Reiner Priggen "Lebensversicherer sollen in Stromtrassen investieren"

Der Fraktionschef der Grünen im Landtag fordert einen Masterplan für die Energiewende und wirft dem Bund Untätigkeit vor.

 Reiner Priggen will am Ökostrom-Ausbau festhalten.

Reiner Priggen will am Ökostrom-Ausbau festhalten.

Foto: Göttert

Herr Priggen, NRW geht mit dem Klimaschutzgesetz eigene Wege. Aber Zertifikate, die hier nicht mehr benötigt werden, können von anderen Firmen in Europa gekauft werden. Was nutzt das dem Klimaschutz?

Priggen Deswegen bin ich für ein europaweites Vorgehen. Die EU müsste die zu viel ausgegebenen Zertifikate verknappen, indem sie sie einbehält. Wir brauchen auch eine EEG-Novelle, aber nicht mit rückwärts gerichteten Eingriffen.

Was vermissen Sie?

Priggen Die Energiewende braucht einen Masterplan. Wichtigster Punkt darin müsste ein Kapazitätsmarkt sein. Das heißt: Regeln für das Vorhalten von Kraftwerksreserven für Zeiten, in denen Wind und Sonne keinen Strom produzieren. Wir brauchen eine Reserve von mindestens 4000 bis 5000 Megawatt. Das entspricht vier bis fünf großen Blöcken. Diese Reserve muss in einem staatlichen und transparenten Ausschreibungsverfahren, an dem sich alle Kraftwerksbetreiber beteiligen können, gesichert werden. Aber diese Bundesregierung legt keinen Plan vor, weil sie keinen hat.

Ist die Photovoltaik Schuld an der Kraftwerkskrise?

Priggen Nein, die Bundesregierung hat das Ziel 35 Prozent erneuerbaren Strom in 2020 und 50 Prozent in 2030. Wir liegen jetzt bei 25 Prozent, also gut in den Planungen. Es gibt wichtige Gründe, weshalb wir unsere gesamte Stromerzeugung umbauen. Das muss nur besser organisiert werden.

Datteln IV würde den Stromüberschuss noch verschärfen?

Priggen Natürlich, ebenso wie die anderen vier geplanten Blöcke: Lünen, zweimal Hamm und Walsum.

Wie viele konventionelle Kraftwerke sind überflüssig?

Priggen Das entscheidet der Strommarkt. Aus meiner Sicht sollte in einem ersten Schritt die Bundesnetzagentur die Reservemenge benennen, die notwendig ist, damit zu jedem Zeitpunkt die Stromversorgung gesichert ist. Auf dieser Zahl könnten alle weiteren Planungen aufbauen.

Verstehen sie den Widerstand der Bürger gegen Riesenstrommasten?

Priggen Ja. Die Menschen fürchten sich vor dem Elektrosmog dieser ungeheuer transportstarken neuen Stromtrassen. Die erste Trasse wird von NRW nach Süddeutschland führen. Wir sollten sie in Wohngebieten unterirdisch verlegen, um die Belastung der Bevölkerung mit Elektro–smog zu reduzieren.

Die unterirdische Verlegung soll das Zehnfache kosten. Wer bezahlt das?

Priggen Die Kosten sind vom Gelände abhängig. Ein Erdkabel in der norddeutschen Tiefebene zu verlegen ist etwas anderes als im Mittelgebirge mit felsigem Untergrund. Kleinere Erdkabel sind sogar günstiger und wartungsärmer. Größere sind teurer gegenüber der Freileitung, aber wenn auf diese Weise Klagen und zum Teil neue Genehmigungsverfahren vermieden werden, überwiegt der Nutzen. Erdverkabelung in der Wohnbebauung ist in der Summe für die Stromkunden und die Wirtschaft die günstigere Lösung.

Trotzdem erfordert der Netzausbau enorme Investitionen. Wer zahlt?

Priggen Die großen Pensionskassen und die Lebensversicherer suchen sichere Investitionsmöglichkeiten. Sie verwalten Milliarden Euro an Kundengeldern, und die meisten haben angesichts der niedrigen Zinsen große Probleme damit, diese Gelder zu vernünftigen Renditen anzulegen. Sie sollten in die Stromtrassen investieren und ihr Kapital mit drei Prozent verzinst bekommen. Dann sind die Lebensversicherungen und Renten sicher – und die Stromnetze auch.

DETLEV HÜWEL, THOMAS REISENER UND GERHARD VOOGT FÜHRTEN DAS INTERVIEW. KOMPLETTER WORTLAUT UNTER WWW.RP-ONLINE.DE/WIRTSCHAFT

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort