Finanzkriminalität Aus dem Leben einer Steuerfahnderin

Düsseldorf · Birgit Orths aus Kempen spürt seit 20 Jahren Steuerkriminellen nach. Sie hat jetzt ein Buch geschrieben – über ihre mitunter gefährliche Arbeit, die Täter, die Hemmnisse und ihre Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen.

Eine Beamtin der Steuerfahndung NRW steht im Zuge einer Razzia im Duisburger Norden vor einem Regal mit Tabakwaren.

Eine Beamtin der Steuerfahndung NRW steht im Zuge einer Razzia im Duisburger Norden vor einem Regal mit Tabakwaren.

Foto: dpa/Christoph Reichwein

Steuerfahndung – das ist für manche ein Synonym für womöglich filmreife Razzien, wie sie einst beim damaligen Post-Chef Klaus Zumwinkel, bei Boris Becker oder Uli Hoeneß stattfanden. Für jene, die es gemütlicher mögen, für die Rolle von Ekki Talkötter in den „Wilsberg“-Krimis. Wobei der kein Steuerfahnder, sondern Betriebsprüfer ist. Ein Unterschied: „In Ermittlungsverfahren sind Steuerfahnder Beamte des Polizeidienstes und damit der Staatsanwaltschaft unterstellt“, sagt Birgit Orths.

Sie muss es wissen. Der berufliche Steckbrief der Kempenerin: Duale Ausbildung als Diplom-Finanzwirtin, dann Finanzbeamtin, Betriebsprüferin, dann – als ihr der Schreibtisch-Job nicht mehr ausreichte: Steuerfahnderin, seit 2015 als Mitglied einer Sondereinheit beim Landeskriminalamt NRW. Drei gängige Vokabeln aus ihrer Berufswelt: Clan-Kriminalität, Cum-ex, Geldwäsche.

Genug Stoff also für ein Buch über diese Arbeit. Das hat Birgit Orths geschrieben. Vor allem über Organisierte Kriminalität, kurz „OK“ genannt, bei deren Bekämpfung die Polizei und Steuerfahnder eng zusammenarbeiten. Zur OK gehören Geldwäsche und Cum-ex-Straftaten dazu – jene Delikte, bei denen Investoren und Banken im Schulterschluss den Staat prellten, weil Kapitalertragsteuer erstattet wurde an Investoren, die die Steuer nie gezahlt hatten. Jahrelang verkleidet unter dem Deckmäntelchen, dass man doch nur eine Lücke im Steuersystem ausgenutzt habe. „Dabei ist seit Anfang der 2000er-Jahre ersichtlich, dass Cum-ex ein kriminell organisierter Betrugsbereich ist“, sagt Orths. Da schwingt Kritik an der Politik mit, an zögerlicher Gesetzgebung, an einem System, in dem sich die Profiteure des Steuerbetrugs zu leicht verstecken konnten.

Wenn Orths und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter heute zu Durchsuchungen kommen, dann haben sie einen ganzen Stab an IT-Fachleuten bei sich. Die Daten, nach denen sie suchen, sind immer öfter auf USB-Sticks und anderen digitalen Datenträgern zu finden, immer seltener auf Papier. Schon gar nicht auf Kontoauszügen. Vieles läuft heute über Offshorekonten oder ausschließlich mit Bargeld, so Orths. Steuerwissen sei das eine, was Fahnder brauchen, kriminalistisches Gespür das andere: „Wir suchen Puzzle-Teile.“

Schreiben etwa, die da, wo sie auftauchen, keinen Sinn machen, Kontovollmachten für Banken, die zu anderen Firmen gehören, Fotos, die bei unterschiedlichen Durchsuchungen mehrfach auftauchen und auf Querverbindungen in einem kriminellen Netzwerk schließen lassen. Kleinarbeit, mit der man wenigstens einem Teil der Betrüger das Handwerk legt. Die verursachen einen immensen Schaden. Allein 15 Milliarden Euro sind dem deutschen Fiskus durch Cum-ex-Verbrechen entgangen, zehn Milliarden Euro durch Umsatzsteuerbetrug in großem Stil.

Der Kampf gegen Organisierte Kriminalität in Bandenform ist schwierig. „Wir haben grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie die Polizei. Wir können Verdächtige auch festnehmen, aber wir haben keine Handschellen. Wir haben schon fünf Jahre darum kämpfen müssen, schusssichere Westen zu bekommen“, klagt Orths. Einmal hätten sie sich sogar Sturmhauben im Motorradgeschäft besorgt, weil sie Angst gehabt hätten. So etwas stellten vor einigen Jahren Behörden den Steuerfahndern nicht für ihre Arbeit zur Verfügung.

Will heißen: Personelle, technische und sonstige Ausstattung reichen den Ermittlern nicht aus, um die Organisierte Kriminalität zu bekämpfen: „Wir müssten in der Ausbildung nicht auf Steuerrecht beschränkt sein, sondern auch strafrechtlich vorbereitet werden“, fordert Birgit Orths. Auch darum geht es in ihrem Buch, um bessere Arbeitsbedingungen. Um eine Behörde, die nach den Vorstellungen der Fahnderin direkt dem Finanzministerium NRW unterstellt wäre und nicht immer den Umweg über die zuständige Oberfinanzdirektion nehmen müsste. Hoffnung mache ihr, dass im Koalitionsvertrag der Landesregierung der verstärkte Kampf gegen Steuerbetrug verankert ist.

Foto: de Nardo/privat

Foto: de Nardo/privat

Foto: privat/Guido de Nardo - B14 Photo Loung

Steuerfahnderinnen leben mitunter gefährlich. Gefahr droht vor allem von Clans: „Das ist eine Subkultur, deren Mitglieder oft kein Unrechtsbewusstsein haben.“ Steuerfahnder werden in dem Umfeld gebraucht als jene etwa, die klären, wie sich Clan-Mitglieder ohne große Einkommen teure Häuser und Autos leisten können, wo also deren Geldquellen sind. Das kann gefährlich werden. Über Jahre habe sie eine Sicherheitseinstufung gehabt, erzählt Orths, „ich hatte auch nie ein Namensschild auf meinem Briefkasten. Und ich musste zweimal umziehen, weil die Sicherheit nicht mehr gewährleistet war.“

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