung ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte basieren. Die Meldung ist also gesetzlich nicht vorgegeben. Oftmals ist im Wortlaut der Hersteller von „kurzzeitig vorherrschenden Lieferengpässen“ die Rede.

Man müsse die Hersteller auch bei Arzneimitteln der Grundversorgung ähnlich wie bei der Bereitstellung von Impfstoffen in die Pflicht nehmen ihrer Versorgungsverantwortung nachzukommen. Andererseits müssten aber auch politisch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Unternehmen eine Abnahmegarantie für vorbestellte Kontingente hätten, sagt der Apothekerverband Nordrhein.

Was von Engpässen Betroffene nun tun können

  • Erkundigen Sie sich in der Apotheke danach, wann das Arzneimittel voraussichtlich wieder lieferbar sein wird. Manchmal reicht der Bestand der eigenen Hausapotheke aus, um dieses Zeitfenster zu überbrücken.
  • Kümmern Sie sich frühzeitig um ein Rezept und lösen Sie dieses möglichst sofort ein und nicht erst, wenn das notwendige Arzneimittel am nächsten Tag zur Neige geht.
  • Fragen Sie beim Arzt oder in der Apotheke nach alternativen Produkten. Oftmals sind Präparate anderer Hersteller oder in anderer Darreichungsform noch erhältlich. Beim Fiebersaft für Kinder gibt es beispielsweise die Ausweichmöglichkeit auf Paracetamol- oder Ibuprofen-Zäpfchen. Die niedrigste Dosierung liegt bei 75 Milligramm. Paracetamol-Zäpfchen in dieser Dosierung sind für Kinder mit einem Gewicht von drei bis sechs Kilogramm geeignet. Laut Stiftung Warentest haben Zäpfchen jedoch den Nachteil, dass das Einführen Stuhlgang auslösen kann. Das Zäpfchen wird mit diesem auch wieder nach draußen befördert. Zudem trete der Arzneistoff in Zäpfchenform nicht vollständig ins Blut über.
  • Laut „Apotheke Adhoc“ wies Ratiopharm selbst auf eine Teillösung hin. In dieser geht es um das vor einem Jahr zugelassene Arzneimittel Paracetalgin, das für Kinder ab Körpergewicht von 17 Kilogramm (Kinder zwischen vier und acht Jahren) eine Lösung sein könnte. Für diese könne man selbst aus einer Einzeldosis des Mittels eine Suspension herstellen, indem man eine Tablette in Wasser zu Granulat zerfallen lasse.

Das Problem jedoch: Für Eltern ist die genaue Dosierung unsicher. Eine Tablette beinhaltet nämlich 500 Milligramm des Wirkstoffs. Kinder ab 17 Kilo dürfen jedoch nur eine Menge von maximal 250 Milligramm als Einzeldosis und täglich nicht mehr als 1000 Milligramm einnehmen. Man müsste die Tablette also halbieren und sicher sein, dass das Kind das selbst gefertigte körnige Granulat überhaupt einnimmt. Denn im Vergleich zu fertigen Fieber- und Schmerzsäften, die zur Erleichterung der Aufnahme kindergerecht aromatisiert sind, bietet das verflüssigte Mittel Marke Eigenbau keinen solchen Geschmacksanreiz.

Wichtig zudem: Kinder, die weniger als 33 Kilo wiegen, dürfen keine Paracetamol-Tabletten einnehmen. Diese enthalten laut Stiftung Warentest nämlich in der Regel zu viel Wirkstoff. Bei einer Überdosierung kann es bei den Kindern zu einer Paracetamol-Vergiftung kommen.

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