Matthias Wissmann im Interview "Natürlich machen wir uns wegen Russland Sorgen"

Düsseldorf · Der Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie, Matthias Wissmann, über die Folgen der Krim-Krise für die deutsche Wirtschaft, die Politik der schwarz-roten Koalition und das transatlantische Freihandelsabkommen.

 Matthias Wissmann sprach mit unserer Redaktion.

Matthias Wissmann sprach mit unserer Redaktion.

Foto: dpa

Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von Sigmar Gabriel soll den Anstieg der Strompreise dämpfen. Gehen der Automobilwirtschaft diese Pläne weit genug?

Wissmann Da gibt es noch Potenzial. Verbraucher und Unternehmen zahlen für die erneuerbaren Energien jetzt schon deutlich mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr für eine Strommenge, deren Marktwert nur drei Milliarden Euro beträgt. Wir haben im Schnitt einen doppelt so hohen Strompreis wie unsere Nachbarländer. Wir appellieren daher an die Bundesregierung, alles zu tun, damit die energieintensiven Industrien sich nicht aufgrund der hohen EEG-Kosten vom Standort Deutschland abwenden. Dass die Carbonfasern von SGL Carbon in den USA hergestellt, nach Deutschland importiert und schließlich in Leipzig bei BMW eingebaut werden, ist ein deutliches Warnsignal. Bleibt der Rabatt für die energieintensiven Industrien bei der EEG-Umlage nicht erhalten, gefährdet das auch mittelbar unsere Unternehmen und den Industriestandort Deutschland.

Wie bewerten Sie die Rentenreform-Pläne der neuen Bundesregierung?

Wissmann Die Lebenserwartung der Deutschen steigt weiter und gleichzeitig werden sie immer weniger. Die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren, die die Bundesregierung plant, wird deshalb die jungen Generationen über Gebühr belasten und darüber hinaus unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährden, weil die unbesetzten Stellen bei Facharbeitern und Ingenieuren zunehmen. Ich halte es für sehr riskant, neue Anreize zu einer Frühverrentung zu setzen. Wir sollten vielmehr darüber nachdenken, wie wir denjenigen, die ihr Know-how länger einbringen wollen, das Weiterarbeiten erleichtern können. Die Automobilwirtschaft würde durchaus manchen Ingenieur oder Facharbeiter, der das Rentenalter schon erreicht hat, noch gerne einige Jahre weiter beschäftigen. Wenn zum Beispiel ab dem gesetzten Renteneintrittsalter die Weiterzahlung der Sozialbeiträge wegfiele, könnte das vielleicht ein paar Zehntausend ältere Menschen ermutigen, ihre wertvolle Expertise noch etwas länger einzubringen.

Wie wichtig ist das transatlantische Freihandelsabkommen für Ihren Industriezweig?

Wissmann Das Freihandelsabkommen TTIP ist von zentraler Bedeutung für uns. Das Misstrauen, das es dagegen gibt, ist in der Sache nicht begründet. So sind die geplanten Schiedsverfahren beim Investitionsschutz ja faire Verfahren, die den Investoren Sicherheit geben. Wir haben gerade ein deutsch-kanadisches Freihandelsabkommen geschlossen, das die Blaupause für TTIP ist. Dieses Abkommen wurde erstaunlicherweise viel weniger kritisiert. Ein Freihandelsabkommen, das nicht-tarifäre Handelshemmnisse beseitigt, wäre ein großer Schritt für mehr Wachstum, Beschäftigung und Entlastung der Verbraucher. Wenn zum Beispiel ein Außenspiegel an einem Fahrzeug in den USA nicht mehr anders aussehen muss als in Europa, entfielen Kosten, und die Autos würden auch für die Käufer günstiger.

Bekommen die Freihandelsgespräche neuen Schwung durch die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland?

Wissmann Bedenkenträger, die einen offenen Handel gar nicht wollen, sind auf beiden Seiten zu finden. Sie wollen offenbar nicht verstehen, wie stark der Wachstumsimpuls ist, der von diesem Freihandelsabkommen ausgeht. Die EU kann mit 119 Milliarden Euro pro Jahr an zusätzlicher Wirtschaftskraft rechnen — das hat die EU-Kommission ausgerechnet. Das entspricht einem Plus von 545 Euro an verfügbarem Jahreseinkommen für eine vierköpfige Familie in Deutschland.

Wird die jüngste Besserung der Autokonjunktur in Europa gedämpft durch die Krim-Krise?

