Finanzpolitik Konjunkturschwäche reißt Loch in den Bundeshaushalt

Berlin · Wirtschaftsminister Altmaier reduziert am Mittwoch die Wachstumsprognose der Regierung auf nur noch 0,5 Prozent im laufenden Jahr, wie es in Regierungskreisen hieß. Das hat Auswirkungen.

Die Bundesregierung muss ihre Wachstumsprognose und auch ihre Erwartungen an die Entwicklung der Steuereinnahmen in diesem und in den kommenden Jahren deutlich verringern. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wird an diesem Mittwoch die Regierungsprognose für das laufende Jahr von bisher 1,0 auf nur noch 0,5 Prozent Wachstum reduzieren, wie es aus Regierungskreisen hieß. Noch im Herbst hatte Altmaier 1,8 Prozent Wachstum prognostiziert, was auch die Grundlage der letzten Steuerschätzung Ende Oktober gewesen war. Die drastische Absenkung der Prognose um 1,3 Prozentpunkte wird Auswirkungen auf die nächste Steuerschätzung Anfang Mai haben: Sie dürfte pro Jahr um mindestens zehn Milliarden Euro geringer ausfallen als bisher vorausgesehen, so die Befürchtung der Haushaltspolitiker der Koalition.

Mindereinnahmen gegenüber der bisherigen Schätzung, die auch die Basis für die Haushaltspläne bildete, kommen vor allem auf den Bund und weniger auf die Länder zu. Denn der Bund hat zuletzt immer wieder Anteile an der Umsatzsteuer an die Länder abgegeben, damit diese ihre Aufgaben besser erfüllen können, etwa für den Ausbau von Kindertagesstätten oder zum Ausgleich für Flüchtlingskosten. Nach einer Auflistung der Unionsfraktion tritt der Bund 2018 bis 2022 insgesamt 67 Milliarden Euro an Umsatzsteuermitteln zusätzlich an die Länder ab. Da viele dieser Rechtsänderungen im vergangenen Herbst noch nicht wirksam waren, sind sie damals noch nicht in die Steuerschätzung eingeflossen. Umso größer dürfte das Minus beim Bund sein, das die neue Steuerschätzung bringt.

„Die nachlassende Konjunktur ist ja nur die halbe Wahrheit. Die andere halbe Wahrheit ist: Der Bund gibt den Ländern ab 2020 weitere Umsatzsteuerpunkte ab. Im Ergebnis wird der Bund 2020 erstmals weniger Steuereinnahmen haben als die Länder“, prophezeit Eckhardt Rehberg (CDU), Chefhaushälter der Unionsfraktion im Bundestag. „Gegenüber der Steuerschätzung vom Oktober wird der Bund bei der neuen Steuerschätzung erhebliche Mindereinnahmen hinnehmen müssen in der Größenordnung eines niedrigeren zweistelligen Milliardenbetrags.“

Da Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bei den Eckwerten für den Bundeshaushalt 2020 schon vorsichtig war und Mindereinnahmen bereits eingepreist hat, dürfte die Lücke im Haushalt aber deutlich geringer ausfallen. Rehberg rechnet mit einer Summe von etwa einer Milliarde Euro, die zusätzlich bei den parlamentarischen Haushaltsberatungen im Herbst eingespart werden müsse, will die Koalition die Nullverschuldung beibehalten. Eine solche Summe ließe sich durch zusätzliche Sparvorgaben für die Ministerien noch relativ einfach ausgleichen.

Fest steht allerdings: Für neue soziale Projekte wie etwa die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung, die fünf bis zehn Milliarden Euro im Jahr kosten kann, hat die Koalition keinen Spielraum, wenn sie nicht bereit ist, an anderer Stelle zu kürzen. Das wollen bislang aber weder Union noch SPD. „Soziale Mehrausgaben sind nicht mehr finanzierbar. Die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung zum Beispiel wird nicht realisierbar sein. Das Gleiche gilt für die Abschaffung der Doppelverbeitragung bei den Betriebsrenten“, sagt daher Rehberg. Sein Counterpart von der SPD, Johannes Kahrs, sieht allerdings dann auch keine Spielräume mehr für die Steigerung der Verteidigungs- oder Entwicklungshilfeausgaben, die von der Union vehement gefordert wird. „Alle, die Olaf Scholz kritisiert haben, er sei zu knauserig im Haushalt, sind jetzt eines Besseren belehrt“, sagt Kahrs mit Blick auf die Unionskritik an zu geringen Verteidigungs- oder Entwicklungshilfeausgaben.

Die Konjunkturschwäche und auch die Standortnachteile Deutschlands bei der Digitalisierung haben eine Diskussion über den Sinn der „schwarzen Null“ im Haushalt und der Schuldenbremse im Grundgesetz entfacht: Selbst liberale Ökonomen wie etwa der Chef des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, halten die Schuldenbremse für zu starr. Hüther fordert die Lockerung der Schuldenbremse, damit der Staat mehr Schulden aufnehmen und in Zukunftsprojekte investieren kann. Die Union lehnt das strikt ab, und auch Scholz ist derzeit noch dagegen. Allerdings liefert das neue deutsche Stabilitätsprogramm für die Brüsseler EU-Kommission, das am Mittwoch vom Kabinett gebilligt wird, Argumentationshilfen für die Kritiker der Schuldenbremse: Dem Programm zufolge sinkt der Schuldenstand des Staates 2019 auf nur noch 58,75 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit erstmals wieder unter die Maastricht-Grenze des EU-Stabilitätspakts. Er soll bis 2023 auf unter 52 Prozent zurückgehen. Der Staat hätte also theoretisch viel Spielraum für eine wieder höhere Neuverschuldung.

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