Steigende Preise Inflation erstmals seit Nachkriegsjahren bei 10 Prozent

Wiesbaden · Hohe Inflationsraten belasten die Haushaltsbudgets der Menschen. Viele können kein Geld mehr auf die hohe Kante legen. Dennoch gibt es bislang weniger Privatpleiten. Aus Sicht von Experten ist das aber kein Grund zur Entwarnung.

Inflationsrate November 2022: Was in NRW teurer wird​
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Inflationsrate - was in NRW teurer wurde

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Das tägliche Leben in Deutschland hat sich im September sprunghaft verteuert: Erstmals seit der Nachkriegszeit erreichte die Inflationsrate die Marke von 10 Prozent. Viele Menschen können wegen der Belastung insbesondere durch hohe Energiekosten kein Geld mehr auf die hohe Kante legen. Die Wirtschaftsauskunftei Crif hält eine Verschuldungswelle in Deutschland für möglich, auch wenn die Zahl der Privatinsolvenzen in den ersten neun Monaten des Jahres noch gesunken ist.

Angetrieben von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen legten die Verbraucherpreise im September gegenüber dem Vorjahresmonat um 10,0 Prozent zu. Das Statistische Bundesamt bestätigte am Donnerstag vorläufige Daten. „Zudem haben das Auslaufen von 9-Euro-Ticket und Tankrabatt den Preisauftrieb im September 2022 verstärkt“, erläuterte Georg Thiel, Präsident der Wiesbadener Behörde. Beide Maßnahmen waren bis Ende August befristet. Bund und Länder verhandeln derzeit über eine Nachfolge für das 9-Euro-Ticket. Im August war noch eine Jahres-Teuerungsrate von 7,9 Prozent verzeichnet worden.

Höhere Inflationsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, diese können sich für einen Euro weniger leisten. Der finanzielle Spielraum der Menschen schrumpft, sie können dadurch auch weniger sparen.

Laut einer YouGov-Umfrage im Auftrag der zum Deutsche-Bank-Konzern gehörenden Postbank legt jeder Zweite (53,9 Prozent) derzeit weniger Geld auf die hohe Kante oder kann aktuell gar nichts sparen, weil die stark gestiegenen Ausgaben zum Beispiel für Energie das Haushaltsbudget aufzehren. „Eine wachsende Zahl Sparerinnen und Sparer verfügen nicht mehr über Mittel, die sie dauerhaft anlegen können“, erläuterte Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank für Privat- und Firmenkunden, Ulrich Stephan.

Seit Monaten sind Energie und Lebensmittel die größten Preistreiber. Der russische Angriff auf die Ukraine sowie Lieferengpässe haben die bereits angespannte Lage verschärft. Für Energie mussten Verbraucher im September 43,9 Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor, Nahrungsmittel verteuerten sich um 18,7 Prozent.

Um Verbraucher und Unternehmen wegen der stark steigenden Energiepreise zu unterstützen, hat die Bundesregierung einen Abwehrschirm von bis zu 200 Milliarden Euro angekündigt. Davon soll auch die geplante Gaspreisbremse finanziert werden. Diese dämpft laut Prognose des Bundeswirtschaftsministeriums den Anstieg der Verbraucherpreise im kommenden Jahr. Die Bundesregierung rechnet mit einer Inflationsrate von durchschnittlich 8,0 Prozent im laufenden Jahr und von 7,0 Prozent im kommenden Jahr.

Der Geschäftsführer der Wirtschaftsauskunftei Crif in Deutschland, Frank Schlein, hält wegen der steigenden Kosten eine Verschuldungswelle in Europas größter Volkswirtschaft für möglich. Auf Dauer führe weniger Einkommen erst in die Überschuldung und dann möglicherweise in die Privatinsolvenz. Die finanzielle Situation vieler Menschen bleibe durch die steigenden Miet- und Energiepreise angespannt. „Gerade für finanz- und einkommensschwache Haushalte wird sich die finanzielle Lage zuspitzen – auch weil die finanziellen Reserven durch Einbußen in der Corona-Pandemie aufgebraucht worden sind“, erläuterte Schlein.

Wirtschaftliche Krisen wirkten sich allerdings verzögert auf die Verbraucher aus. Crif rechnet in diesem Jahr mit 100 000 Privatpleiten in Deutschland nach 109 031 Fällen im vergangenen Jahr. 2023 sei ein Anstieg auf bis zu 120 000 Insolvenzen möglich.

In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres sank die Zahl der Verbraucherpleiten in Deutschland noch. Crif zählte 71 107 Privatinsolvenzen und damit 13,5 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Allerdings waren die Zahlen in den ersten neun Monaten 2021 infolge einer Gesetzesänderung stark gestiegen. Der Vergleich falle daher verzerrt aus. Im Vergleich zu den ersten drei Quartalen 2019 – also dem Zeitraum vor der Gesetzesreform und vor Corona – wurden 11,8 Prozent mehr Privatinsolvenzen gezählt.

Inflationsraten auf dem derzeitigen Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie. In den alten Bundesländern wurden Raten von 10 Prozent und mehr Anfang der 1950er Jahre gemessen. Die Berechnungsmethode änderte sich aber im Laufe der Zeit.

(zim/dpa)
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