Überraschender Beschluss Gericht rügt Erbschaftsteuer

Berlin · Der Bundesfinanzhof fällt einen überraschenden Beschluss: Er hält es für verfassungswidrig, dass Erben von Betriebsvermögen kaum Steuern zahlen müssen. Nun muss das Verfassungsgericht erneut entscheiden.

Die 2008 reformierte Erbschaftsteuer kommt vor das Bundesverfassungsgericht. Die Bevorzugung von Betriebsvermögen gegenüber anderen Vermögensarten verstößt nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz. Der Bundesfinanzhof bat daher das Verfassungsgericht um Klärung, ob die Reform von 2008 mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Gesetz eröffne Bürgern zudem Wege, Privatbesitz in steuerbegünstigtes Firmenvermögen zu verschieben und so der Besteuerung zu entgehen, monierten die Richter in einem gestern veröffentlichten Beschluss (Aktenzeichen II R 9/11). Die Richter sprachen gar von einer "verfassungswidrigen Überprivilegierung" von Firmenvermögen.

Der Gesetzgeber hatte Firmenerben bei der Erbschaftsteuer mit der Begründung begünstigt, dass dadurch Arbeitsplätze erhalten würden. Die Verschonungsregeln sehen unter anderem vor, dass ein Erbe, der einen Betrieb mindestens fünf Jahre nach dem Erbschaftfall fortführt, ohne die Stellenzahl zu reduzieren, nur 15 Prozent der Erbschaft versteuern muss. Wird der Betrieb sieben Jahre weitergeführt, entfällt die Steuer, wenn die Lohnsumme in dieser Zeit insgesamt in etwa konstant blieb. Bei weniger als 20 Angestellten gilt die Beschäftigungsklausel nicht.

Hier setzt auch die Kritik des Bundesfinanzhofes an: Weil über 90 Prozent aller Betriebe weniger als 20 Mitarbeiter hätten, sei der Begünstigungsgrund "Arbeitsplatzerhalt" nicht tragfähig. Ohne ein solches Gemeinwohlinteresse dürften Firmenerben gegenüber anderen Erben nicht bevorzugt werden.

Außerdem kritisiert der Bundesfinanzhof, dass es weitgehend in der Freiheit des Erblassers oder Schenkers liege, Werte, die eigentlich zu seinem Privatbesitz gehören, dem begünstigtem Betriebsvermögen zuzuschlagen. Zudem könnten Erblasser eine "Cash GmbH" gründen, deren Vermögen ausschließlich aus Bargeld besteht. Wer diese GmbH erbt, bleibt steuerfrei. Wer dagegen unmittelbar Bargeld erbt, muss nach derzeitigem Recht Erbschaftsteuer zahlen.

Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) forderte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf, die Erbschaftsteuer schnell zu reformieren. Schäubles Ministerium erklärte dagegen, es halte die Firmen-Begünstigung für verfassungsgemäß. Dies habe das Verfassungsgericht mehrmals bestätigt. Man sei zuversichtlich, dass die geltende Rechtslage Bestand haben werde, so Schäubles Sprecherin. Sie verwies aber auf die Vorschläge des Bundesrats zur Änderung der Erbschaftsteuer, mit denen er Missbrauch unterbinden will.

Die Wirtschaft reagierte dagegen alarmiert auf den BFH-Spruch. "Die Diskussion über die Erbschaftsteuer verunsichert die Unternehmen, die auf die Verlässlichkeit der Regelungen setzen", sagte der Präsident des Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann. "Angesichts eines schwierigen wirtschaftlichen Umfelds und der europäischen Schuldenkrise kommen verfassungsrechtliche Debatten ebenso zur Unzeit wie politische Vorschläge zu größeren Belastungen durch Erbschaft- oder Vermögensteuer."

(mar)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort