Interview mit Krankenhauspräsident Alfred Dänzer "In Krankenhäusern fehlen 6000 Ärzte"

Berlin · Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft spricht im Interview mit unserer Redaktion über den Bedarf an Medizinern in den deutschen Kliniken, die Hygiene-Situation und die extrem gestiegene Zahl an Knie- und Hüftoperationen.

Die zentralen Ergebnisse des DAK-Gesundheitsreports 2012
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Foto: dapd

600.000 Menschen infizieren sich jährlich mit Keimen im Krankenhaus. Warum ist die Zahl so hoch?

Dänzer Bei der Zahl 600.000 reden wir über eine Schätzung. Ein Krankenhaus kann schon dem Namen nach kein keimfreier Raum sein. 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung sind mit unterschiedlichen Keimen durchseucht; damit werden Keime auch in die Kliniken transportiert. Unsere Aufgabe ist es, die weitere Übertragung im Krankenhaus zu verhindern.

Werden die Regeln des Alltags, wie regelmäßig und gründlich Händewaschen, ausreichend eingehalten?

Dänzer Es gibt gute Kontrollmechanismen dafür. Dazu gehört die Abklatsche. Das sind nicht angekündigte Proben, die von Boden, Schränken und den Händen des Personals genommen und auf Keime untersucht werden. Damit wird das Personal sensibilisiert, nach jedem Patientenkontakt die Hände zu desinfizieren. Auch am Mengenverbrauch der Desinfektionsmittel können wir erkennen, ob die Hygieneregeln eingehalten werden.

Verfügt denn mittlerweile jedes Krankenhaus über einen Arzt, der Hygienespezialist ist?

Dänzer In allen Krankenhäusern gibt es Ärzte und Pflegepersonal, die sich der Hygiene-Fragen annehmen. Das ist aber nicht immer ein Facharzt. Wir haben in Deutschland nicht genug Hygiene-Fachärzte. Bundesweit fehlen rund 500 Fachärzte für Hygiene.

Das heißt , in jedem vierten Krankenhaus fehlt ein Facharzt für Hygiene?

Dänzer So kann man das nicht rechnen. Es gibt auch viele kleine Krankenhäuser, bei denen es verantwortbar ist, das zwei, drei oder vier Häuser von einem Hygiene-Facharzt betreut werden.

Wird die zusätzliche Milliarde für die Kliniken dafür sorgen, dass weniger Häuser rote Zahlen schreiben?

dänzer Die Akuthilfe der Politik für die Krankenhäuser ist zu begrüßen. Sie reicht jedoch nicht aus. Noch hilfreicher wäre es, wenn die finanziellen Entlastungen, die für 2014 angekündigt sind, 2013 wirksam würden.

Die Krankenkassen werfen den Kliniken vor, dass sie zu viele Betten haben. Woran liegt das?

Dänzer Dass die Krankenhäuser zu viele Betten haben, ist eine Legende. Das deutsche System finanziert Behandlungen. Wenn Sie nur 200 Betten brauchen, aber 400 Betten vorhalten, dann finanziert niemand die restlichen 200 Betten.

Aus Sicht der Kassen wird aber genau daraus der Schuh: Die Kliniken sorgen dafür, dass ihre Betten genutzt werden . . .

Dänzer Darauf kann ich mit einer Statistik des Spitzenverbandes der Krankenkassen antworten: Der Anteil der primären Fehlbelegung, also Krankenhausbehandlungen ohne medizinische Gründe, liegt bei nur drei bis vier Prozent. Das heißt: Selbst die Kassen können ihre Behauptung statistisch nicht belegen.

Und warum steigt die Zahl der Hüft- und Knieoperationen so rasant?

Dänzer Von 2006 bis 2012 ist die Zahl der Krankenhausbehandlungen um eine Million auf 18,3 Millionen gestiegen. Die Entwicklung hängt mit der Demographie, dem medizinischen Fortschritt und den Wünschen der Patienten zusammen. Die Steigerungsrate der Hüftprothesen liegt deutlich unter der allgemeinen Steigerungsrate der Gesamtpatientenzahl. Nach einer Schweizer Studie können wir über den Sinn von 10.000 Hüftprothesen bei 135.000 Operationen pro Jahr diskutieren. Das macht 0,02 Prozent der Gesamtausgaben der Krankenkassen aus.

Sind 10.000 fragwürdige Hüftprothesen jedes Jahr nicht doch viel?

Dänzer Wir haben eine Indikationsgenauigkeit bei den Hüftprothesen von 93 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich sehr gut. Auch der Patient spielt bei der Frage, ob und welche Eingriffe vorgenommen werden, eine große Rolle. Die Patienten fordern heute ein, dass gemacht wird, was medizinisch möglich ist. Damit werben ja auch Politik, Krankenkassen und Krankenhäuser, dass alle am medizinischen Fortschritt teilhaben sollen.

Warum gibt es so viele unbesetzte Arztstellen in den Kliniken. Ist der Beruf nicht mehr attraktiv?

Dänzer Wir müssen die Kapazitäten beim Medizinstudium dringend erhöhen. Die Zahl der jungen Leute, die wir ausbilden, ist angesichts des anstehenden Generationenwechsels in der Ärzteschaft nicht ausreichend. Schon heute haben wir 6000 unbesetzte Arztstellen in den Kliniken. Um in einer alternden Gesellschaft den Bedarf an Ärzten künftig erfüllen zu können, müssen wir mindestens zehn Prozent mehr an den Universitäten zu Medizinern ausbilden.

(qua)
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