Analyse der Koalitionspläne "Lebensleistungsrente" - die große Gaukelei

Berlin · Die Koalition will diejenigen mit einer höheren Rente belohnen, die viel gearbeitet, aber wenig verdient haben – dafür aber kein Geld ausgeben. Die zuständige Ministerin von der Leyen ist in der Koalition weitgehend isoliert.

Die Koalition will diejenigen mit einer höheren Rente belohnen, die viel gearbeitet, aber wenig verdient haben — dafür aber kein Geld ausgeben. Die zuständige Ministerin von der Leyen ist in der Koalition weitgehend isoliert.

Die Koalition hat ein großes Wort für eine kleine und komplizierte Sozialleistung erfunden: die Lebensleistungsrente. Sie soll dafür sorgen, dass Menschen, die ein Leben lang fleißig waren, am Ende des Lebens ein höheres Einkommen haben, als jene, die es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht haben.

Unter fleißig sein, versteht die Politik in diesem Fall eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, das Erziehen von Kindern oder die Pflege alter Menschen. Das Problem an dieser neuen geplanten Sozialleistung ist, dass ihr Name mehr verspricht, als sie halten kann. Mehr noch: Der Begriff der Lebensleistungsrente verspricht mehr, als Politik jemals halten kann.

Sie gaukelt vor, dass Gerechtigkeit hergestellt werden könne, vor allem für jene, gegen die das Leben ungerecht war. Jene, die sich für Mini-Löhne abgerackert haben und dabei noch Kinder groß gezogen und Alte gepflegt haben. Doch eben diese Gerechtigkeit vermag Politik nicht herzustellen.

Schlicht verhoben

Die schwarz-gelbe Koalition hat sich schlicht verhoben, als sie 2009 im Koalitionsvertrag Geringverdienern, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet haben, eine Rente oberhalb der Grundsicherung in Aussicht stellte. Denn am Ende kann Politik Armut bekämpfen. Sie kann und muss vor allem die Ursachen von Armut bekämpfen. Es wird aber kaum gelingen, Gerechtigkeit unter den Einzelschicksalen herzustellen.

So geht aus den Daten der Rentenversicherung beispielsweise noch nicht einmal hervor, ob ein Arbeitnehmer mit geringen Rentenansprüchen stets einen geringen Lohn hatte oder ob er sein Leben lang in Teilzeit tätig war. Der Staat ist also gar nicht in der Lage, die Lebensleistung wirklich zu belohnen. Vielmehr kann er nur Anreize setzen, dass sich die Bürger so weit wie möglich selbst um eine angemessene Altersversorgung kümmern, und jenen helfen, die dies nicht vermögen.

Es gilt das Äquivalenzprinzip

Wenn man jetzt auf dem Standpunkt steht: Dann soll der Staat eben denen mehr helfen, die sich redlich bemüht haben, selbst für ihre Rente zu sorgen, beginnen die Schwierigkeiten. Denn je gerechter der Staat in dieser Frage sein möchte, desto höher werden die bürokratischen Hürden für die Hilfe.

Die nächste Schwierigkeit: Wenn die Lebensleistung der Geringverdiener und Teilzeit-Jobber finanziell gewürdigt werden soll, gehört zur Gerechtigkeit auch dazu, dass die Lebensleistung derjenigen, die mit Fleiß und Überstunden gut verdient haben, nicht zu sehr beschnitten wird. Das Äquivalenzprinzip der Rentenversicherung darf nicht aus den Fugen geraten: Wer hohe Beiträge bezahlt hat, erhält eine stattliche Rente und umgekehrt. Dass in diesem System auch die Erziehung von Kindern berücksichtigt wird, ist zu verteidigen, denn die Rente finanziert sich per Umlage. Das heißt, die heute erwerbstätige Bevölkerung zahlt mit ihren Beiträgen direkt die Renten ihrer Eltern und Großeltern. Ohne Nachwuchs kann dieses System nicht funktionieren.

Von der Leyens Ansatz wurde kassiert

Die ursprünglich von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) geplante Zuschussrente ist eben daran gescheitert, dass die Ministerin das soziale Problem der drohenden Altersarmut mit der Gerechtigkeitsfrage nach der Lebensleistung vermischt hat. So wurden für die Zuschussrente etliche Voraussetzungen geschaffen.

Zudem sollte diese Rente zum Teil aus den Beiträgen der Rentenversicherung finanziert werden, und am Ende hätte sie eben längst nicht alle Betroffenen vor Altersarmut geschützt. Den ursprünglichen Ansatz der Ministerin kassierte der Koalitionsausschuss am vergangenen Sonntag. In den Verhandlungen soll die Kanzlerin gesagt haben: "Euch muss klar sein, dass dies nicht das ist, was die Fachministerin zu diesem Thema vorgelegt hat. Aber wir machen hier ja realitätsbezogene Politik."

Die Idee von der Leyens, eine neue soziale Leistung zu schaffen, die die Lebensleistung der einzelnen Bürger würdigt, fanden die Koalitionäre mit Blick auf den Wahlkampf dann aber doch so attraktiv, dass sie diese zumindest im Namen "Lebensleistungsrente" bewahren wollten.

Sie wird niedriger ausfallen als die Mindestrente

Das wiederum ist reichlich doppelzüngig: Denn die neue Lebensleistungsrente ist nichts weiter als eine Wiederbelebung der früheren Mindestrente. Der einzige Unterschied: Sie wird niedriger ausfallen.

Die Hochwertung der Rentenansprüche von Geringverdienern soll mit einem Deckel versehen werden, damit die Kosten in Grenzen bleiben. Zudem soll die Lebensleistungsrente an die Voraussetzung gebunden werden, dass die Nutznießer mindestens 40 Versicherungsjahre in der Rente nachweisen können und privat fürs Alter vorgesorgt haben.

Den Großteil der Erträge aus der Vorsorge sollen die Lebensleistungsrentner behalten dürfen. Eine weitere Bedingung ist, dass das Einkommen der Nutznießer und ihrer Lebenspartner tatsächlich so niedrig ist, dass sie auf die Hochwertung der Rente angewiesen sind.

Es gab Krach

Die Koalitionäre kämpfen mit harten Bandagen, wie großzügig die Belohnung für Lebensleistung ausfallen darf. Während von der Leyen darauf besteht, dass die neue Rente nahe an die von ihr für die Zuschussrente vorgesehenen 850 Euro reichen soll, heißt es an der Fraktionsspitze, im Kanzleramt und bei der FDP, die Lebensleistungsrente solle im Durchschnitt eher bei rund 700 Euro liegen.

Vereinbart wurde im Koalitionsausschuss, dass die Lebensleistungsrente zehn bis 15 Euro über der Grundsicherung liegen soll. Während von der Leyen zur Berechnung die teuersten Kommunen wie München zu Grunde legen möchte, wo die Grundsicherung nicht weit von den 850 Euro entfernt ist, wollen ihre Gegner eher einen niedrigen Satz nehmen, auf den dann noch zehn bis 15 Euro aufgeschlagen werden.

Nach Informationen unserer Redaktion gab es vor der Kabinettssitzung am Mittwoch eine Auseinandersetzung zwischen der Kanzlerin und ihrer Ministerin. Merkel soll von der Leyen erklärt haben, dass sie für ihr Ziel, die Lebensleistungsrente auf 850 Euro zu schrauben, in der Koalition keine Zustimmung finden wird. Gerüchte, von der Leyen habe in dieser Woche wegen des Streits auch mit Rücktritt gedroht, wies ihr Sprecher als "absoluten Quatsch" zurück.

(qua)
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