Gegen den Trend Inflation treibt Online-Lebensmittelhandel
Düsseldorf · Bei den Konsumausgaben sparen die Menschen auch im Internet. Essen und trinken müssen sie aber trotz hoher Lebensmittelpreise. und die lassen den Online-Lebensmittelumsatz deutlich wachsen.
Lange Zeit war das Geschäft über das Internet der Wachstumsgarant für den deutschen Einzelhandel. Zunächst, weil immer mehr Menschen in einer Mischung aus Zeitmangel und Bequemlichkeit dazu neigten, von zu Hause aus einzukaufen anstatt im Ladenlokal, danach in der Hochzeit der Pandemie, weil sie aus Sorge vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus die Geschäfte mieden. Dieser Trend hat in diesem Jahr wieder deutlich nachgelassen. Was unter anderem dazu geführt hat, dass der Branchenverband HDE seine Prognose für den Online-Handel zurückgefahren hat. Statt acht Prozent Umsatzplus stehen nur noch 5,8 Prozent auf der Agenda (wovon real nur noch zwei Prozent übrig bleiben).
Das hat laut HDE aber keine Konsequenzen für die Gesamterwartungen der Branche. Der Verband hat stattdessen seine Voraussage für den stationären Handel von plus 1,1 auf plus 1,4 Prozent erhöht und kommt damit im Gesamtergebnis dort aus, wo man sich schon zu Jahresbeginn gesehen hat. Das überrascht insofern, als dass Konsumschwäche und immer noch hohe Inflation als maßgebliche Gründe für das Zurückschrauben der Ansprüche im Online-Handel gelten – zwei Einflussfaktoren, die sich im stationären Geschäft genauso stark bemerkbar machen müssten. Aber mit dem Thema hat sich offiziell wohl noch keiner beschäftigt.
Wie auch immer: Nach dem Umsatzrückgang um 2,5 Prozent im vergangenen Jahr und angesichts der jüngsten Prognose von Ökonomen, die hohen Preissteigerungsraten könnten uns noch länger erhalten bleiben, stellt sich die Frage, wie es mit dem Online-Geschäft in diesem Jahr weitergeht. Vor allem mit dem Lebensmittelhandel, der ja gegen den Trend um acht Prozent gewachsen ist. „Das liegt aber vor allem an der Inflation, denn bei den Lebensmitteln hat es Preissteigerungen von 20 Prozent und mehr gegeben“, schränkt der Mönchengladbacher Handelsexperte Gerrit Heinemann ein. Insofern glaubt er: „Die Wachstumsstory im Online-Lebensmittelhandel ist aktuell erst mal vorbei.“ Real habe es auch in diesem Bereich Umsatzverluste gegeben.
Aber offenbar sind sie nicht so gravierend wie im Non-Food-Bereich. Nach Angaben des Versandhandelsverbandes BEVH lagen die gesamten Online-Handelsumsätze im ersten Quartal 2023 bei 19,4 Milliarden Euro um 15 Prozent unter Vorahresniveau (auch schon nominal), gleichzeitig sei der Online-Lebensmittelhandel nicht preisbereinigt noch um 3,7 Prozent auf fast 900 Millionen Euro gewachsen.
Ein Grund dafür sind die deutlichen Steigerungen bei den Lebensmittelpreisen, aber es gibt zumindest noch einen weiteren, den der stellvertretende BEVH-Geschäftsführer Martin Groß-Albenhausen jüngst genannt hat: „Nicht dringend benötigte Einkäufe etwa von Mode, Schmuck und Unterhaltungsartikeln werden von den Menschen zurückgestellt.“ Ergänzend könnte man sagen: Das gilt nicht in gleichem Ausmaß für Lebensmittel, denn essen und trinken müssen die Menschen immer. Für Konzertbesuche und Urlaube offenbar auch nicht, denn der Bereich ist um 28 Prozent gewachsen, wenngleich hier der Basiseffekt eine zusätzliche Rolle spielt.
Das mit der Konsumzurückhaltung im Allgemeinen wird sich in absehbarer Zeit wohl auch nicht ändern, wenn Ökonomen Recht behalten. Wenn im Sommer die Inflation bei sieben Prozent läge, würden sich die Menschen mit den Konsumausgaben weiter zurückhalten. Deshalb hat der BEVH auch keine Jahresprognose gewagt. Aber unabhängig von solchen Konjunkturdaten und den Erwartungen an die Entwicklung der Verbraucherpreise dürfte der Boom im Lebensmittel-Onlinehandel anhalten. Zwischen 2013 und 2011 ist die Sparte schon von etwa 600 Millionen auf knapp vier Milliarden Euro gewachsen. Weiterer Anstieg ist programmiert, auch wenn die Inflation nachlässt. Ungeachtet der Tatsache, dass es heute viele Singles und junge Familien sind, die online Lebensmittel ordern und sich liefern lassen, profitiert der Bereich vom demografischen Handel, der die Gesellschaft altern lässt. „Lebensmittel sind die Warengruppe im Onlinehandel, die das stärkste Wachstum verheißt“, sagt Heinemann. Was auch damit zu tun hat, dass die Lieferunternehmen ihre Infrastruktur in den nächsten Jahren deutlich ausbauen werden.
Große Händler haben den Markt jedenfalls längst für sich entdeckt. Der neueste prominente Vertreter ist Aldi Süd, das dem Vernehmen nach den Einstieg ins E-Food-Geschäft plant – mit Trockensortiment, Kühlartikeln und frischen Lebensmitteln. Getestet werden soll das Ganze demnach ab dem vierten Quartal 2023 in der Heimatregion Mülheim/Ruhr.