Hartz-IV-Urteil für Zuwanderer Was die Entscheidung des EuGH bedeutet

Luxemburg/Berlin · Deutschland kann Zuwanderern aus anderen EU-Ländern unter bestimmten Bedingungen Hartz-IV-Leistungen verweigern. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Wir erklären, warum sich das Gericht damit beschäftigt hat und wie Sozialleistungen in Deutschland geregelt sind.

Aus diesen Ländern kommen die meisten Einwanderer
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Foto: Caro / Oberhaeuser

Es ging um einen Einzelfall, doch letztlich sollte es eine grundsätzliche Klärung darüber geben, ob das deutsche Recht mit EU-Recht vereinbar ist. Und letztlich ging es auch um die schon seit Längerem schwelende Debatte um möglichen Sozialmissbrauch durch Zuwanderer aus anderen EU-Staaten. Wir klären die wichtigsten Fragen zu dem Thema.

Um was ging es in der Klage genau?

Es ging um den Fall einer 25-jährigen Rumänin, die seit 2010 mit ihrem Sohn bei ihrer Schwester in Leipzig lebt. Sie erhielt Kindergeld und Unterhaltsvorschuss für ihr Kind vom Jugendamt. Dann beantragte sie Hartz IV, doch das Jobcenter Leipzig lehnte den Antrag ab. Denn die Frau hatte nie gearbeitet — weder in ihrer Heimat noch in Deutschland. Sie hat keinen Schulabschluss und auch keine Berufsausbildung. Und nach Aussagen der Behörden hatte sie sich auch nicht um einen Arbeitsplatz bemüht. Die Frau klagte vorm Sozialgericht Leipzig unter Berufung auf das Diskriminierungsverbot. Das Gericht wiederum rief den EuGH an und bat um eine grundsätzliche Klärung. Das Urteil ist nun gefallen.

Stichwort Arbeitnehmerfreizügigkeit
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Foto: dpa, Matthias Hiekel

Was genau hat das Luxemburger Gericht geurteilt?

Unter bestimmten Bedingungen kann Zuwanderern aus anderen EU-Ländern Hartz IV verweigert werden. Der EuGH entschied (Rechtssache C-333/13), dass ein Staat Möglichkeiten haben müsse, Zuwanderern ohne Job Sozialleistungen zu versagen. Mitgliedsstaaten der EU können also beitragsunabhängige Sozialleistungen eigenständig regeln.

Der EuGH schrieb zudem, die Frau verfüge nicht über "ausreichende Existenzmittel" und könne deshalb laut EU-Recht kein Recht auf Aufenthalt in Deutschland geltend machen. Daher könne sie sich auch nicht auf das im EU-Recht verankerte Diskriminierungsverbot berufen. Deutschland kann daher EU-Bürgern die Leistung verweigern, wenn sie etwa ausschließlich in die Bundesrepublik gekommen sind, um Sozialhilfe zu beziehen.

13 Fakten zu Hartz IV
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Foto: dpa, Oliver Berg

Sind alle EU-Zuwanderer von dem Urteil betroffen?

Nein, das Urteil ist nicht automatisch auf alle übertragbar, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen. Hier sind noch weitere Vorschriften anwendbar, die der EuGH nach Angabe eines Gerichtssprechers im aktuellen Urteil noch nicht geprüft hat.

Wie ist das im deutschen Recht überhaupt geregelt?

Vorurteile über Hartz-IV-Empfänger
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Foto: dpa, Hendrik Schmidt

Wer als EU-Bürger schon lange in Deutschland lebt und hier auch arbeitet, hat Anspruch auf Hartz IV, wenn er seinen Job verliert und kein Arbeitslosengeld mehr bekommt. Anders sieht das bei den EU-Zuwanderern aus, die nach Deutschland kommen, um hierzulande einen Job zu suchen. Sie erhalten in den ersten drei Monaten kein Hartz IV. Dann wird geprüft, ob sie wirklich zum Zweck der Arbeitssuche nach Deutschland gekommen sind. Wenn sie länger als drei Monate bleiben, müssen sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, sodass sie keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaates benötigen.Das war im vorliegenden Fall nicht so, wie auch der EuGH feststellte.

Im Allgemeinen gilt übrigens auch: Wer mindestens fünf Jahre in Deutschland lebt, hat bei Bedarf auch Anspruch auf Sozialhilfe. Nach EU-Recht sind dann keine Ausnahmeregelungen mehr zulässig.

Warum wird das Urteil als so wichtig angesehen?

Es geht nicht nur darum, ob die Verweigerung von Sozialleistungen nach deutschem Recht mit EU-Recht vereinbar ist, sondern auch um die schon länger schwelende Debatte um Sozialmissbrauch durch Zuwanderer aus anderen EU-Staaten. Laut Statistik ist es ein Randproblem, doch so manche Kommune beklagt sich über einen enormen Zustrom gerade von Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien. Bürger aus diesen Ländern genießen seit Januar volle Freizügigkeit innerhalb der EU.

War das Urteil so erwartet gewesen?

Eigentlich ja. Denn schon im Mai hatte ein Gutachter der deutschen Bundesregierung den Rücken gestärkt. Der Generalanwalt beim EuGH, Melchior Wathelet, hatte in seinem Gutachten den pauschalen Ausschluss für rechtskonform angesehen, weil damit "Sozialtourismus" verhindert werde. Die EU-Kommission hatte das zuvor in einer Stellungnahme für den EuGH bemängelt, weil alle EU-Bürger das Recht hätten, gleich behandelt zu werden. Daher müsse jeder Fall einzeln geprüft werden. Nach Einschätzung Wathelets sieht kein Problem in der deutschen Praxis, weil die Behörden zwangsläufig jeden einzelnen Fall untersuchen müssen um herauszufinden, ob der Betreffende tatsächlich wegen der Arbeitssuche nach Deutschland gekommen sei.

Wie waren die ersten Reaktionen auf das Urteil?

Die CSU hat das Hartz-IV-Urteil ausdrücklich begrüßt. Die Entscheidung erhöhe die Akzeptanz der europäischen Freizügigkeit und sei gleichzeitig ein gutes Signal für die deutschen Sozialsysteme, sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer teilte mit, das Urteil bedeute für ihn ein "ein klares Nein zu Sozialtourismus und Sozialmissbrauch". Es sei gut, dass der EuGH für Rechtssicherheit sorge. "Dieses Recht muss nun auch konsequent angewandt werden", forderte Scheuer.

Auch der Deutsche Städtetag begrüßte das Urteil. Die Diakonie, die die Rumänin gemeinsam mit dem Deutschen Anwaltverein und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband bei ihrem Antrag unterstützt hatte, kritisierte es. "Es ist schade, dass der Europäische Gerichtshof den Freizügigkeitsregelungen und dem Interesse der Mitgliedstaaten mehr Bedeutung beimisst als dem europarechtlichen Gleichbehandlungsanspruch, der auch bei Sozialleistungen gilt", erklärte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik des evangelischen Wohlfahrtsverbandes.

Wie viele Menschen erhalten in Deutschland überhaupt Hartz IV?

Im Oktober dieses Jahres waren es 4,314 Millionen erwerbsfähige Menschen. Dazu zählen neben Arbeitslosen auch berufstätige Aufstocker und Menschen, die Kinder bis zum dritten Lebensjahr versorgen und Angehörige pflegen.

mit Agenturmaterial

(das)
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