Demografische Entwicklung Das Land altert, Städte werden jünger - mit dramatischen Folgen

Junge Menschen und Zuwanderer ziehen in die Metropolen, ländliche Regionen vergreisen, ergibt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft. Das macht sich auch am Niederrhein bemerkbar.

 Münster ist eine der jüngsten Städte in NRW (Symbolfoto).

Münster ist eine der jüngsten Städte in NRW (Symbolfoto).

Foto: dpa, dbo fpt

Deutschland altert, hieß es lange. Doch inzwischen gilt das nicht mehr überall. Die Entwicklung von  Stadt und Land, genauer: von Metropolen und Universitätsstädten auf der einen Seite und dem Rest der Republik auf der anderen verläuft sehr unterschiedlich. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am Montag vorlegte. Sie betrachtet die Altersentwicklung in 71 kreisfreien Städten und 330 Kreisen. Die Ergebnisse zeigen, dass die politischen Hausaufgaben in Münster ganz andere sind als am Niederrhein.

Alterung der Großstädte gestoppt Zwar sind auch die kreisfreien Großstädte gealtert, doch viel weniger als das Land. „In den Großstädten nahm das mittlere Alter von 40,7 im Jahr 1995 auf 42,7 im Jahr 2016 zu“, schreiben die Autoren der Studie, Ralph Henger und Christian Oberst. Das Besondere: Der Anstieg fand bis 2009 statt, seitdem bleibt das mittlere Alter in den Großstädten konstant. „Die Alterung der Gesellschaft wurde zumindest vorübergehend gestoppt“, so die Autoren. Sie nennen zwei Gründe: Die Großstädte profitieren zum einen von der internationalen Zuwanderung, das meint ausländische Fachkräfte ebenso wie Flüchtlinge. Zum anderen profitieren sie davon, dass viele 18- bis 30-jährigen Deutsche vom Land in die Stadt ziehen und hier auch Nachwuchs bekommen. Das senkt den Altersschnitt gleich zweifach.

Universitätsstädte als Magneten Mal ist es der Job, mal das Studium, das die jungen Menschen in die Städte zieht. Die jüngste Stadt ist Heidelberg, aber auch andere klassische Universitätsstädte wie Freiburg, Münster und Tübingen sind unter den Top Ten der jüngsten Orte. In einigen Großstädten fand sogar eine Verjüngung statt. In Frankfurt am Main sank das mittlere Alter von 41,3 auf 40,6 Jahre. Ausgerechnet die Banken-Metropole ist die Stadt, die sich relativ am meisten verjüngt hat. Offenbar gelingt es der Stadt, die durch die Universität viele Studierende hat, diese auch als Arbeitnehmer zu halten. Wirtschaftlicher Erfolg und Banken-Konzentration rund um die EZB bieten viele Arbeitsplätze. Auch in Nordrhein-Westfalen zeigt das Wirkung: Düsseldorf ist mit einem mittleren Alter von 42,9 Jahren eine der jüngeren Städte. Die Stadt profitiert neben der Universität auch vom Wirtschaftsboom, der immer mehr (junge) Arbeitskräfte anlockt. Zugleich ist der Ausländeranteil hier hoch. Auch Mönchengladbach oder der Kreis Kleve, in denen Fachhochschulen locken, sind vergleichsweise jünger als andere Regionen.

Das Land vergreist In den Kreisen stieg das mittlere Alter laut der Studie von 1995 bis 2016 deutlich stärker an: von 39,5 auf 44,8 Jahre. Das Land ist nicht nur älter, sondern auch viel schneller vergreist. Das ist umso bemerkenswerter, als es vor Jahrzehnten genau andersherum war: Es herrschte Stadtflucht, vor allem Familien zogen aufs Land. Die Landflucht heute findet vor allem in Ostdeutschland statt: Die zehn ältesten der untersuchten 401 Regionen liegt dort. Der Trend ist deutlich ablesbar: Die Menschen ziehen von Ost nach West, und sie ziehen vom Land auf die Stadt. Die älteste Region überhaupt ist die kreisfreie Stadt Suhl in Thüringen. Im Schnitt ist man hier 50,3 Jahre alt, 1995 waren es erst 38,8 Jahre. Grundsätzlich gilt: Die rasche Alterung einer Region stellt Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik vor besondere Herausforderungen.

Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es Kreise, in denen das mittlere Alter vergleichsweise hoch ist. Dazu zählen etwa Wesel (45,7 Jahre), Viersen (45,1 Jahre) und Krefeld (44,4 Jahre). Deutlich jünger ist dagegen der Kreis Borken (42,6 Jahre).

Ausländer Die Bevölkerungsstruktur hängt eng mit der Geburtenrate zusammen. Die Alterung der Großstädte ist auch gestoppt, weil hier viele Ausländer leben und diese eine höhere Geburtenrate haben. Die Geburtenziffer liegt bei 1,46 Kindern je inländischer Frau, bei ausländischen Frauen sind es 2,28 Kinder, so die Studie. Insgesamt ist die ausländische Bevölkerung jünger: „So ist ein in Deutschland lebender Ausländer im Schnitt 37,7 Jahre alt und damit deutlich jünger als die Bevölkerung in Deutschland allgemein (44,2).“ Das Fazit der Autoren insgesamt: „Auf die zunehmenden regionalen Unterschiede bedarf es fallbezogene Antworten von Bund, Ländern und Kommunen.“

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