Konjunktur Der Aufschwung wird unsicherer

Berlin · Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute reduzieren ihre Wachstumsprognose und sehen zunehmende Konjunkturrisiken. Vor allem der Handelsstreit mit den USA könnte in eine Rezession führen.

 Die Ökonomen bei der Vorstellung ihres Herbstgutachtens im Saal der Berliner Bundespressekonferenz.

Die Ökonomen bei der Vorstellung ihres Herbstgutachtens im Saal der Berliner Bundespressekonferenz.

Foto: dpa/Fabian Sommer

Der Aufschwung in Deutschland geht weiter, verliert jedoch an Fahrt und steht wegen erheblich gewachsener Konjunkturrisiken stärker infrage als noch im Frühjahr. Die von den USA ausgelösten Handelskonflikte, die Krisen in Schwellenländern wie der Türkei, eine Neuauflage der Euro-Krise, aber auch die Probleme der deutschen Autoindustrie bei der Umstellung auf den neuen Abgas-Prüfstandard und der Fachkräfte-Engpass dämpfen aus Sicht der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute das Wachstum.

Eine Eskalation des Handelsstreits oder eine Währungskrise „würde den Aufschwung beenden“, sagte Roland Döhrn, Konjunkturchef am RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, am Donnerstag bei der Vorlage des Herbstgutachtens der Institute. Die Forscher reduzierten ihre Wachstumsprognose für 2018 um 0,5 Prozentpunkte auf nur noch 1,7 Prozent. 2019 erwarten sie ein Plus von 1,9 (bisher: 2,0) und 2020 von 1,8 Prozent.

Die Institute legen jeweils im Frühjahr und im Herbst ihre Gemeinschaftsdiagnose vor, in der sie der Bundesregierung auch wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen geben. Im neuen Gutachten kritisieren sie vor allem die Wohnungsbaupolitik als unwirksam. Zudem müsse die Regierung mehr tun, um das Land langfristig fitter für künftige Herausforderungen zu machen. Vor allem der altersbedingte Rückgang an verfügbarem Personal in den kommenden Jahren sei ein großes Problem, das nur durch bessere Bildungspolitik und mehr gesteuerte Zuwanderung geschmälert werden könne.

„Kurzfristige Initiativen wie das Baukindergeld führen tendenziell zu Mitnahmeeffekten und steigenden Kosten, weil die Bauwirtschaft ohnehin gut ausgelastet ist“, warnte Döhrn. Die Milliarden für das Baukindergeld hätten besser ausgegeben werden können. Mitnahmeeffekte entstünden, weil das Baukindergeld für viele bereits baureife Projekte beantragt werde. Die Institute erwarten, dass der staatliche Zuschuss für Familien vor allem die Immobilienpreise weiter erhöhen wird. Besser als befristete, kurzfristige Maßnahmen wäre eine auf Kontinuität setzende Wohnungspolitik, so Döhrn. Der Bund könne mehr Bauland aus dem eigenen Grundstücksbestand bereitstellen, die Länder die Nebenkosten senken etwa durch eine geringere Grunderwerbsteuer.

Die aktuellen Lieferengpässe der Autoindustrie hinterließen „sichtbare Spuren“ und würden aktuell die Konjunktur bremsen. Die Autohersteller mussten ihre Produktion drosseln, weil ab September nur noch Neuwagen verkauft werden dürfen, die nach dem neuen, realistischeren Abgas-Testverfahren WLTP zertifiziert wurden. Nach Vorzieheffekten werden nun Einbrüche beim Neuwagenverkauf erwartet. Im vierten Quartal dürften diese Probleme aber überwunden sein, so die Institute. Die begrenzten Steuerentlastungen Anfang 2019 würden das Wachstum im kommenden Jahr um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte steigern.

Die Zahl der Arbeitslosen von derzeit noch 2,5 Millionen werde bis Ende 2020 die Zwei-Millionen-Marke erreichen, so die Institute. Das Erwerbspersonenpotenzial werde zunehmend ausgeschöpft sein, so dass diese Knappheit allmählich zur Wachstumsbremse werde. Dadurch würden auch Löhne und Gehälter weiter deutlich steigen. Der Staatsüberschuss von rund 54 Milliarden Euro im laufenden Jahr werde bis 2020 wegen der expansiven Finanzpolitik auf rund 40 Milliarden sinken. Die Schuldenstandsquote werde schon 2018 auf das Maastricht-Maß von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgehen und bis 2020 weiter auf etwa 55 Prozent sinken.

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