Wissmann Wir beobachten die Entwicklung sehr genau. Und wir unterstützen alle Maßnahmen, die zu einer friedlichen und rechtsstaatlichen Lösung führen. Natürlich machen wir uns Sorgen. Derzeit sehen wir eine langsame Erholung des europäischen Pkw-Marktes — nach vier Jahren Rückgang. Wir brauchen also vor allem Stabilität und Vertrauen in die Märkte.

Wir würden Wirtschaftssanktionen gegen Russland auf die Automobilwirtschaft wirken?

Wissmann An Spekulationen beteiligen wir uns nicht. Eines ist jedoch auch klar: Der russische Markt hat das Potenzial, eines Tages der größte Automobilmarkt des europäischen Raumes zu werden.

Die Autoverkäufe in Europa waren lange rückläufig, jetzt steigen sie seit sechs Monaten wieder leicht an. Ist das schon die Trendwende?

Wissmann Die aktuellen Zahlen sind ermutigend. In Westeuropa stieg die Nachfrage im Februar um gut 6 Prozent, in den ersten beiden Monaten waren es mehr als 5 Prozent. Wir erwarten eine langsame Erholung, keinen Boom. Erfreulich ist, dass die Verkäufe auch in den Krisenländern zulegen. So wuchs der italienische Markt im Februar um 9 Prozent — das ist der höchste Zuwachs seit vier Jahren. Auch in Spanien geht es voran. Wir rechnen für 2014 in Westeuropa mit 11,7 Millionen verkauften Neufahrzeugen. Damit sind wir noch weit vom früheren Niveau entfernt — doch die Richtung stimmt. Klar ist, dass der Weltmarkt weiter wachsen wird. In diesem Jahr wird ein Plus von 3 Prozent auf über 75 Millionen Autos erwartet, nach 2020 werden es 90 bis 100 Millionen Neuwagen sein. China hat auf 1000 Einwohner bisher 52 Autos, Indien hat achtzehn, Deutschland dagegen über 500. Wir wollen an diesem Wachstum einen großen Anteil haben und dazu ökologische und effiziente Lösungen anbieten.

Wie ökologisch sind denn die deutschen Autos?

Wissmann Energieeffizienz ist für die deutsche Automobilwirtschaft das zentrale Thema. In den vergangenen Jahren sind die durchschnittlichen CO2-Werte der deutschen Konzernmarken pro neu zugelassenem Auto in Deutschland von über 170 Gramm auf 136 Gramm gesunken. Für 2015 hat sieht die CO2-Regulierung der EU einen Wert von 130 Gramm vor, im Jahr 2020 sind nur noch 95 Gramm vorgeschrieben. Hierfür sind enorme Anstrengungen der Automobilindustrie notwendig. Mit der Optimierung der klassischen Motoren — Diesel und Benziner — ist es nicht getan, wir brauchen vor allem auch einen erheblichen Anteil an Fahrzeugen mit alternativen Antrieben, also auch Elektrofahrzeuge. Im weltweiten Maßstab betrachtet ist das Elektroauto nur dann eine überzeugende Nullemissions-Lösung, wenn auch der Strom nicht aus Kohlekraftwerken kommt. Das Elektroauto macht in China und Indien wenig Sinn, wenn dort der Strom überwiegend aus Kohlekraftwerken stammt. Insofern kann ein modernes, effizientes Dieselfahrzeug dort dem Elektroauto überlegen sein.

Warum kommen wir bei uns mit den Elektroautos nicht von der Stelle?

Wissmann Einspruch! Wir kommen sehr gut voran. Deutschland ist einer der beiden besten Elektroauto-Anbieter der Welt. Bis Ende 2014 bringen unsere Hersteller 16 Serienmodelle mit E-Antrieb auf die Straße. Die Produkte sind also da. Auch die Akzeptanz beim Kunden nimmt zu. Bund, Länder und Gemeinden können mit der Beschaffung von E-Autos ein wichtiges Zeichen setzen. Wir sind zuversichtlich, dass wir 2014/15 weit in die fünfstelligen Zahlen des Verkaufs kommen. Natürlich muss parallel auch die Ladesäulen-Infrastruktur weiter ausgebaut werden. Vor unserem VDA-Haus hier in Berlin haben wir übrigens eine Ladesäule, die direkt in den Laternenmast integriert ist.

Reichen die Kaufanreize für Elektroautos?

Wissmann Für E-Autos fällt schon heute keine Kfz-Steuer an. Sie sollten beim Parken in den Innenstädten und beim Nutzen der Busspuren bevorzugt werden. Die Unternehmen, die Elektroautos für ihre Firmenflotten anschaffen wollen, sollten zudem durch Möglichkeiten zur Sonderabschreibung darin unterstützt werden.

(marsch)
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