Berlin Industrie rüffelt große Koalition

Berlin · Statt über die Flüchtlingspolitik zu streiten, sollen Union und SPD die Integration vorantreiben, fordert der BDI beim Tag der deutschen Industrie. Die Bundeskanzlerin warnt andere, unsolidarische EU-Staaten vor negativen Konsequenzen.

Die Industrie hat die Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik zur Geschlossenheit aufgerufen, grundsätzliche Kritik am Kurs der Regierung aber ausdrücklich vermieden. "Wir können den Asylstrom nicht begrenzen, aber wir müssen ein geordnetes Verfahren hinkriegen. Wir müssen wissen, wer wann wo einreist", mahnte der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, gestern beim Tag der Industrie in Berlin. Die Koalition dürfe sich nicht "über die Worte Transitzonen oder Einreisezentren" zerstreiten. Die Wirtschaft erwarte ein "effektives Krisenmanagement", bei dem die Integration der Flüchtlinge höchste Priorität haben müsse.

Grillo hielt sich mit allzu lauter Kritik an der Regierung zurück, obwohl die Wirtschaft nach Einführung des Mindestlohns, der Rente mit 63 und neuen Lasten durch die Energiepolitik dafür Anlass hätte. Doch liegen diese Weichenstellungen in der Vergangenheit. Zudem kann die Wirtschaft zumindest mit einigen außenpolitischen Erfolgen der Regierung, etwa in der Ukraine-Krise, zufrieden sein. Vor allem aber ist der Industrieverband nicht daran interessiert, die ohnehin in der Flüchtlingskrise stark unter Druck stehende Regierung zu torpedieren.

Denn die Wirtschaft ist darauf angewiesen, dass der Staat die Krise in den Griff bekommt. "Integration endet nicht in der Turnhalle", sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber. Viel hänge davon ab, dass es Bund, Ländern und Kommunen nun sehr schnell gelingt, die Integration der Flüchtlinge auf die Beine zu stellen - mit Sprachkursen und Qualifizierung. Scheitert die Integration, könnten sich Negativauswirkungen schon 2016 niederschlagen. "Die Stimmung kann auch umschlagen", warnte Grillo.

Klare Kante zeigte Grillo gegenüber Rechtsextremisten. "Die Rechtsextremen, die in Dresden, auf Facebook und vor Flüchtlingsheimen Hass schüren: Sie gehören dringend in den Integrationskurs", sagte der BDI-Präsident. "Was wir nicht tolerieren, sind Menschenfeinde und Volksverhetzer."

Noch läuft die Konjunktur aus Sicht der Industrie gut. Der BDI erwartet 2015 ein Wachstum von zwei Prozent. Getragen werde es vor allem vom privaten Verbrauch. Durch die staatlichen Mehrausgaben für Flüchtlinge bekomme der Konsum zusätzlich Schub. Deutschland brauche "gerade jetzt eine starke Wirtschaft, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen", sagte Grillo. Die Politik müsse die Wettbewerbsfähigkeit durch mehr Investitionen in die Infrastruktur steigern. Das Land sei in den letzten zwei Jahren von der Koalition für die Zukunft nicht fitgemacht worden, sondern mit der Rente mit 63 und dem Mindestlohn habe man "Eigentore" geschossen.

Kritisch äußerte sich Grillo über die Abgasmanipulationen bei VW. Der Konzern habe der gesamten deutschen Industrie damit einen "Bärendienst" erwiesen. Das Erfolgs-Label "Made in Germany" werde aber durch VW nicht leiden.

Die Flüchtlingskrise könne man "nicht an der deutsch-österreichischen Grenze bewältigen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor den 1200 Gästen der Tagung. Notwendig sei ein europäischer Ansatz und die Einbeziehung der Türkei. "Wir müssen darauf beharren, dass die Lasten innerhalb der EU fair verteilt werden, ansonsten wird das System nicht funktionieren", sagte sie. Wer in anderen EU-Ländern meine, er sei heute nicht betroffen, werde morgen in irgendeiner Weise davon betroffen sein - und sei es, indem man die Einheit Europas infrage stellt, sagte sie an die Adresse der Nachbarn.

Nicht die hohe Zahl der Flüchtlinge sei das Problem, sondern das Tempo der Zuwanderung, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Es werde mindestens zehn Jahre dauern, die notwendige Infrastruktur für Bildung und Ausbildung zu schaffen.

(mar)
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