IG Metall-Vizechefin „Kein Arbeitgeber kann mehr sagen: Homeoffice geht nicht“

Interview | Düsseldorf · Die zweite Vorsitzende der IG Metall fordert, dass der Arbeitgeber das Homeoffice mit guten Stühlen und Technik ausstattet. Und sie verrät, was der Thomas-Kreislauf in Vorstandsetagen ist und wie man ihn mit der Frauenquote durchbricht.

 Christiane Benner ist zweite Vorsitzende der IG Metall (Archivfoto).

Christiane Benner ist zweite Vorsitzende der IG Metall (Archivfoto).

Foto: IG Metall/Alexander Paul Englert

Frau Benner, die Gewerkschaften feiern in diesem Jahr 70 Jahre Montan-Mitbestimmung. Was war aus Ihrer Sicht der größte Erfolg, den die Mitbestimmung erreichen konnte?

Benner Die Montan-Mitbestimmung sichert hochwertige, moderne Produktion und hilft immer wieder, Strukturbrüche abzufedern. In mitbestimmten Betrieben fällt keiner ins Bergfreie. Das haben wir beim Strukturwandel von Kohle und Stahl immer wieder erlebt.

Was war persönlich Ihr größter Erfolg?

Benner Dass wir im harten Kampf um Conti und im starken Team kurzfristige Werksschließungen abwenden konnten. Aufsichtsrats-Chef Wolfgang Reitzle wollte dies unter Ausnutzung seines Doppelstimmrechtes durchsetzen. So sieht soziale Verantwortung nicht aus. Die Beschäftigten haben sich erfolgreich zur Wehr gesetzt. Jetzt gibt es keine Schließung des Werkes Aachen Ende diesen Jahres, sondern Alternativen, in Karben bleibt auch nach 2023 ein Teil der Belegschaft erhalten, in Babenhausen haben wir drei weitere Jahre gewonnen, um Perspektiven zu entwickeln. Rheinböllen wird zu einem Kompetenz- und Produktionszentrum in Europa entwickelt und ausgebaut.

Gehört das Doppelstimmrecht, das der Aufsichtsrats-Chef bei Patt-Situationen hat, abgeschafft?

Benner Auf jeden Fall, das Doppelstimmrecht muss weg. Die Montanindustrie, wo der Aufsichtsrats-Chef kein Doppelstimmrecht hat, zeigt es doch: Krisen überwindet man mit Mitbestimmung auf Augenhöhe, nicht gegen sie.

Wie groß sind die Chancen der Realisierung?

Benner Wir haben mit den Vorsitzenden aller demokratischen Parteien gesprochen. Keine und Keiner hat gesagt: Vergesst es.

Auch nicht FDP-Chef Christian Lindner?

Benner Bitte fragen Sie ihn doch nochmal. Aber auch Herr Lindner hat unsere Argumente angehört. Die Zeit, in der die FDP Gewerkschaften für Frösche hielt, die man bei der Trockenlegung des Sumpfes nicht fragen darf, sei vorbei. Betriebliche Mitbestimmung ist gelebte Demokratie. Wer im Betrieb Mitbestimmung erlebt, hat ein positiveres Verhältnis zur Demokratie in der Gesellschaft. Das sollte alle Demokraten überzeugen.

Nun verändert die Corona-Pandemie die Arbeitswelt fundamental.  Was erwarten Sie von der Impfkampagne in den Betrieben?

Benner Die Industrie ist bereit, allein bei BMW sind knapp 30 Impfstraßen aufgebaut. Nun muss nur endlich genug Impfstoff her.

Was fordern Sie von der Impfpolitik?

Benner Dass sie die internationale Dimension nicht vergisst. Deutschland und Europa müssen solidarisch sein mit den ärmeren Ländern der Welt. Dazu gehört auch, dass die Hersteller Impfstoff-Kapazitäten ausbauen und sich an globalen Impfkampagnen beteiligen. Und es gibt ja auch Forderungen, Patente freizugeben.  

Dann investieren Pharmafirmen doch nicht wieder.

Benner Vergessen wird, wie stark die schnelle Entwicklung für einen Impfstoff von jahrzehntelanger, staatlich geförderter Forschung profitiert haben.  Außerdem wären die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden enorm, wenn wir die Coronapandemie nicht bald weltweit in den Griff bekommen. Die fatalen Folgen erleben wir doch etwa in Indien oder Brasilien. Ich bin sicher, dass mit den Pharmafirmen ein fairer Ausgleich getroffen werden kann.

Zur Pandemie gehört für viele das Homeoffice. Was fordern Sie?

Benner Das Homeoffice wird bleiben, kein Arbeitgeber kann mehr sagen: Homeoffice geht nicht. Doch um bei neuen technologischen Entwicklungen angemessen mitbestimmen zu können, braucht das Betriebsverfassungsgesetz ein Update. Als es 1972 in Kraft trat, gab es Intershops, aber kein Internet. Jetzt müssen wir das Gesetz anpassen.

Wie?

Benner Die Betriebsräte müssen über den Ort der Arbeit mitbestimmen können. Es muss für die Beschäftigten ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit geben. Der Arbeitgeber hat Verantwortung für das Homeoffice – er muss auch dort zum Beispiel externe Bildschirme, Tastatur, Maus und ergonomische Stühle zur Verfügung stellen. Da die meisten Arbeitnehmer Mischformen aus Homeoffice und Büro wollen, achten unsere Betriebsräte darauf, dass jetzt nicht mal eben Büroflächen abgemietet werden.

Seit langem kämpft die IG Metall für Gleichberechtigung. Reicht die Frauenquote für Vorstände?

Benner Nein, wir engagieren uns für Frauenförderung auf allen Hierarchie-Ebenen. Und die Quote ist erst der Anfang und sie soll ja leider auch nur für wenige Unternehmen gelten.  Viele müssen ja nur Zielvorgaben festlegen. Dass Unternehmen wie Zalando eine Zielgröße Null setzen, ist doch peinlich. Wenn wir wollen, dass sich auf allen Ebenen etwas tut, brauchen wir harte Vorgaben für den Vorstand. Nur dann können wir den Thomas-Kreislauf durchbrechen.

Den Thomas-Kreislauf?

Benner Es gibt in den deutschen börsennotierten Unternehmen mehr Vorstände, die Thomas, Michael oder Stefan heißen, als es überhaupt weibliche Vorstände gibt. Darum fordern wir eine Frauenquote für alle mitbestimmten Unternehmen.

Was erwarten Sie von der nächsten Bundesregierung noch?

Benner Corona hat Ungleichheit verschärft. Wir fordern, dass das Thema soziale Gerechtigkeit ganz oben auf die Agenda kommt. Kinder und Jugendliche dürfen nicht die Leidtragenden der Folgen der Pandemie werden. Die Beschäftigten und Familien können nicht die Kosten der Klimawende stemmen. Da gilt der alte Grundsatz: staatlich induzierte Veränderungen dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Wir brauchen eine Politik des sozialen Ausgleichs. Auch durch starke Mitbestimmung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort