Analyse In der Chemie-Tarifrunde droht Krach

Düsseldorf · Eine Lohnforderung von 5,5 Prozent und die unbefristete Übernahme aller Auszubildenden – die gestern in Darmstadt begonnenen Gespräche für die Chemiebranche bergen das Potenzial für einen handfesten Streit. Auch Streiks sind denkbar.

Lange galt die chemische Industrie als Vorzeigebranche. Sie stand für ein friedliches Miteinander von Arbeitgebern und Gewerkschaft, für Verhandlungen auf Augenhöhe. Streiks galten vielen als Ding der Unmöglichkeit. Doch in diesem Jahr scheint sich der Wind zu drehen. "Mir kommt es so vor, dass wir diesmal besonders weit auseinanderliegen", sagte der Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbandes BAVC, Hans-Carsten Hansen.

In Darmstadt trafen gestern Arbeitgeber und Gewerkschaft erstmals zu Gesprächen auf Bundesebene zusammen. Zwar wurde in den Landesbezirken bereits verhandelt, das gestrige Treffen gilt jedoch als Startschuss für die heiße Phase. Auf dem Tisch liegt eine Forderung der IG Bergbau Chemie Energie von 5,5 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten.

Was Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis als "angemessene, gefühlvolle Forderung" bezeichnet, sorgt bei den Chemie-Arbeitgebern nur für Kopfschütteln: "Bisher haben wir von der IG BCE kaum mehr gehört als Zweckoptimismus", sagte BAVC-Verhandlungsführer Hansen. Die Lohnforderung sei überzogen. "Einen Tarifabschluss auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit können wir uns nicht leisten."

Solche Mahnungen wirken zunächst wie das übertriebene "Sich-schlecht-Reden" der Arbeitgeber. Denn beklagen können sich die Chemie-Unternehmen in der Rückschau nicht, zumindest belegen das die Wirtschaftsdaten für 2013: Vor allem das Geschäft mit dem Ausland boomte. So markiert das Export-Plus bei chemischen Erzeugnissen mit rund 53,9 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert. Die Produktion legte nach Angaben des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) um 1,5 Prozent zu. Doch Tarifrunden richten sich nur in Ausnahmefällen nach den zurückliegenden Monaten. Sie sind vielmehr ein Ausdruck für die Erwartungen – und auch da rechnet der VCI für das laufende Jahr mit einem Produktionszuwachs von zwei Prozent.

Verständlich also, dass dies Begehrlichkeiten bei den Arbeitnehmern weckt. Allerdings kämpft die Branche nach eigenen Angaben nicht nur mit sinkenden Preisen. Viel ärger treffen sie die enormen Lohn-Stück-Kosten: Das Durchschnittseinkommen eines Beschäftigten in der Chemie-Industrie beträgt laut VCI rund 54 300 Euro pro Jahr. Damit liegt es rund ein Viertel über dem Durchschnittseinkommen in allen Industriezweigen zusammen (43 300 Euro) und 66 Prozentpunkte über dem Mittelwert für die Gesamtwirtschaft. "Die Chemie muss beim Entgelt auf die Kostenbremse treten", sagte Hansen.

"Die Prognosen weisen nach oben – und weil es bergauf geht, ist es schlicht widersinnig, dass die Arbeitgeber auf die Bremse treten wollen", sagte Peter Hausmann, Tarif-Vorstand der IG BCE. Das Verhalten des BAVC bezeichnete er als "völlig neben der Spur". Die Gewerkschaft habe für diese Verschleppungstaktik überhaupt kein Verständnis. "Für unverbindliche Gespräche in der Endlosschleife stehen wir nicht zur Verfügung", so Hausmann.

Und es gibt ein weiteres Konfliktfeld: die Frage nach den Auszubildenden. "Wir sind sehr unzufrieden mit der Situation", hatte Hausmann vor Beginn der Tarifrunde die Situation zusammengefasst. Die befristete Übernahme sei noch ein Relikt aus den 80er und 90er Jahren, als die Wirtschaft unter hoher Arbeitslosigkeit ächzte und auf mehr Flexibilität angewiesen war. "Da sind die Arbeitgeber miefig aufgestellt, kommen mit ihren Eigentumsrechten."

Dagegen warnte Arbeitnehmervertreter Hansen, jeder Zwang zur unbefristeten Übernahme sei "Gift für die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen". Grundsätzlich sei der BAVC bereit, den Tarifvertrag "Zukunft durch Ausbildung" fortzusetzen. Allerdings gelte auch dort der Grundsatz "Ausbildung geht vor Übernahme".

Nach dem Austausch der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geht es Anfang Februar ans Eingemachte. Und dafür warnt Hausmann schon einmal vorsorglich: "Die IG BCE ist jederzeit in der Lage, ihre Mitgliedschaft zu mobilisieren."

(RP)
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