Hohe Lebensmittelpreise Jetzt nur noch Nudeln mit Ketchup?
Analyse | Düsseldorf · Immer weniger Leute können sich laut Umfrage jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder der vegetarischen Alternative leisten. Die gesunde Ernährung der Deutschen droht darunter zu leiden. Dabei muss sie das gar nicht.
Sich mindestens jeden zweiten Tag eine ausgewogene Mahlzeit leisten können – das fällt immer mehr Deutschen schwer. Dies hat eine Umfrage des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) ergeben. Demnach erging es im vergangenen Jahr 11,4 Millionen Menschen in Deutschland so, 2021 waren es 10,5. Die Daten wurden von der Linken-Bundestagsfraktion abgefragt, konkret geht es um die „finanzielle Unfähigkeit, sich jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Geflügel oder Fisch (oder eine entsprechende vegetarische Mahlzeit) zu leisten“.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bewertete das Ergebnis gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) kritisch, er sagte: „Armut und Inflation zeigen sich auch in diesen Zahlen. Wieder sind Kinder besonders betroffen. Bei Alleinerziehenden fehlt bei jedem Fünften das Geld für gute Mahlzeiten.“ Zugleich warf er Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) vor, den Zusammenhang von Armut und gesunder Ernährung nicht ausreichend thematisiert zu haben. „Der Supermarkt ist zum Hort des Abkassierens geworden“, sagte Bartsch weiter und verknüpfte die soziale Frage auch mit der Gesundheitsebene, „Je höher die Preise, desto höher die Nudeln-mit-Ketchup-Quote.“
Die Lebensmittelpreise haben sich schon seit Längerem auf einem höheren Niveau eingependelt. Fast alle Lebensmittel waren 2022 teurer als ein Jahr zuvor. Besonders groß fiel der Aufschlag bei Molkereiprodukten (plus 22,3 Prozent) aus. Bei Zucker, Marmelade, Honig und andere Süßwaren lag das Plus bei 19,4 Prozent. Auch Gemüse wurde im Jahresvergleich um 18,8 Prozent teurer. Menschen, die vor der Inflation gerade so über die Runden kamen, müssen nun bei ihren Wocheneinkäufen sparen. Dabei sind diese nicht die einzigen hohen Belastungen, die regelmäßig anfallen: Miete, Versicherungen, das Auto oder der Unterhalt. Wenn nicht viel Geld übrig bleibt, muss im Zweifel im Supermarkt gespart werden. Also nur noch Nudeln mit Ketchup?
Laura König, Junior-Professorin für Public Health Nutrition an der Universität Bayreuth, geht nicht davon aus, dass sich die Preissteigerung oft auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung der Leute auswirkt: „Menschen konsumieren mehr als ausreichend Proteine, das auch aus Pflanzen“, so König. Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) besteht eine ausgewogene Mahlzeit zu drei Vierteln aus Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten, aus Getreideprodukten wie Brot, Nudeln und Reis für die Ballaststoffe sowie aus tierischen Produkten. Diese sollten aber nur die Auswahl ergänzen, heißt: Milchprodukte täglich, Fisch ein- bis zweimal pro Woche, wenn Fleisch, dann selten. Die DGE empfiehlt 300 bis 600 Gramm.
König sieht die Umfrage eher etwas kritisch. Die Fragestellungen seien oft kurzgefasst, dadurch würden Inhalte unkonkret oder unverständlich. Das gelte hier beispielsweise für die „vegetarischen Alternativen“, so König. Diese seien in der Regel teurer als das Fleisch- oder Fischpendant, manche seien auch nicht zwingend nahrhafter. Hülsenfrüchte und Gemüse würden besser für den direkten Ausgleich sorgen, etwa Linsen für die Proteine oder Rote Beete für die Eisen-Zufuhr. „Da muss man aber nach Rezepten suchen. Man benötigt die Zeit und die Ressourcen“, sagt König. Die hätten aber die meisten häufig nicht. Deutlich betroffen sind laut Umfrage Alleinerziehende. Fast jede fünfte alleinstehende Person mit Kindern ist nicht in der Lage, sich alle zwei Tage mit einer der abgefragten Mahlzeiten zu ernähren. Hier gibt es einen beträchtlichen Anstieg von 2021 zu 2022: von 16,7 auf 19,3 Prozent.
Die Konsequenzen zeigen sich auch bei den Tafeln. Petra Jung vom Landesverband Tafeln NRW, spürt einen „irren Zulauf“ an Kunden, der sicher auch inflationsbedingt sei. Viele seien hinzugekommen, die vorher gerade so über die Runden kamen, sagt Jung. Auch die Lebensmittel, die an die Tafeln gegeben werden, spiegeln das sich verändernde Kaufverhalten wider. „Gerade in der Erdbeerzeit bekamen die Tafeln vermehrt Erdbeeren gespendet“, berichtet Jung. Die teuren Erdbeeren hätten sich viele nicht mehr leisten können. Familien, die sich normalerweise zwei Schalen gekauft hätten, hätten sich nun mit einer begnügt. Gleiches gelte beispielsweise für Spargel, so Jung, oder für Bioprodukte. Luxusprodukte, die im Supermarkt nicht mehr gekauft und schließlich bei den Tafeln ausgegeben werden, sofern sie gespendet werden.
Wie kann nun aber dafür gesorgt werden, dass diese 11,4 Millionen Menschen, wie es aus der Umfrage hervorgeht, wieder günstigen Zugang zu gesunden Lebensmitteln haben? Es gab bereits Forderungen, die Mehrwertsteuer für alle Lebensmittel zu senken. Der Sozialverband VdK und das Umweltbundesamt sprachen sich im vergangenen Jahr dafür aus, ebenso die CSU, der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und die Linkspartei, die das Ergebnis der Eurostat-Umfrage angefragt hatte. So würden auch Hülsenfrüchte und andere wichtige und gesunde Nährstofflieferanten günstiger zugänglich sein, sagt Laura König. „Da weiß man allerdings noch nicht, ob das funktioniert und die Leute die Produkte dann auch kaufen.“
Vielmehr sieht König eine Chance beim Essen in der Kita, der Schule oder der Kantine am Arbeitsplatz. Ist die Mahlzeit dort vollwertig, können sich die Caterer oder Küchen zertifizieren lassen, etwa von der DGE. „Das motiviert die Anbieter, eine gesündere Alternative zu bezuschussen“, sagt König. Die Initiative „In Form“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sowie des Ministeriums für Gesundheit klärt ebenfalls auf und bietet Angebote und Rezepte. Auch die Sozialen Medien bieten Hilfe. Der Kanal „Foodandfamily“ von Jennifer Kuschel aus Berlin beispielsweise ging mit ihren „broke-Gerichten“, also Pleite-Gerichten, auf Tiktok und Youtube viral. In ihren Videos kocht die alleinerziehende Mutter Mahlzeiten für sich und ihre drei Kinder oftmals unter fünf Euro. Keines der Rezepte ist Nudeln mit Ketchup.