Startup-Verband widerspricht Ifo-Studie Gibt es seit Pandemiebeginn noch weniger Gründerinnen als vorher?

Düsseldorf · Seit die Pandemie ausgebrochen ist, gründen Frauen noch seltener als vorher. Das zeigt eine aktuelle Studie des Ifo-Instituts. Der Startup-Verband widerspricht: Laut ihm ist der Anteil der Gründerinnen sogar gestiegen. Wer hat recht?

Alice Martin und Estefanía Lang, Fachärztinnen für Dermatologie, haben gemeinsam zwei Start-ups gegründet.

Alice Martin und Estefanía Lang, Fachärztinnen für Dermatologie, haben gemeinsam zwei Start-ups gegründet.

Foto: Medi-login

Alice Martin hat nicht lange nachgedacht. Sie hat es einfach gemacht: Gemeinsam mit ihrer Kollegin Estefania Lang gründete sie 2018 Medilogin, eine digitale Weiterbildungsplattform für Dermatologen. Und das ganz ohne betriebswirtschaftliches Hintergrundwissen. 2019 holten die beiden Hautärztinnen ihre Ehemänner Ole Martin und Patrick Lang mit ins Boot und bauten Dermanostic auf, eine virtuelle Hautklinik. „Es war einfacher mit männlicher Unterstützung“, sagt Alice Martin heute. „In vielen Gesprächen habe ich mich als Gründerin nicht ernst genommen gefühlt.“

Damit ist sie offenbar nicht alleine. Noch immer dominieren Männer die Start-up-Szene. Und seit die Corona-Pandemie ausgebrochen ist, entscheiden sich sogar noch weniger Frauen dafür, ein Unternehmen zu gründen als vorher. Stießen sie in den Vorjahren weniger als 20 Prozent aller neuen deutschen Unternehmen an, waren es 2021 laut der im Handelsregister erfassten Gründungen nur noch 16 Prozent. Das liege unter anderem an den Schulschließungen. Frauen hätten in dieser Zeit die zusätzliche Betreuung der Kinder übernommen. So sei es schwieriger geworden, Familie und Beruf zu vereinbaren. Besonders im ländlichen Raum Westdeutschlands sank der Anteil der Neu-Gründerinnen deutlich auf 13 Prozent. 2012 lag er noch bei 17 Prozent. In großen Städten und ostdeutschen Landkreisen, wo es mehr Betreuungsmöglichkeiten für Kinder gibt, sind die Werte 2021 mit 19 und 14 Prozent etwas höher.

Die Ergebnisse widersprechen dem, was der Startup-Verband noch im September vermeldet hatte: In seinem nicht-repräsentativen Deutschen Startup-Monitor hieß es, der Anteil der Gründerinnen sei sogar gestiegen – von rund 18 Prozent 2021 auf knapp über 20 Prozent. Wie kann das sein? „Die Unterschiede erklären sich durch die Datenpunkte“, schreibt ein Sprecher des Verbands auf Anfrage unserer Redaktion. Das Ifo-Institut nehme Gründungen in der Breite in den Blick, also auch Unternehmen, die keine Start-ups seien, wie zum Beispiel Kreativagenturen. Nach Definition des Verbandes zählen die nicht dazu, weil sie weder ein hoch skalierfähiges Geschäftsmodell haben noch hohes Wachstumspotenzial und die Gründer seien meist auch nicht mehr maßgeblich am Unternehmen beteiligt. Außerdem basiere der Deutsche Startup-Monitor auf einem längeren Beobachtungszeitraum als die Studie und beschränke sich nicht nur auf Neugründungen.

Der Verband bewertet die Entwicklung in der Start-up-Szene deshalb positiv. In 37 Prozent der Gründungsteams sei mittlerweile auch mindestens eine Frau vertreten. „Das ist ein Schritt nach vorne. Unterm Strich sind Frauen im Start-up-Ökosystem aber weiterhin unterrepräsentiert“, sagt Franziska Teubert, Geschäftsführerin des Startup-Verbands. Frauen stünden vor strukturellen Hürden, weil sie häufig einen schlechteren Zugang zu Netzwerken hätten und vor der Herausforderung stünden, Unternehmertum und Familie zu vereinbaren. Unter Männern steige die Zufriedenheit leicht an, sobald sie Kinder haben – bei Frauen sinke sie dagegen deutlich. Das zeige, dass auch Gründerinnen noch die Hauptlast der Care Arbeit trügen. „Auch wenn die Selbstständigkeit mehr Flexibilität zulässt, sind die Absicherungen für und die Unterstützung von Unternehmerinnen in der Familiengründungsphase in Deutschland noch stark ausbaufähig“, so Teubert.

Das sieht auch Madeleine Heuts, Vorsitzende von NRWalley, so. Sie hat auch selbst erlebt, wie es ist, als Gründerin nicht ernst genommen zu werden. „Es wird immer gesagt, Frauen bräuchten zusätzliches Coaching oder Mentoring, um ihre Ziele zu erreichen“, sagt sie. „Aber das stimmt nicht. Frauen brauchen Geld.“ Viele Männer hätten sie schon schief angeschaut, wenn sie ihre Ideen vorgestellt oder von ihrem erfolgreichen jungen Unternehmen Raketenstart berichtet hätte. Manche hätten auch gefragt, ob sie einen Mitgründer hätte.

Doch was kann man tun, damit sich mehr Frauen trauen? „Wir brauchen mehr Medienpräsenz, ganz viel Unterstützung durch Initiativen, Anleitung für Finanzierung“, sagt Alice Martin. Der Weg zu einer Gründung sei so oder so steinig, aber für Frauen noch mal etwas mehr. Deshalb müssten auch Investorinnen stärker gefördert werden. Denn Männer, das sei hinlänglich bekannt, investierten nun einmal häufiger in Männer.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort